Wie viel eindringlicher oft Bilder Informationen vermitteln können, als ein Text, muss man mir als Dokumentarfilmerin nicht erzählen. Aber kürzlich habe dann selbst ich gestaunt: In einer Ausstellung über die Wirkung von Grafik bin ich auf eine Visualisierung der Inhaltsstoffe eines Glases Nutella gestoßen, die mir gründlich den Spaß an meinem Kindheitsfavoriten verdorben hat.
Nutella gab es nur bei meinen Großeltern. Und ich habe es geliebt. Später gehörte das frühmorgendliche Auslöffeln von Nuss-Nougat-Creme, im Stehen in der Küche, zu meinen Lieblingssünden nach durchfeierten Nächten. Als hochschwangere Chefin vom Dienst bei Focus TV wussten meine Kolleg*innen genau, wie sie mich vor einer Abnahme milde stimmen konnten – ein Glas Nutella, ein Löffel, und ich hatte hinterher schreckliches Sodbrennen, aber… mmmhhh…
Die Mogelpackung auf dem Frühstückstisch
Der Fehler in der Geschichte ist das Wort „Nuss-Nougat-Creme“. Marc Brupbacher, zuständig für „Digitales Storytelling und Repackaging“ beim Schweizer Tages-Anzeiger, hat das mit seinem Team auf beklemmende Weise sichtbar gemacht. Statt schokoladig braun ist der größte Teil des Glases weiß: 330 Gramm Zucker auf 630 Gramm Gesamtmenge, das entspricht 52 Prozent oder 110 Stück Würfelzucker. Die zweitdickste Schicht ist auch nicht braun, sondern eher so cremefarben: die mengenmäßig zweitwichtigste Zutat, 116 Gramm Palmöl, umgerechnet 18 Prozent der Gesamtmenge. Haselnüsse und Kakao machen dem gegenüber zusammen gerade mal 20 Prozent aus. Zwei schmale braune Ringel. Streng genommen müsste Nutella eher „Zucker-Palmöl-Creme“ heißen.
Das gleiche Spiel haben die Grafiker dann auch noch mit meinem Lieblingsketchup gemacht: Da ist immerhin die Hälfte der Flasche tomatenmark-rot, aber die weiße Zuckerschicht macht stolze 22,8 Prozent der Gesamtmenge aus, der Rest ist Essig.
Was essen wir da eigentlich?
Klar: Wir alle können herausfinden, aus was verarbeitete Lebensmittel bestehen, steht alles drauf -vorausgesetzt die Beleuchtung im Supermarkt ist so gut, dass wir die winzig gedruckten Zutatenlisten lesen können oder die Einkaufswagen haben dafür dankenswerterweise eine Lupe angebaut. Aber das Verhältnis von namens- und geschmacksgebenden Zutaten zu billigen Füllstoffen so vor Augen geführt zu bekommen, hat dann selbst mich beeindruckt, obwohl ich mich seit Jahren mit Lebensmitteln und ihren Rezepturen befasse.
Wenn es um das Thema Nachhaltigkeit beim Essen geht, gibt es einen relativ einfachen Weg, der meiner Ansicht nach gar nichts mit Verzicht zu tun hat, sondern sogar mehr Genuss verspricht: verarbeitete Lebensmittel vermeiden, wo immer es geht. Denn die Industrie kocht zwangsläufig anders, als wir zu Hause. „Echte“ Lebensmittel sind das, was Rezepturen teuer macht. Angesichts des extremen Preisdrucks, der gerade bei uns in Deutschland auf dem Lebensmittelmarkt herrscht, arbeiten ganze Armeen von Lebensmitteltechnikern und Köchen daran, mit Schummelzutaten Geschmack und Konsistenz vertrauter Gerichte zu simulieren.
Geschmacksverstärker mit Tarnkappe
Neben Fett und Zucker geht es dabei oft um Geschmacksverstärker. Glutaminsäure, zum Beispiel, als Zusatzstoff unter dem Begriff „Glutamat“ mit einer so genannten E-Nummer versehen und kennzeichnungspflichtig, kann sich hinter den verschiedensten Begriffen verstecken, ohne dass diese Umschreibungen als Geschmacksverstärker gekennzeichnet werden müssten: „Würze“, zum Beispiel, oder „Aroma“, „Weizenextrakt“, „Gerstenmalzextrakt“- oder „Hefextrakt“. „Milcheiweissprodukt“ klingt zwar irgendwie nach mehr Gesundheit durch mehr Proteine, kann jedoch ebenfalls ein Tarnbegriff für Glutaminsäure sein. Das alles macht uns nicht krank, aber so werden wir über die Abwesenheit von hochwertigen Inhaltsstoffen hinweggetäuscht.
Ich hätte gerne verbraucherfreundlichere Gesetze, die es Herstellern verbieten, uns mit ausgetüftelten Begrifflichkeiten in die Irre zu führen. Wo wir nicht erst Lebensmittelrecht studieren müssen, um zu verstehen, warum „ohne geschmacksverstärkende Zusatzstoffe“ bedeutet, dass Hefeextrakt trotzdem drin sein kann, und zwar ausschließlich um den Geschmack zu verstärken, aber eben als „Zutat“ und nicht als „Zusatzstoff“. Bis es so weit ist, koche ich im Zweifel lieber selbst. Und lasse die Zucker-Palmöl-Nutella künftig im Regal stehen.
Guten Tag!
für die Wirksamkeit ihres Textes wäre natürlich, ebenfalls ein Foto dieses Nutellaglases viel wirksamer gewesen, als diese öde Aufzählung der Prozente!
Auch zum Teilen für andere Menschen ist eine Abbildung immer besser als ein Text!
sehr schade!
Die Erkenntnis war da aber ohne Handlung.
Andrea Herbert
Natürlich, liebe Frau Herbert, und das Titelbild dieses Blogbeitrags ist in der Tat das Bild des Nutellaglases.
Dieser Blogbeitrag ist über 4 Jahre alt und war einer der ersten auf diesem Kanal – dass das Bild nicht zusätzlich in den Text eingebunden war, müssen Sie meiner damaligen Unerfahrenheit zuschreiben. Dass Sie das derartig verärgern könnte – wer hätte das ahnen können… ich sehe mal, ob ich das ändern kann 😉
Mit besten Grüßen Katarina Schickling