„Das Ärgernis der Woche“ hieß, als ich klein war, eine Rubrik in meinem heimischen Regionalmagazin Abendschau im SDR. „Mein Ärgernis der Woche“, das sind ab sofort, in unregelmäßigen Abständen, Meldungen, die ich so unglaublich ärgerlich finde, dass sie aus meiner Sicht den Internetpranger verdienen…
Ich musste an die Rubrik aus den 70ern spontan denken, als ich diese Meldung bei Spiegel Online gelesen habe. Demnach nutzt ein Lobbyistenverband aus der Landwirtschaft die aktuelle Angst vor Versorgungslücken für eine Art Erpressung der EU-Komission. Worum geht es?
Zankapfel Düngemittelverordnung
Schon seit 29 Jahren halten wir in Deutschland die Vorgaben der EU-Nitrat-Richtlinie nicht ein, übrigens im Gegensatz zu allen anderen Mitgliedsstaaten. Für uns Verbraucher*innen heißt das konkret, dass wir über teureres Trinkwasser – denn das Nitrat muss da raus, bevor das Wasser in unsere Leitung darf – die Schäden mitfinanzieren, die insbesondere durch die konventionelle Massentierhaltung und ihre Güllemengen entstehen. Diesen Missstand soll die neue Düngemittelverordnung beheben. Andernfalls drohen der Bundesrepublik – also letztlich auch wieder uns – Strafzahlungen von bis zu 850.000 Euro – am Tag.
Diese Düngemittelverordnung will die Lobbygruppe „Land schafft Verbindung“ nun torpedieren, mit einem offenen Brief an die EU-Komission, unter Verweis auf die Corona-Krisenlage. Darin heißt es:
Wir Landwirte brauchen jetzt alle Kraft um die Nahrungsmittelsicherheit aufrecht zu erhalten. Eine negative politische Entscheidung würde die deutschen Bauern in ihren Entscheidungen hemmen und ihnen jegliche Motivation nehmen – viele Betriebe würden die Produktion von Nahrungsmitteln einstellen müssen. Unter anderem stehen viele Obst- und Gemüsebauern durch den Wegfall der Saisonarbeitskräfte momentan vor der Frage, wie die Zukunft der Betriebe aussehen soll. Eine zusätzliche Belastung dieser Betriebe durch die Verschärfung der DüVO würde zu etlichen Betriebsaufgaben führen und damit zwangsläufig zu einer Gefährdung der Versorgung mit Nahrungsmitteln.
Dies soll jetzt kein generelles Bauern-Bashing werden. Ich setze mich in meinen Filmen seit Jahren dafür ein, dass unsere heimische Landwirtschaft ordentliche Preise für ihre Produkte bekommen soll. Und auch ich mache mir Sorgen, wie der Ausfall der vielen ausländischen Helfer kompensiert werden soll. Aber diesen offenen Brief finde ich ein völlig falsches Signal. Ich möchte gerne mit „meinem Bauern“ solidarisch sein. Aber ich möchte auch, dass sie den Erhalt unserer Umwelt ernst nehmen. Und deshalb ist das Verhalten von „Land schafft Verbindung“ mein Ärgernis der Woche!
Die Wortwahl in diesem wichtigen Beitrag ist sehr bedacht, danke. Ich muss aber zuspitzen: das ist kein Ärgernis, es ist ein Skandal, was diese Lobbygruppe der Agrarindustrie (die glücklicherweise nicht die Bauern repräsentiert) hier macht. Man könnte die Drohung auch „Erpressung“ nennen. Wenn die Düngemittelverordnung geändert wird, erzeugen wir Lebensmittelknappheit im Corona-Krisen Szenario – hier zeigt sich eine hässliche Fratze des Agrarkapitalismus.
Ich möchte Euch die Stellungnahme von „Land schafft Verbindung“ zum Spiegel-Artikel nicht vorenthalten:
https://www.agrarheute.com/media/2020-03/gegendarstellung_spiegel.pdf
Wurden die Autoren des offenen Briefs falsch verstanden? Nein, ich finde nicht! Sie wollen die – sinnvolle, überall sonst in Europa umgesetzte – Düngemittelverordnung loswerden. Und hoffen auf Rückenwind dafür durch Corona. Ich finde das immer noch ärgerlich!
Werte Frau Schickling,
ich stelle eine Auszug des offenen Briefes in meine Antwort ein, den offenen Brief, den sie oben verlinkt haben:
Bitte geben Sie der Regierung der Bundesrepublik Deutschland ein eindeutiges Signal, dass in dieser Situation keine Strafzahlungen in Erwägung gezogen werden und dass eine Aussetzung der Verabschiedung der Düngeverordnung notwendig ist. Wir Landwirte brauchen jetzt alle Kraft um die Nahrungsmittelsicherheit aufrecht zu erhalten. Eine negative politische Entscheidung würde die deutschen Bauern in ihren Entscheidungen hemmen und ihnen jegliche Motivation nehmen – viele Betriebe würden die Produktion von Nahrungsmitteln einstellen müssen. Unter anderem stehen viele Obst- und Gemüsebauern durch den Wegfall der Saisonarbeitskräfte momentan vor der Frage, wie die Zukunft der Betriebe aussehen soll. Eine zusätzliche Belastung dieser Betriebe durch die Verschärfung der DüVO würde zu etlichen Betriebsaufgaben führen und damit zwangsläufig zu einer Gefährdung der Versorgung mit Nahrungsmitteln. Damit wäre der Selbstversorgungsgrad für Grundnahrungsmittel in Deutschland erheblich gefährdet – fatal in Krisensituationen wie der Aktuellen!
Um diesem Brief eine Drohung zu sehen, reicht nicht einmal eine blühende Fantasie aus!
Bei Grundnahrungsmittel glaube ich nicht an einem Mangel, bei Obst und Gemüse wird es in diesem Jahr noch leere Regale geben, die Hamsterer werden beim ersten Mangel die Gemüseregale leer kaufen, mindestens 1/3 bis 50 % wird vergammeln und wer nicht morgens vor 6 Uhr vor dem Discounter steht, geht leer aus.
Vor dem Virus habe ich keine Angst, aber was der Virus mit den Menschen macht,
so ein Kommentar im Fernsehen.
Lieber „ehemaliger Landwirt“,
nun bin ich ja nicht die einzige, die genau diese Formulierung als unangemessene Erpressung wahrgenommen hat.
Der Streit um die Düngemittelverordnung tobt seit Jahrzehnten, seit sehr langer Zeit ist es die deutsche Landwirtschaft, die sich hartnäckig der Umsetzung verweigert hat, im Gegensatz zum gesamten Resteuropa. Ist es klug, vor dem Hintergrund dieser Vorgeschichte als Lobbyist so zu argumentieren? Ich meine nein.
Ich würde mir wünschen, dass diese Diskussion anders läuft. Ja, die Sitiation der Landwirtschaft IST schwierig. Der Versuch, immer noch billiger noch mehr zu erzeugen und Diskussionen wie die um die Nitratbelastung des Grundwassers einfach zu ignorieren, führt ganz offensichtlich nicht zu besseren Lebensbedingungen, weder für die Landwirtinnen und Landwirte, noch für ihre Kundschaft.
Wir werden als Gemeinschaft gemeinsam umdenken müssen. Höhere Erzeugerpreise gehören da sicher dazu. Aber ein höheres Umweltbewusstsein eben auch.
Ihnen einen schönen Sonntag!
Werte Frau Schickling,
Wenn die Metaller (dieser Jahr nicht) streiken, dann legen die vielfach den Betrieb lahm, kein Mensch käme auf die Idee, dass dies eine Drohung wäre, nein, die Erwarten noch, dass ich das Taschentuch heraushole, um die Tränen abzuwischen.
Wer in verschiedenen Foren unterwegs ist, der erlebt wie alles an den Haaren herbeigezogen wird, nur um ihren Hass den Bauern gegen über aus zudrücken. Genau geht es auch beim LsV. Ich behaupte mal, dass die Medien den Brief absichtlich falsch Interpretieren, das gibt Scheine durch die Foren.
Was damit bei dem bäuerlichen Nachwuchs angerichtet wird, interessiert niemand. Alle reden vom Umweltschutz, doch wo ich heute die Prospekte durchgelesen habe, da merkt man nichts vom Umweltschutz. Weltweit wird Obst eingeflogen, das wird gekauft auch von Menschen, die derzeit über die Spargelbauern Hassbeiträge schreiben.
Meinen Lebensunterhalt habe ich durch Wein und Obstbau verdient. Was glauben sie was für Obst es gibt, das nicht optimal gedüngt wird? Stimmt die Größe nicht, dann nimmt der Markt und der Verbraucher die Ware nicht ab, so einfach ist das.
Es ist nicht zu leugnen, dass es manchmal Probleme mit der Nitrathöhe gibt, da muss was gemacht werden, dass bei geringem Nitratwert auch eine Unterdüngung erfolgen soll, damit treibt man Bauern in den Ruin.
Die oftmals hochgejubelten bäuerlichen Familienbetriebe sind dem endgültigem Untergang geweiht und die Politiker, die das fordern, haben keine Ahnung.
Die Gemeinschaft müsste umdenken,
wer an die Verwirklichung glaubt, der glaubt auch noch daran, dass der Storch die Kinder bringt.
Was meinen Betrieb betrifft, meine Kinder haben sich rechtzeitig verabschiedet und Arbeiten als Softwareentwickler.
Ihnen auch noch einen restlichen schönen Sonntag.
Sie finden das immer noch ärgerlich? Wie interpretieren Sie diesen Satz?
„Wir sind uns bewusst, es können, sollen und müssen die fachlichen Gespräche fortgeführt und Entscheidungen getroffen werden – aber erst dann, wenn die Krise überstanden und wieder Normalität eingekehrt ist. Die Erfahrungen, die wir in der Bewältigung dieser außergewöhnlichen Situation gemacht haben, werden helfen, die Situation der deutschen Landwirtschaft zu bewerten und eine gute Lösung in Bezug auf die Düngeverordnung zu finden.“
Vielleicht helfen diese Artikel, im HomeOffice wieder den Blick auf das Wesentliche zu bekommen:
https://www.bauerwilli.com/wir-sollten-uns-ehrlich-machen/
https://www.bauerwilli.com/gruenehaende-helfen-die-tafeln/
https://www.bauerwilli.com/ratlos/
Immerhin danke dafür, dass Sie die Gegendarstellung veröffentlicht haben. Ich bin übrigens kein Mitglied von Land schafft Verbindung. Nur so, wegen der „hässlichen Fratze des Agrarkapitalismus“ im Kommentar von Herrn Fritsche. Geht es auch eine Nummer kleiner??
Das Wichtigste zum Schluß: Bleiben Sie gesund
Danke für Ihre sehr gut gemachten Beiträge.
Die Bosse von Land schafft Verbindung LsV sind doch allesamt
Betreiber von Biogasanlagen.
Sie produzieren in erster Linie hochsubventionierte Energie und
keine Lebensmittel.
Schon deshalb sind ihre Drohungen ein Witz !
VG
Andreas
Bauern sind die Ölscheichs von morgen, das waren die Worte einer Bundesministerin.
Dieser politische Wille wurden von einigen Bauern umgesetzt, dass jetzt diese Bauern kritisiert werden, ist mehr als befremdlich.
Im übrigen, werden diese Biogasanlagen nicht subventioniert, sondern haben eine Abnahmegarantie in der Menge und im Preis, falls sie den Unterschied überhaupt erkennen können.
Wie gehabt. Der Journalismus hat ein feines Näschen dafür aus welcher Richtung der Wind weht. Und diese Richtung wird bedient.( Auflage ist alles)
Nirgendwo ist bei LSV eine Drohkulisse aufgebaut worden. Es ist schon abenteuerlich, da was rein zu interpretieren!
Lieber Herr Korrmann,
ich habe mich ganz bewusst in meinem Artikel auf den Wortlaut des offenen Briefes bezogen und nicht auf seine Interpretation durch Journalisten – den habe nicht nur ich als sehr unangemessene Verknüpfung der Lebensmittelversorgung mit dem jahrzehntealten Problem der Nitratbelastung unseres Wassers verstanden.
Und noch ein Wort, weil Sie anscheinend unglücklich darüber waren, dass Ihr Kommentar nicht schnell genug veröffentlicht wurde: Geschrieben Samstag abends kurz vor 19 Uhr, im Netz kurz nach Mitternacht – ich glaube, diese Verzögerung muss drin sein. Auch Journalistinnen haben gelegentlich Freizeit 😉
Mit besten Grüßen eine gute Nacht!
Werte Frau Schickling,
LsV droht nicht, sie machen Nägel mit Köpfen. Die wollen ihren Widerstand tatsächlich bis vor das Bundesverfassungsgericht bringen.
Was war geschehen?
In einem Grundwassermesspunkt auf der Bruchsaler Gemarkung (umgeben von 3 Seiten mit Wald, einer Mähwiese und einem Acker) wurden ständig erhöhte Messwerte festgestellt. Die Schuld wird natürlich der Landwirtschaft zugewiesen. Die Frage ist nur, woher kommen Koffein und Rückstände von Antibabypillen, die im Grundwasser nachgewiesen wurden?
LsV behauptet, dass Antibabypillen nicht in der landwirtschaftlichen Viehhaltung verwendet wird.