Hier kommt mein zweites Reiseandenken: Im Rahmen meiner Reportage über nachhaltiges Reisen habe ich auch einen Ausflug nach Venedig gemacht.
In Venedig war der Corona-Effekt besonders augenfällig: Die Lagunenstadt ist in den vergangen Jahren geradezu das Symbol für das Phänomen Overtourism geworden.2019 kamen auf jeden Venezianer im historischen Zentrum 600 Touristen am Tag. Immer mehr Venezianer fliehen aufs Festland – und damit beginnt ein Teufelskreis: Wo keine Venezianer wohnen, verschwinden auch die Dinge, die Venedig charmant machen… die Obststände auf Schiffen im Kanal. Der Fischmarkt. Kleine Beizen, wo Einheimische ihren Apertivo zum Feirabend trinken. Urlaub in einer Art Lagunen-Disneyland? Das macht keinen Spaß!
Ich habe an der Stadt immer gemocht, dass man den Strömen ganz gut entgehen kann, wenn man die Rennstrecke vom Markusplatz zur Rialtobrücke meidet. Jetzt bei meinen Recherchen bin ich auf ein paar Initiativen gestoßen, die dazu beitragen, dass Venedig (er-)lebenswert bleibt.
Plattformen gegen Overtourism
Erstes Problem: die Unterkunft. Venedig hat inzwischen zehnmal mehr Betten in Ferienwohnungen als in Hotels. Seit einiger Zeit gibt es die Organisation Fairbnb – wer dort bucht, kann sicher sein, dass die Wohnung nicht schwarz vermietet wird. Damit fließen zumindest schon mal Steuern zurück an die Stadt. Es dürfen auch nur Vermieter Wohnungen anbieten, die selbst vor Ort leben. Und es dürfen auch nicht mehr als zwei Wohnungen pro Vermieter sein – damit vermeidet man professionelle Großvermieter, die ganze Straßenzüge entvölkern. Last but not least:Die Hälfte der Provision fließt an ein Sozialprojekt für die Stadtgemeinschaft. Ich finde das eine wirklich gute Alternative zu den klassischen Plattformen – gibts übrigens auch für andere Städte.
Dann gibt es die Webseite Venezia Autentica: Valeria und Sebastian leben in Venedig und wollten ein Angebot schaffen, das Reisenden hilft, original venezianische Produkte, Geschäfte und Plätze zu entdecken: Die beiden vergeben eine Art Gütesiegel, um Betriebe zu unterstützen, die traditionelles Handwerk ausüben, die Arbeitsplätze in Venedig schaffen u.ä. Außerdem kann man auf der Webseite besondere Führungen durch Einheimische buchen – es lohnt sich auf jeden Fall, vor der Reise schon mal dort zu stöbern!
Auf der Suche nach dem echten Venedig
Ein Beispiel ist der Laden L’Arlecchino, wo es die Karnevalsmasken von Marilisa dal Cason gibt. Ihr Laden liegt in einer schmalen Straße hinter der Rialtobrücke. In einer winzigen Werkstatt im Hinterzimmer fertigt Marilisa Masken aus Pappmaschee – das ursprünliche Material für venezianische Masken, weil es leicht ist und einst wenig kostete. Jede Maske hier ist ein Unikat; wegen der aufwändigen Handarbeit jedoch auch deutlich teurer, als die Massenware aus China, die es in den Buden rund um Rialto schon für 8 Euro das Stück gibt. Aber dafür bringt man auch ein einzigartiges Stück Venedig mit nach Hause.
Ich bin ja nicht sooo der Faschingstyp, trotz meiner Herkunft aus einer hessischen Fasnachtsdynastie… ich habe stattdessen in einem anderen Laden zugeschlagen, den mir Valeria gezeigt hat: beim wunderschönen Schmuck aus Muranoglas von Matteo Belardinelli, in einem Hinterhof nahe der Rialto-Brücke. Wenn man einmal zugeschaut hat, wieviele Arbeitsschritte eine einzige Glasperle benötigt – und es macht wirklich Spaß, dabei zuzuschauen, faszinierend, was aus farbigen Glasstangen mit etwas Feuer und Geschick gezaubert werden kann – versteht man gut, warum das mehr kosten muss, als die Industrieware in den Souvenir-Shops.
Zum Schluss noch mein persönlicher Lieblingsplatz für einen Sundowner oder Aperitiv: Die Cantine del vino già schiavi im Stadtteil Dorsoduro. An einem kleinen Kanal (an dem übrigens auch die letzte Gondelwerft Venedigs liegt) schenkt dieser Weinhandel wunderbare Weine glasweise aus und serviert dazu Cichetti, die typisch venezianischen belegten Brote. So günstig und zugleich authentisch kann man nur selten das Venedig der Venezianer erleben. Kleiner Wermutstropfen: Ebenso authentisch italienisch sind die Plastikbecher und -teller – wegen der Scherbengefahr ist das draußen Vorschrift… aber drinnen am Tresen gibts richtige Gläser!
Mehr über nachhaltiges Reisen in Krisenzeiten am 1. Juni um 20:15 Uhr im SWR Fernsehen bei betrifft