In Deutschland beherrschen vier große Handelskonzerne den Lebensmittelmarkt – Aldi, Lidl, REWE und Edeka. Dadurch entsteht ein enormer Preisdruck auf Bauern und Lebensmittelhersteller, der auch für uns als Kundschaft nicht unbedingt gut ist
Warum eigentlich? Ist doch toll, dass wir günstig einkaufen können, oder? Nicht wirklich! Denn den wahren Preis für unsere Lebensmittelschnäppchen zahlen wir längst anderswo: über die Subventionen, mit denen wir die Bauern gerade so überleben lassen, weil wir ihnen für ihre Erzeugnisse oft nicht mal mehr den Selbstkostenpreis zugestehen. Oder über die Trinkwasserpreise, weil die hoch industrialisierte Landwirtschaft für eine extreme Nitratbelastung des Grundwassers sorgt. Und den Preis zahlen natürlich Millionen Tiere, die unter unzumutbaren Bedingungen gehalten werden. Zu guter Letzt bekommen wir für unser kleines Geld dann auch nur kleine Qualität.
Vor einigen Jahren durfte ich bei einem der ganz Großen in der Geflügelerzeugung hinter die Kulissen blicken: Wiesenhof. Der Hähnchenmäster erzeugte damals 2010 zwei Fünftel der Brathähnchen, Chicken Wings und Co, die auf unseren Tellern landen. Neben frischem Fleisch produzierte Wiesenhof auch diverse Geflügel-Fertiggerichte. Für diese Produkte kaufte der Hersteller damals das Fleisch in Brasilien – die eigenen Hähnchen wären angesichts der Endpreise, die ihm der Handel vorgab, zu teuer gewesen. Selbst ein Branchenriese wie Wiesenhof kann sich diesem Druck also nicht entziehen. Wer ausgelistet wird, weil er die Preisvorgaben nicht einhalten kann, verliert durch die Konzentration im Lebensmitteleinzelhandel gleich ein Sechstel bis Viertel seines Absatzmarktes. Also müssen die Lieferanten immer neue Wege finden, immer noch billiger zu produzieren. Ersetzen etwa bei Fertiggerichten immer mehr teure „echte“ Lebensmittel durch kostengünstigere Verdicker, Aromen und Geschmacksverstärker. Kaufen Zutaten weltweit ein, immer da, wo die Preise gerade am niedrigsten sind.
Tipp zum Weiterlesen
Ich möchte hier einige alternative Möglichkeiten aufzeigen, wie wir trotzdem zu guten Lebensmitteln kommen können. Wie wir so einkaufen können, dass ein möglichst großer Teil des Verkaufspreises tatsächlich an der Quelle der Lebensmittel landet und nicht bei Zwischenhändlern oder Handelsriesen. Dies ist eine sehr subjektive und unvollständige Liste von Initiativen und Anlaufstellen, die ich kenne und gut finde, und ich freue mich über alle Ergänzungen und Anregungen in den Kommentaren.
Einkaufen auf dem Markt
Ein Markt ist nicht zwangsläufig ein direkter Vertriebsweg – auch Standbetreiber kaufen oft auf dem Großmarkt ein. Aber immerhin habe ich hier schon mal einen direkten Ansprechpartner, der an der Auswahl der Waren in der Regel beteiligt war und mir etwas über ihre Herkunft, ihre Erzeuger oder ihre Herstellungsbedingungen erzählen kann. Das Gleiche gilt allerdings auch für gute Lebensmittelgeschäfte – „mein“ türkischer Obsthändler um die Ecke kann mir genau erklären, warum er was im Großmarkt mitnimmt und was nicht.
Eine direktere Quelle sind Bauernmärkte, die es selbst in großen Städten fast überall gibt. Auch wenn ich mir oft wünschen würde, dass deren Öffnungszeiten sich etwas mehr an den Arbeitszeiten ihrer Kundschaft orientieren – 8:00-13:00 Uhr schließt einen großen Teil davon leider aus… Und wir müssen uns dort daran gewöhnen, saisonal einzukaufen – denn logischerweise gibt es bei Erzeugermärkten nur das, was gerade Erntezeit hat. Aber für die Umwelt ist das ohnehin die nachhaltigere Art einzukaufen.
Tipps zum Einkaufen mit guter Ökobilanz
Direktverkauf und Hofläden
Hofläden sind natürlich der direkteste Weg. Jetzt wohne ich in München-Schwabing, damit scheidet das Fahrrad als Verkehrsmittel zum nächsten Hofladen schon mal aus. Aber es gibt mittlerweile viele Möglichkeiten, direkt bei den Bauernhöfen einzukaufen, selbst wenn die am anderen Ende der Welt liegen. Mein Sohn und ich trinken zum Beispiel besonders gerne Orangensaft frisch gepresst. Die Früchte dafür kaufen wir schon seit ein paar Jahren direkt bei Naranjas del Carmen, einem Hof in der Nähe von Valencia – die Orangen sind 48 Stunden nach der Ernte bei uns, halten locker 3-4 Wochen (weil sie in dieser Zeit nicht zwischen diversen Zwischenlagern herumreisen, bis sie bei uns im Einkaufskorb landen, sondern ohne Umwege direkt zu uns kommen) und kosten etwa das, was Bio-Organgen eben so kosten.
Ähnliche Projekte gibt es mittlerweile viele. Oft ist Teil des Prinzips, dass man am Anfang in einen Baum oder ein Feld oder einen Bienstock „investiert“. Neben dem Ausschalten des Zwischenhandels gibt es dadurch etwas mehr Planungssicherheit für die beteiligten Landwirte.
Weblinks zu Crowdfarming-Projekten
https://www.crowdfarming.com/de
Ein besonders schönes Projekt in der Schweiz: Die Firma Gebana vertreibt seit Jahren weltweit ab Hof, schafft Marktzugänge und betreibt auch eigene Projekte in Entwicklungsländern, um dort möglichst viel Wertschöpfung zu generieren.
https://www.gebana.com/de/
Jetzt aktuell hilft das Gebana-Team auch Schweizer Bauern, denen Kunden in der Gastronomie weggebrochen sind, bei der Vermarktung ihrer Erzeugnisse, unter dem Stichwort „Bauern suchen Kunden“. Kein billiges Einkaufsvergnügen, aber ein sinnvolles und qualitativ hochwertiges…
https://www.gebana.com/shop/bauern-suchen-kunden/
Mehr Informationen zum Prinzip Crowdfarming hat das Info-Portal „Utopia“ zusammengestellt.
Bei Fleisch gefällt mir der Ansatz besonders gut, Tiere erst dann zu schlachten, wenn die Vermarktung des gesamten Tieres sichergestellt ist, das so genannte Crowdbutching. Pionier dabei ist „Kauf ne Kuh„, ein Anbieter, der mittlerweile auch Schwein und Geflügel im Angebot hat. Direkt vom Hof, und es wird alles Essbare verwertet, nicht nur Schnitzel oder Filet.Ein anderer Anbieter ist „Besserfleisch“. Manche Höfe verkaufen ihre Tiere ebenfalls vorab, ohne Portal. Adressen gibt es hier.
Solidarisches Einkaufen
Noch mehr Planungssicherheit für die Höfe bietet das Prinzip der solidarischen Landwirtschaft – dabei investiert man direkt einen regelmäßigen Beitrag und trägt so die Kosten eines landwirtschaftlichen Betriebs. Im Gegenzug erhält man dessen Ernteertrag. Teilweise gehören auch ein paar Tage Erneteinsatz dazu. Regional und saisonal, sehr direkt an der Wurzel – das muss man mögen. Aber es ist auf jeden Fall ein schöner Weg, einen unmittelbareren Bezug zu dem zu bekommen, was wir Tag für Tag essen, auch wenn das sicherlich ein Nischenmarkt ist.
Unter dem Dach der Regionalwert Treuhand organisieren sich zahlreiche Betriebe, wo ebenfalls Verbraucher*innen direkt in „ihre“ Lebensmittel investieren können, allerdings ohne dafür eine „Lebensmittelrendite“ zu erhalten. Dafür aber stärken sie nachhaltig wirtschaftende Betriebe und übernehmen gewissermaßen eine Mitverantwortung für die Lebensmittelerzeugung in ihrer Region, auch wenn das jetzt keine unmittelbare Einkaufsquelle ist..
Doch auch im Handel tut sich etwas, beim Versuch, fair erzeugte Lebensmittel hoher Qualität präsenter zu machen. Schon seit rund drei Jahren gibt es in Frankreich eine Initiative, die von Verbrauchern entwickelte Produkte unter der Verbrauchermarke „C’est qui le patron?!“ im Lebensmitteleinzelhandel erfolgreich vermarktet. Diese tolle Idee gibt es jetzt auch in Deutschland: „Du bist hier der Chef„. Auf deren Internetseite wird das Projekt so beschrieben:
Wir Verbraucher entscheiden selbst, was uns wichtig ist! Wir wählen ein Produkt aus, äußern unsere Erwartungen und Präferenzen dank eines Online-Fragebogens, entscheiden zusammen über relevante Produktmerkmale (Herkunft, Produktionsprozess, Vergütung für die Landwirte, Qualität, Tierwohl, Verpackungsart, …) und bestimmen so den Verkaufspreis mit. Demokratisch werden alle Antworten ausgewertet und in einem Pflichtenheft zusammengefasst: so entsteht das ideale Produkt für uns Verbraucher. Parallel werden Landwirte, Hersteller und Händler als Partner ausgesucht, damit das Produkt den Weg in die Supermarktregale finden kann. Sobald die Vermarktung läuft, lassen wir die Einhaltung der von uns Verbrauchern festgelegten Produktmerkmale doppelt kontrollieren: zum einen durch ein externes Prüfungsinstitut, zum zweiten durch unsere eigenen Besuche bei den Partnern.
Für Milch läuft gerade die Suche nach Händlern, bei Eiern, Kartoffeln und Milch die Planung.
Ökokisten
… sind ein weiterer Weg, direkt beim Erzeuger einzukaufen, ohne deshalb weit fahren zu müssen. In aller Regel wöchentlich gibt es ein Sortiment aus Obst und Gemüse; teilweise kann man auch noch Milchprodukte oder andere Lebensmittel dazubestellen. Besonders gut geeignet für alle, die regelmäßig kochen und sich über Inspiration freuen. Mir ging das als junge Mutter so – ich hätte nie von alleine etwa Rote Bete gekauft. Als sie aber in der Lieferkiste lagen, ging ich auf Rezeptsuche, und den roten Risotto isst sogar mein gemüseskeptischer Sohn bis heute gern… Wenn man den Begriff „Ökokiste“ googelt, stößt man auf eine Vielzahl von Anbietern. Auf dieser Seite sind rund 40 davon aufgelistet. Die Hamburger Regionalwert AG hat neuerdings eine Abokiste namens Liekedeeler im Angebot, ähnliche Konzepte in Bremen und Bonn stehen in den Startlöchern.
Essen retten
Besonders ärgerlich, nicht nur zu Corona-Zeiten, ist es, wenn Lebensmittel gar nicht erst auf unseren Tellern landen, sondern direkt im Müll. Mich ärgert das bei Fleisch am meisten – ein Mitarbeiter in einem großen Supermarkt erzählte mir mal bei einem Dreh, dass bei ihnen abends etwa ein Viertel der aufgeschnitten Ware im Müll landet. Ich finde das immer noch schockierend und kaufe deshalb lieber in Läden, wo Wurst und Fleisch stets frisch aufgeschnitten werden – die fünf zusätzlichen Minuten, die das Warten dauert, sind immer drin!
Es gibt inzwischen aber auch zahlreiche Initiativen, die sich um die Rettung von Lebensmitteln kümmern, die auf dem Weg in die Tonne sind. Die Firma „Etepete“ vertreibt Obst- und Gemüsekisten mit krummen Gurken oder zweibeinigen Möhren. In München gibt es einige Supermärkte, die Lebensmittel kurz vor Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums kostenlos abgeben. Das Portal „To good to go“ vernetzt Geschäfte und Gastrobetriebe mit übriggebliebenen Lebensmitteln und potentielle Esser. In Köln betreiben die „Essensretter“ einen eigenen kleinen Supermarkt. Und wer sich bei „Foodsharing“ registriert, kann auf ein großes Netzwerk von Teilnehmern zugreifen, Reste einsammeln oder selbst Übriggebliebenes weitergeben.
Wie gesagt – dies ist eine unvollständige Sammlung subjektiv zusammengetragener Favoriten. Ich lerne daraus, dass es offensichtlich eine wachsende Zahl von Menschen gibt, die wie ich unzufrieden sind mit der Art und Weise, wie bei uns Lebensmittel gehandelt werden. Gerade das Internet bietet uns heute viele Möglichkeiten, selbst über Handelswege zu entscheiden. Diese Chance sollten wir nutzen.