Wir können mit unseren Kaufentscheidungen viel mehr bewegen, als uns klar ist. Selbst internationale Großkonzerne fürchten den Shitstorm – und vor allem dessen Folgen an der Kasse. Diese Macht sollten wir viel konsequenter nutzen!
Ich könnte mir vorstellen, dass sich die Chefetage von Adidas noch immer ein Loch in den Bauch ärgert – gemeinsam mit einigen anderen großen Handelsketten hatte der Sportartikelhersteller aus Herzogenaurach angekündigt, seine Mietzahlungen für Läden aussetzen zu wollen, wegen des Corona-Shutdowns. Der darauf folgende Shitstorm war gewaltigt: Die sozialen Medien waren voll von Boykott-Drohungen erboster potentieller Käufer*innen. Mal ganz abgesehen davon, dass Adidas etwas Pech hatte, vielleicht weil viele Zeitungsartikel die betroffenen Firmen schlicht alphabetisch aufgezählt haben: Es hat funktioniert. Reumütig nahm die Firmenleitung den Plan zurück. Ergebnis: kein Geld gespart, und trotzdem ein ganz mieses Image…
Dr. Oetker und Titanoxid
Einen anderen Internet-Wutanfall der Kundschaft hat gerade der Lebensmittelriese Dr. Oetker erleben müssen: Die Verbraucherorganisation Foodwatch hatte zum Protest gegen die Verwendung von potentiell krebserregendem Titandioxid aufgerufen. Der Weißmacher steckt in Sonnencreme, Tabletten, Farben, Lacken, Kunststoffen, Gummi, Papier, aber auch in Mozzarella, Marshmallows, Kuchenverzierung, Kaugummi oder Zahnpasta, immer da, wo Lebensmittel glänzender und frischer aussehen sollen. In Frankreich ist das weiße Pigment mit der E-Nummer E171 seit diesem Jahr verboten.
Fast 45.000 Menschen haben Dr. Oetker über eine Foodwatch-Online-Aktion aufgefordert, auf die Verwendung dieses umstrittenen Zusatzstoffes zu verzichten – nun hat Dr. Oetker zum ersten April seine Produktion umgestellt und verwendet kein Titanoxid mehr in seinen Produkten. Protest funktioniert – die Industrie will uns etwas verkaufen. Und mit dem Internet haben wir ein Werkzeug in die Hand bekommen, das wir nutzen können, um unsere Unzufriedenheit zu artikulieren. Allerdings haben wir daneben ein noch viel wirksameres Mittel: unsere Kaufentscheidung!
Eier von glücklichen Hühnern
Seit 2004 gibt es eine EU-Verordnung, die regelt, wie Eier gekennzeichnet werden müssen. Seitdem muss jedes Ei, das in der EU vermarktet wird, einzeln beschriftet sein. Anhand einer Nummer können wir genau sehen, wo unter welchen Bedingungen das Ei gelegt wurde. Diese Regelung führte damals zu einer Revolution: Binnen kurzer Zeit verschwanden Eier aus Legebatterien aus dem Angebot! Und nicht etwa, weil ihr Verkauf verboten worden wäre: Das war in Deutschland erst ab 2010 und EU-weit ab 2012 der Fall. Die großen Supermarktketten listeten Käfigeier vielmehr deshalb aus, weil sie plötzlich wie Blei in den Regalen lagen. Sobald wir als Kunden ein transparentes System zu Verfügung hatten und damit direkt entscheiden konnten, fiel diese Entscheidung sehr eindeutig aus: keine Eier aus Legebatterien! 2004 kamen Käfigeier bei uns in Deutschland noch auf einen Marktanteil von rund 53 Prozent. Heute ist mehr als jedes zehnte lose verkaufte Ei in Deutschland ein Bio-Ei und immerhin jedes vierte Ei stammt von Freilandhühnern.
Was genau bedeuten die Nummern auf dem Ei?
Die EU-Verordnung zur Vermarktung von Eiern schreibt vor, dass jedes Ei mit einem gut lesbaren Erzeugercode gekennzeichnet sein muss. Dieser Code verrät dem Käufer schon eine ganze Menge über die Umstände, unter denen dieses Ei gelegt wurde: Die Zahl ganz vorne gibt Auskunft darüber, wie die Legehenne gehalten wurde: 0 – Eier aus Bio-Haltung Hier dürfen im Stall höchstens sechs Tiere pro Quadratmeter leben. Ihr Stall ist mit Sitzstangen ausgestattet, mit einer Länge von mindestens 18 Zentimetern pro Tier. Wenigstens auf einem Drittel der Fläche sind Stroh, Holzspäne oder Sand eingestreut. Außerdem stehen jeder Henne mindestens vier Quadratmeter Auslauf zur Verfügung. Die Tiere erhalten ausschließlich Futter aus ökologischem Landbau. Noch mehr Platz haben Legehennen übrigens, wenn auf der Packung das Siegel des Bio-Verbandes Demeter prangt: Da sind sogar nur 4,4 Hennen pro Quadratmeter Stallfläche erlaubt. 1 – Eier aus Freilandhaltung Hier geht es schon enger zu: Neun Tiere pro Quadratmeter im Stall sind zulässig. Dieser muss ebenfalls Sitzstangen haben und zu einem Drittel eingestreut sein. Außerdem haben die Hennen tagsüber Auslauf im Freien, wie beim Bio-Ei müssen auch hier jeder Henne mindestens vier Quadratmeter zur Verfügung stehen. 2 – Eier aus Bodenhaltung Wie bei der Freilandhaltung dürfen neun Tiere pro Quadratmeter Bodenfläche gehalten werden, allerdings bekommen diese Hennen keinen Auslauf. Sie leben in einem geschlossenen Stall. Es gibt Nester auf mehreren Etagen, wo die Hennen ihre Eier ablegen können. Auch hier ist mindestens ein Drittel des Stalls eingestreut, damit die Tiere am Boden scharren können. 3 – Eier aus Käfighaltung Jetzt wird es richtig eng: Pro Quadratmeter dürfen 13,33 Hennen gehalten werden – umgerechnet bedeutet das, dass einem Huhn 0,075 Quadratmeter Käfigfläche zustehen. Das ist ein bisschen mehr als ein DIN-A4-Blatt. Seit 2012 dürfen in der gesamten EU Legehennen nur noch in sogenannten ausgestalteten Käfigen gehalten werden, mit einem Legenest, Einstreu und Sitzstangen. Die Käfige müssen mindestens 50 Zentimeter hoch sein. Eine ausgewachsene Henne ist 30 bis 40 Zentimeter groß – viel Platz zum Strecken bleibt da nicht … Damit ist der Alltag eines Käfighuhns heute zwar deutlich besser, als er es zu Zeiten der Legebatterien war. Heutzutage leben die Hühner der Kategorie 3 in sogenannten Kleingruppen oder Kleinvolieren. Klingt hübsch, ist aber kaum weniger eng als die berüchtigte Legebatterie. Auch hier stehen die Tiere auf Drahtgittern, damit ihr Kot durch die Öffnungen fällt – das spart die Zeit fürs Ausmisten. Was so liebevoll mit »Legenest« umschrieben wird, ist in der Regel eine Gummimatte auf dem Drahtrost, mit einem Plastikvorhang als Sichtschutz. Das Bundesverfassungsgericht hat schon im Oktober 2010 entschieden, dass die Haltung von Hennen in solchen Kleingruppen-Käfigen verfassungswidrig ist.20 Der Bundesrat hat infolgedessen am 6. November 2016 beschlossen, auch diese modifizierte Form der Käfighaltung von Legehennen künftig zu verbieten, allerdings mit sehr großzügigen Auslauffristen: Bestehende Betriebe dürfen bis 2025 so weitermachen, in »besonderen Härtefällen« sogar bis 2028. Der Härtefall, wohlgemerkt, ist hier der Betreiber, nicht das geschundene Huhn … Aber immerhin: Die Diskussionen in der Öffentlichkeit, die Reaktion der Justiz und des Gesetzgebers, nicht zuletzt aber unser Verhalten als Verbraucher haben etwas bewegt. 2008 lebten laut Statistischem Bundesamt noch rund 60 Prozent der konventionellen Legehennen im Käfig, 2016 waren es nur noch etwa 12 Prozent. Weiter geht es mit der Beschriftung auf dem Ei: Die folgenden Buchstaben geben Auskunft über das Herkunftsland. Und hier kann man in die erste Falle tappen: Ausschlaggebend ist nämlich nur das, was direkt auf dem Ei steht. Wurden die Eier etwa in Rumänien gelegt, aber in Österreich verpackt, dann darf auf der Verpackung »A« für Österreich stehen. Beim Blick in den Eierkarton lohnt es sich also nicht nur, zu prüfen, ob die Eier unzerbrochen sind, sondern auch, wo sie tatsächlich erzeugt wurden. Die nächsten beiden Zahlen zeigen, aus welchem Bundesland mein Frühstücksei stammt. Für Deutschland ist das folgende Zahlenkennung: 01 = Schleswig-Holstein 02 = Hamburg 03 = Niedersachsen 04 = Bremen 05 = Nordrhein-Westfalen 06 = Hessen 07 = Rheinland-Pfalz 08 = Baden-Württemberg 09 = Bayern 10 = Saarland 11 = Berlin 12 = Brandenburg 13 = Mecklenburg-Vorpommern 14 = Sachsen 15 = Sachsen-Anhalt 16 = Thüringen Die restlichen Ziffern bezeichnen den Betrieb. Auf der Seite des Vereins für kontrollierte alternative Tierhaltungsformen lassen sich registrierte Betriebe nachschlagen. Zumindest bei frisch verkauften Eiern lässt sich also jedes einzelne Ei ganz genau zurückverfolgen. Diese Passage stammt aus meinem Buch „Besser Einkaufen“, wo es noch viel mehr Tipps und Erläuterungen zum verwirrenden System von Kennzeichnungen und Siegeln in Deutschland gibt
Leider gilt diese kundenfreundliche Kennzeichnungsregelung nur für frische Eier. Sobald das Ei verarbeitet wird, endet die Transparenz. Ob die Eier für mein Stück Käsekuchen aus der Bäckerei oder für die Eiernudeln zum Mittagessen nun aus einer Legebatterie irgendwo in der EU oder von einer grünen Wiese bei mir um die Ecke stammen, kann ich als Verbraucher nicht wissen. Schon wenn ein Ei gefärbt als Osterei in den Handel kommt, muss die Herkunft nicht mehr verzeichnet werden. Eine ärgerliche Gesetzeslücke! Einige Hersteller geben mittlerweile trotzdem freiwillig auf der Verpackung an, welche Eier sie verwenden – weil sie erkannt haben, dass sich Produkte MIT dieser Information besser vermarkten lassen. Auch hier hat unser Verhalten als Käufer*innen schon etwas bewirkt.
Lebensmittel ohne Käfigeier
Die Albert-Schweitzer-Stiftung listet auf ihrer Webseite Firmen auf, die auf die Verwendung von Käfigeiern verzichten. Dort steht auch, was zum Einsatz kommt: Bodenhaltungs-, Freiland- oder Bio-Eier.
Richtig einkaufen
Firmen nehmen wahr, wo wir zugreifen, und wo nicht. Allerdings brauchen wir dafür auch die richtigen Informationen. Da wäre die Politik gefragt, mit Kennzeichnungsrichtlinien, die echte Transparenz schaffen, so wie bei lose verkauften Eiern. Bis dahin können wir beim Einkaufen genau hinschauen und im Zweifel direkt beim Hersteller nachfragen – jedes Produkt muss seiner Kundschaft eine Kontaktmöglichkeit auf der Verpackung bieten. Vor allem aber sollten wir jene Firmen belohnen, die freiwillig für Transparenz sorgen. Und Firmen meiden, die die Corona-Krise zum Anlass nehmen, um Regelungen auszunutzen, die nicht für sie gedacht waren. Neben Adidas waren das übrigens unter anderem auch H&M, Deichmann, Galeria Kaufhof und Puma.
2 Kommentare
Günter Reichard am 22. April 2020 um 21:14
Natürlich ist es wichtig, Auswüchse des ungezügelten Einzelhandels und der dazugehörigen Konzerne offenzulegen und publik zu machen. Blogs wie diesen gibt es viel zu wenig. Aber das Grundübel sehe ich in der Politik, bzw. im ungezügelten kaum kontrollierten Lobbyismus der Konzerne, die gnadenlos ihre Interessen durchsetzen wollen und zum größten Teil auch durchsetzen. Addidas war in diesem Fall ein Betriebsunfall. Einzig Einigkeit bei den Verbrauchern könnte Abhilfe schaffen, wenn sich eine ernstzunehmende Menge aus Verbrauchern zusammenschließen würden. Für mich sind die Verbraucher ein Buch mit sieben Siegeln. In Umfragen sind alle für Bio, für Nachhaltigkeit, Regionalität usw. Die Realitäten in den Statistiken, bei den Bilanzen der Discounter schaut dann ganz anders aus. Dies spiegelt sich auch bei den Lebensmittel Erzeugern nieder, immer größer, immer mehr Tiere, die Bauern können anders nicht mehr überleben, dabei ist es völlig wurscht ob Bio oder konventionell. Ich darf auf einem Bergbauernhof leben, und versuche mich so zu ernähren, wie es früher auch üblich war, und es geht… Ich war vor 12 Jahren das letzte Mal bei einem Discounter, Das meiste kommt aus der näheren Umgebung. Der Verbraucher wird auf Dauer nur mehr Mitspracherecht bekommen, wenn er es schafft, sog. systemrelevante Politiker auf seine Seite zu bekommen. Und mit solchen Blogs wie diesen.
Natürlich ist es wichtig, Auswüchse des ungezügelten Einzelhandels und der dazugehörigen
Konzerne offenzulegen und publik zu machen. Blogs wie diesen gibt es viel zu wenig.
Aber das Grundübel sehe ich in der Politik, bzw. im ungezügelten kaum kontrollierten
Lobbyismus der Konzerne, die gnadenlos ihre Interessen durchsetzen wollen und zum
größten Teil auch durchsetzen.
Addidas war in diesem Fall ein Betriebsunfall.
Einzig Einigkeit bei den Verbrauchern könnte Abhilfe schaffen, wenn sich eine ernstzunehmende
Menge aus Verbrauchern zusammenschließen würden.
Für mich sind die Verbraucher ein Buch mit sieben Siegeln. In Umfragen sind alle für Bio,
für Nachhaltigkeit, Regionalität usw. Die Realitäten in den Statistiken, bei den Bilanzen der
Discounter schaut dann ganz anders aus.
Dies spiegelt sich auch bei den Lebensmittel Erzeugern nieder, immer größer, immer mehr
Tiere, die Bauern können anders nicht mehr überleben, dabei ist es völlig wurscht ob Bio oder
konventionell.
Ich darf auf einem Bergbauernhof leben, und versuche mich so zu ernähren, wie es
früher auch üblich war, und es geht… Ich war vor 12 Jahren das letzte Mal bei einem Discounter,
Das meiste kommt aus der näheren Umgebung.
Der Verbraucher wird auf Dauer nur mehr Mitspracherecht bekommen, wenn er es
schafft, sog. systemrelevante Politiker auf seine Seite zu bekommen.
Und mit solchen Blogs wie diesen.
Vielen Dank.