Ozapft is, in München. Ich sitze im Tegernseer im Tal, draußen ziehen Touristen in Billigdirndln und -Lederhosen vorbei, aus der Gaststube einen Raum weiter wehen Fetzen von Blasmusik herein, und vor mir steht ein Teller mit Bratwurst. Oder vielmehr mit „Redefine Wurst“, dem veganen Wurstersatz der israelischen Firma Redefine Meat, die den Markt für Fleischersatz revolutionieren will.
Ich muss ehrlich zugeben, dass ich bisher kein großer Freund dieser Ersatzprodukte bin: Mir ist mein Besuch bei einem Hersteller von Seitan-Würsten und -Gyros in unangenehmer Erinnerung, wo ich hinterher die ganze Nacht den intensiven Geschmack von Hefeextrakt aufgestoßen habe – ein Geschmacksverstärker, der dem an sich geschmacksneutralen Weizeneiweiß eine Umami-Anmutung verschaffen sollte.
Ich war letzte Woche zu Gast bei ARD Buffet zu diesem Thema. Was wir da an Produkten unter die Lupe genommen habe, war überwiegend ein ziemlicher Chemiecocktail: Aromen, Verdicker, Geschmacksverstärker… Vor allem aber hat mich keines dieser Produkte bisher geschmacklich und von seiner Konsistenz her wirklich überzeugen können, und ich habe mich immer gefragt, warum man diese Kategorie überhaupt braucht und nicht einfach gleich Gemüse oder Tofu isst, ohne das mit Zusatzstoffen zu etwas Fleischartigem umzupimpen. Und so sitze ich mit einer gewissen Skepsis am Tisch und warte auf meinen Bratwurstteller.
Ein Markt mit Potential
Denn andererseits gibt es offenkundig einen rasant wachsenden Markt für Fleischersatz: Zehn Prozent der Deutschen haben sich 2020 vegetarisch ernährt, laut dem Ernährungsreport des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. Auch die Zahl der Veganer steigt demnach. Den meisten geht es bei ihrem Verzicht ums Tierwohl. Noch bemerkenswerter finde ich, dass auch bei den Wurst- und Fleischessern zunehmend weniger „echtes Fleisch auf den Tisch kommt. 2015 haben noch 34 Prozent der Befragten täglich Fleisch und Wurstwaren gegessen, fünf Jahre später sind es nur noch 26 Prozent. Knapp jede dritte befragte Person kauft dafür jetzt „öfter mal“ pflanzliche Alternativen zu tierischen Produkten, bei der Gruppe der 14- bis 29-Jährigen essen 17 Prozent solche Produkte sogar täglich.
Nun muss man bei Fragen nach vermeintlich sozial erwünschtem Verhalten immer vorsichtig sein – möglicherweise trauen sich auch einige nicht mehr zuzugeben, dass Fleisch ihr Gemüse ist. Aber die Industrie hat auf diese Entwicklung bereits reagiert: Fast ein Viertel der Lebensmittelneueinführungen in Deutschland sind momentan als „vegetarisch“ oder „vegan“ gelabelt, der Wursthersteller Rügenwalder Mühle hat im Juli 2020 erstmals mehr Umsatz mit Fleischalternativen gemacht, als in seinem althergebrachten tierischen Geschäftsfeld.
Die Bratwurst ohne Schwein
Das Besondere an den Redefine Meat Produkten ist, dass hier viel Gewicht auf die Konsistenz gelegt wird. Die Macher haben dabei nach eigenen Angaben insbesondere eine Kundschaft im Auge, die gerne Fleisch isst und – ob aus Tierwohl- oder Umweltgründen – das gelegentlich durch pflanzliche Alternativen ersetzen möchte. Damit kann ich grundsätzlich etwas anfangen. Und der erste Eindruck der Nichtwurst-Wurst ist ziemlich überzeugend: Sie sieht zumindest schon mal aus wie eine Bratwurst, auch aufgeschnitten.
Auch der zweite Eindruck überrascht mich positiv: Ich bin mir, ganz ehrlich, nicht sicher, ob ich bei einer Blindverkostung bemerken würde, dass ich gerade etwas aus Erbse und Reis esse, und nicht aus Schweinefleisch. Die Wurst ist vielleicht einen Hauch zu fest – mehr Fett würde vermutlich helfen. Andererseits ist sie dadurch etwas kalorienärmer, als das Original, ohne dass das zu Lasten des Geschmackserlebnisses geht. Vor allem aber schmeckt sie sehr authentisch, ohne Senf wohlgemerkt. Mit Senf oder gar als Currywurst traue ich mich zu wetten, dass die Wurst selbst bei Hardcore-Fleischessern glatt als Schweinernes durchgehen würde. Und finde die vegane Wurst dafür eine richtig gute Lösung: Dafür müsste dann eigentlich kein Schwein mehr in einer engen Box dahinvegetieren!
Vegan mit Hightech
Auch diese Fake-Wurst verdankt ihren Geschmack natürlich unter anderem Aromen und Geschmacksverstärkern – allerdings vergleichsweise dezent eingesetzt. Vor allem aber nutzen die Foodpioniere Hightech-Methoden, um das Konsistenzproblem in den Griff zu bekommen. Burgerpatties gibt es inzwischen zahlreich, sogar mit einer Blutanmutung aus Rote-Bete- oder Cranberrysaft. Doch nach der Bratwurst bekomme ich ein so genanntes Flanksteak serviert – und das verblüfft mich nun wirklich: Hätte ich das einfach so serviert bekommen, ich hätte das vermutlich als Stück Fleisch akzeptiert. Die Faserstruktur ist erstaunlich nah an der eines gewachsenen Stücks Fleisch.
Das Steak entsteht im 3-D-Drucker – diesmal ist die Basis Weizen-, Soja- und Kartoffeleiweiß. Kleiner Wermutstropfen dabei ist für mich, dass das Soja aus China kommt. Aber die Redifine-Meat-Macher versichern mir, dass sie auf der Suche nach europäischen Bezugsquellen seien. Die Produkte gibt es bisher nur in der Gastronomie – dort liegen sie preislich etwa da, wo ihre fleischlichen Geschwister aus konventioneller Erzeugung auch liegen. Im Laufe des nächsten Jahres will die Firma ihre Produktionskapazitäten in den Niederlanden so weit ausgebaut haben, dass es auch für den Einzelhandel reicht.
Mein Fazit: Zum ersten Mal habe ich Ersatz-Fleisch-Produkte auf dem Teller gehabt, die ich in meinem Alltag essen würde.