Dass sich der Verkehr über die Alpen an Urlaubswochenenden staut – geschenkt! Aber an einem ganz normalen Donnerstagnachmittag? Es wird Zeit, Gütertransport anders zu denken – endlich!
Es ist fast ein Vierteljahrhunder her: Ich war zum Drehen in der Schweiz, ein Film für den WDR über die NEAT, die neue Eisenbahn-Alpentransversale , die den Gütertransport über die Alpen auf Züge in langen Tunneln bringen sollte. Damals wurde in der Schweiz über den Bau des Gotthardbasistunnels gestritten. Wie dringend der gebraucht wurde, erlebte ich beim Lehrer des Dörfchens Wassen – die älteren unter uns kennen den Ort aus dem legendären Emil-Sketch.
Wenn in den Bergen nur der Verkehr rauscht
Ich beginne mein Interview damals 1996 im Wohzimmer. Der Dorflehrer erzählt von seinem Alltag und geht gleichzeitig Richtung Balkon. Beim Reden öffnet er die Tür und tritt hinaus in den Sommertag, und ab diesem Moment versteht man von dem, was er sagt, nicht ein Wort mehr, so laut braust hundert Meter entfernt der internationale Alpentransit an seinem Haus vorbei.
Der LKW-Stau auf der rechten Spur der Gotthard-Autobahn reichte an den meisten Tagen bis ins Tal. Und es wurde stetig mehr Verkehr. 2016 wurde der Gotthardbasistunnel eröffnet, und laut Schweizer Güterverkehrsverlagerungsgesetz sollten zwei Jahre später noch maximal 650000 Lastwagen die Schweizer Alpen queren dürfen. Stattdessen war es eine knappe Million. Der Tunnel war sicher dennoch eine gute Idee. Ohne ihn wären es womöglich nochmal so viele, wie etwa am Brenner. Aber mich hat der Anblick der endlosen LKW-Kolonnen dennoch geärgert, als ich am vergangenen Donnerstag seit langem mal wieder über den Gotthard fuhr.
An etwa 200 Tagen im Jahr staut sich der Verkehr am Gotthard, auf beiden Seiten. Mal ganz abgesehen von den Nerven, die das alle kostet, die dort warten: Dabei entsteht mitten im Gebirge eine enorme Abgasbelastung. Immerhin haben die Schweizer einen gewissen Teil des Verkehrs auf die Schiene bekommen. Es könnte viel mehr sein, wenn nicht gerade Deutschland beim Bau der Zuleitungen zur NEAT enorm hinterherhinken würde, übrigens nicht nur zu den Schweizer Routen sondern auch bei der Strecke zum Brenner. Wo es in Österreich schon zahlreiche Tunnel gibt, ist bei uns noch nicht mal die Streckenführung durchs Genehmigungsverfahren.
Es könnte erst recht viel mehr sein, wenn die EU Arbeitsschutzgesetze bei LKW-Fahrern energischer durchsetzen würde – denn der Transport auf der Straße ist auch deshalb so konkurrenzlos billig, weil die Menschen hinterm Steuer noch schlechter behandelt werden, als rumänische Fleischhauer in deutschen Schlachthöfen. Oder wenn die LKW via Maut in realistischem Umfang für die Schäden aufkommen müssten, die ihre schweren Fahrzeuge für die Straßen und vor allem die Umwelt verursachen.
Vielleicht sollten wir das ganze allerdings noch grundsätzlicher denken: Ein großer Teil des LKW-Verkehrs entsteht ja auch deshalb, weil die Wirtschaft das Prinzip der Lagerhaltung aufgegeben hat, zugunsten der „Right-in-time“-Strategie: Alles wird immer erst dann geliefert, wenn es gebraucht wird. Das ist für uns Kunden manchmal ganz schön nervig, weil selbst gängige Teile, etwa in der Autowerkstatt, nie vorrätig sind, sondern immer erst geordert werden müssen. Und das ist für die Umwelt nicht gut, weil das zwangsläufig zu mehr Verkehr (und zuweilen halb leeren LKW) führt, wenn die Bestellung dann schleunigst geliefert werden soll.
Ich war bei meiner Fahrt über den Gotthard wieder einmal tief berührt davon, wie schön die Alpen doch sind. Was für eine beeindruckende, archaische Landschaft. Wie wichtig wäre es, wenn wir diese Landschaft gemeinsam bewahren würden. Ein Windrad stört mich persönlich da kaum. Aber immer mehr LKW, das stört mich gewaltig.
Ich wohne im südlichen Wipptal in der Nähe von Sterzing.
Über 20 Jahre war ich arbeitsbedingt Pendler von Rosenheim nach Sterzing.
In all diesen Jahren war ich immer konfrontiert mit Verkehrsprobleme, Staus,
politische Polemik über den Brenner bzw. der Autobahn.
Ich bin vor Jahren dem Transitforum Tirol beigetreten, weil dies die einzige
Institution in den betroffenen Ländern ist, die bereit ist, sich für die Bevölkerung einzusetzen.
Geboren und aufgewachsen bin ich in in Bayern, der Staat der am meisten
bremst, wenn es um die Verkehrsproblematik geht. Aktuell sieht man
im Inntal wo die Probleme liegen.
Natürlich wehren sich die Inntaler gegen Baumaßnahmen im Inntal, weil es um ihre Heimat geht, aber sind wir im nördlichen und südlichen Wipptal Menschen 2. Klasse, nur weil die Bayern, bzw. Deutschen keinen Plan haben.
Das gleiche gilt für die Italiener.
Wir in Tirol haben damals für den BBT gestimmt und Politiker aller Klassen
überschütteten sich selbst mit Lobeshymnen über das Projekt.
Geblieben ist die Tunnelbaustelle die erfreulicherweise fortschreitet und
wenigstens Hoffnung gibt, aber sonst ist Funkstille.
Wie gesagt, in Bayern wissen sie noch nicht einmal wie man Zulaufstrecken schreibt.
Bleibt das ganze menschliche Leid. Ich lade jeden einmal zu einem
Wochenende nach Sterzing ein, um einmal zu sehen, wie Menschen hausen,
die angeblich systemrelevante Fracht durch Europa karren und dort
ihr Wochenendfahrverbot verbringen. Samstag Mittag ist meist das Dosenbier ausverkauft.
Die Verkehrsproblematik ist ein Problem von vielen die unsere Gesellschaft
im Moment heimsuchen, aber es ist sichtbar und je mehr Sonderangebote
es in Discountern gibt und je geiler Geiz ist umso mehr werden die Lohnsklaven
auf den Autobahnen unterwegs sein.