Nachdem ein Kaffeebecher sogar mein neues Buch ziert, möchte ich mich heute hier im Blog mit dem Inhalt beschäftigen. Was den meisten bei den Diskussionen um den richtigen Becher oder die beste Zubereitungsweise oft entgeht: Die Ökobilanz des Inhaltes ist deutlich relevanter
Kaffee ist ein Getränk mit schwierigem CO2-Abdruck: Für den Anbau wurde womöglich Urwald gerodet, die Felder wurden mit Pestiziden bearbeitet. Dann benötigt der Kaffeeanbau immens viel Wasser: Die Herstellung von einem Kilo Kaffee, verbraucht etwa 21.000 Liter der kostbaren Ressource. Das sind, ja, kein Tippfehler, stolze 140 Liter pro Tasse. Ein Viertelliter Tee kommt im Vergleich dazu mit nur 30 Litern aus, was nebenbei gesagt immer noch viel ist.
Umso wichtiger, Kaffee zu trinken, der fair und nachhaltig erzeugt worden ist. Und deshalb möchte ich hier heute ein besonderes Projekt vorstellen: Den Steamcoffee meines Kollegen und Mitschwaben Jörg Pfeiffer, der seine Geschichte hier selbst erzählt:
Die Steamcoffee-Story
Bis 2018 war ich „einfach nur“ ein freier Filmemacher, Journalist, TV-Produzent – mit Vorliebe für guten, starken Kaffee. Den trank ich seit vielen Jahren aus Herdkochern und mahlte ihn mit einer alten Schlagmesser-Mühle meiner Großmutter. Ich kaufte weder fair, noch bio, aber ganze Bohne musste es sein. Und: der Preis spielte eine Rolle: 10 Euro für ein Kilo Kaffee fand ich damals ausreichend. Bis ich mich Anfang 2019 bei einem Urlaub in das Land Costa Rica verliebte und in einigen Hofläden über die Leidenschaft und Professionalität der Kaffeebauern für ihren eigenen Kaffee staunte. Kaffee – so erlebte ich es dort – ist nicht einfach nur ein Agrarprodukt. Es steht für Lebensfreude, Genuß, ist Muntermacher und „Runterholer“ – und ist für die Produzenten ein überlebenswichtiges Produkt. Viele Kaffeeproduzenten haben eine Philosophie zu ihrer Bohne entwickelt – vergleichbar mit Wein, Sekt oder Grappa.
Ein glücklicher Zufall brachte mich ein dreiviertel Jahr später wieder nach Mittelamerika. Ein Produzent für wissenschaftliche Filme beauftragte mich mit einem Projekt über den „Fairen Handel“ am Beispiel Kaffee. Im Januar 2019 flog ich zunächst für 2 Wochen nach Honduras und drehte dort bei der Kooperative Raos in Marcala/ La Paz. Raos war die erste Kooperative des Fairen Handels in Honduras und liefert Kaffee u.a. über die GEPA auch nach Deutschland. Die Menschen dort zeigten mir jeden einzelnen Produktionsschritt – von der Aufzucht der Jungpflanzen über die Ernte und das Trocknen der Bohnen, bis zum Versand des Rohkaffees.
Kaffeeanbau geht auch nachhaltig
Die Familien, die in den Kooperativen/ Agrargemeinschaften organisiert sind (bei Raos ca. 200) bauen den Kaffee auf Schattenlagen an, d.h. die Kaffeepflanzen stehen zwischen Palmen und Zitrusbäumen. Das schützt die empfindlichen Arabica-Pflanzen – vor allem vor Sonne – und verbessert den Boden und das Mikroklima. Riesige Plantagen mit maschinengeerntetem Kaffee für den Massenmarkt gibt es hier nicht. Die findet man in Lateinamerika nur in Kolumbien und Brasilien. Die Bevölkerung in La Paz/ Honduras ist eher arm – umso mehr sind die Menschen darauf angewiesen, einen guten Preis für ihre Ernte zu erzielen. Einen Preis, den nur der Faire Handel bezahlt. Er hilft den Familien zu überleben – und fördert das Vertrauen der nächsten Generation in den Familienbetrieb. Aus den Familien der Raos-Mitglieder gab es niemanden, der sich letztes Jahr auf die Wanderung Richtung USA begeben hätte.
Nach den Dreharbeiten in Honduras reiste ich mit meinem Kamera-Equipment nach Nicaragua. In Boaco, 90 Kilometer östlich der Hauptstadt Managua haben sich etwa 250 Familien zur Kooperative „Tierra Nueva“ zusammengeschlossen. Der Name bedeutet „Neues Land“. Ich besuchte die Kooperative zusammen mit Jens Klein einem Kaffee-Importeur aus Leipzig. Er machte mich mit allen bekannt – fuhr mit mir zu einigen abgelegen wohnenden Bauern – und übersetzte, denn mein Spanisch steckte noch sehr in den Kinderschuhen.
Auch bei Tierra Nueva sind die Produzenten auf den Fairen Handel angewiesen. Das Zertifikat, mit dem Jens hier Kaffee kauft , heißt „SPP“ – das Zertifikat der Kleinbauern des globalen Südens (Sìmbolo de Pequenos Productores). Die Großhändler kaufen Kaffee zum Weltmarktpreis. Der liegt derzeit ca. bei 2,30 bis 2,40 Euro/ Kilo Rohkaffee. Jens Klein bezahlt der Kooperative „Tierra Nueva“ für 1 Kilo gewaschenen Arabica – Bio – Rohkaffee aktuell 5,00 – 5,10 EUR (entspricht ca. 850 g Röstkaffee) – mehr als das Doppelte – und liegt damit sogar noch über dem, was der Faire Handel bezahlt.
Fairtrade – leider nur eine Nische
Der Faire Handel konnte sich aufgrund seiner Unübersichtlichkeit in Bezug auf Richtlinien und Umsetzung in unserem Alltag nur schwer etablieren. Viele Kunden stehen den höheren Verkaufspreisen skeptisch gegenüber. Tatsächlich hilft der Faire Handel nicht überall gleich. Auch hier gibt es „schwarze Schafe“ und schlecht recherchierte oder schlicht unseriöse Berichterstattungen, Reportagen und Artikel. Für Honduras und Nicaragua, für die Kooperativen, die ich besucht habe, kann ich sagen: hier hilft jeder Euro dem Überleben der Familien, der Bildung der Kinder, der Unabhängigkeit der Frauen. Alles andere ist Kolonialismus in Reinform. Supermarktkaffee für 3,50/Pfund trägt ganz konkret zur Verelendung in den Anbauregionen bei. Nebenbei: 2020 „feiert“ der Faire Handel in Deutschland sein 50jähriges. Das „Zugpferd“ Kaffee hat es in dieser Zeit gerade mal auf 5-6% Marktanteil gebracht. Eigentlich ein Trauerspiel.
Nach meiner Rückkehr nach Deutschland und der Fertigstellung des Films – der inzwischen als Unterrichtsfilm in den Fächern Erdkunde und Biologie eingesetzt wird- ließ mich das Thema nicht mehr los. Ich wollte unbedingt frischen Tierra Nueva-Kaffee kurz nach der Röstung probieren. Zusammen mit einem Freund ließ ich 10 Kilo von Jens Klein rösten. Das Rösten (schonende Trommel-Röstung) ist einer der wichtigsten Schritte in der Kaffeeherstellung – und wird daher nur selten den Produzenten vor Ort überlassen. Meinen Kaffee wollte ich dunkel haben – Espresso eben – der kräftig und voll schmeckt, aber sehr ausgewogen mit den Säuren umgeht. Das ist nicht ganz einfach. Je länger die Röstung dauert, desto weniger spürbar sind die Säuren. Doch die Säuren sind auch Geschmacksträger. Nehmen sie zu stark ab, schmeckt der Kaffee fad und langweilig. Die richtige Mischung macht´s – und die ist bei jedem Rohkaffee anders.
Im Laufe der Röstung knackt der Kaffee – je nach Temperatur – zum ersten Mal nach ca. 9 – 11 Minuten. Es ist ein feines Knistern. Wenige Minuten später beginnt es zum 2. Mal zu knistern – es ist wie ein Versprechen auf einen wundervollen Kaffee. Beim 2.Knistern ist für mich erstmal Schluß. Der Kaffee kommt aus dem Röster und wird sofort heruntergekühlt. 2 Tage lang habe ich den Kaffee dann zu Hause ruhen lassen, um ihm Zeit zu geben, seine Aromen zu entfalten. Bis zu 1000 unterschiedliche sollen es sein. Dass ich selbst davon nur eine handvoll unterscheiden kann…egal: die erste Tasse des frisch gerösteten Kaffees, zusammen mit dem Kaffeeduft in der ganzen Wohnung – es war umwerfend. Eine wunderbare Erfahrung.
Vom Filmemacher zum Kaffeehändler
Ich beschloß, es mit einer eigenen Kaffeemarke zu probieren, meinen Beruf etwas zurückzufahren, Kraft , Zeit und Geld zu investieren, um ein Nahrungsmittel zu verkaufen, das mit allen Sinnen erfahrbar ist: über den Anblick, über das Zuhören (Knistern), über den Geruch und natürlich über den Geschmack. Doch wichtig ist mir auch, dass die Hersteller nicht ausgebeutet werden, ihnen mit einer fairen Bezahlung ein Auskommen zu ermöglichen und sie stolz auf das wunderbare Produkt zu machen, das sie mit viel Erfahrung anbauen.
Mit der Entwicklung einer eigenen Marke galt es plötzlich viel Neues zu lernen: über den Kaffee-Anbau sowieso, über das Rösten, über Marketing (hier helfen mir Erinnerungen an mein Nebenfachstudium „Markt- und Werbepsychologie“) und nicht zuletzt über Vertriebsstrukturen. Im März hatte eine befreundete Künstlerin – Anita Kriebel – die Aufkleber für die Kaffeetüten entwickelt. Für den Anfang gibt es nur Espresso – im Sommer schauen wir weiter. Seit Anfang Mai steht endlich die Internetseite: steamcoffee.de .
Wie geht es weiter?
Sobald die Grenzen wieder offen sind und es wieder möglich ist, nach Mittel – und Süamerika zu reisen, werde ich mich erneut auf den Weg machen. Um die Kooperative „Tierra Nueva“ zu besuchen, um die Import-Möglichkeiten meines Lieblingskaffees in Honduras zu prüfen…. und um Neues zu entdecken: in Kolumbien und Peru. In Foren lese ich viel darüber, wie stark die Corona-Krise den Bauern in den jeweiligen Ländern zusetzt. Sie haben Angst krank zu werden, ihre Familien im Stich lassen zu müssen, und sie haben Angst vor dem Zusammenbruch der Logistik-Ketten. Eine Produzenten-Familie in Honduras, mit der ich regelmäßig in Kontakt stehe, schreibt, wie schwer es bereits ist, Benzin zu bekommen. Ohne Benzin können sie ihre Parzellen nicht anfahren, den Kaffee nicht zu den Lagern der Kooperative bringen, Naturdünger abholen etc. Die Ernte ist in Honduras zum Glück gerade vorbei. In Kolumbien und Peru beginnt sie demnächst. Im November startet die nächste Runde in Nicaragua und Costa Rica.
Einen Film über „Das Leben der Kaffeebauern in Zeiten von Corona“ – dieses Projekt möchte ich Ende des Jahres in Lateinamerika verwirklichen. Und ich hoffe, während der Dreharbeiten wieder auf einige wunderbare Menschen und ihre Kaffees zu stoßen – um meinen STEAMCOFFEE, der bis dahin hoffentlich noch läuft, weiter auszubauen.
Infos zum aktuellen Espresso „STEAMFUNK“
Infos zum geplanten Ausbau „Huracán-Coffee“
Während meiner Dreharbeiten in Nicaragua durfte ich einige bemerkenswerte Menschen kennenlernen:
Esmeralda Martinez Avilez
Die Familie von Esmeralda baut Arabica-Kaffee auf rund 700 m Höhe in den Hügeln von Boaco an. 2012 sind viele Pflanzen eingegangen, Grund war der Kaffeerost, ein gefürchteter Pilz. Die Klimaerwärmung fördert seine Entstehung: je wärmer es ist, desto besser gedeiht der Pilz.
Schutz bieten der Anbau in höheren, kühleren Lagen (finanziell aufwändig), der Einsatz von chemischen/mineralischen Stoffen (im ökologischen Anbau verboten) und die Kreuzung widerstandsfähiger Kaffeepflanzen. Nur letzteres kommt für die Familie Martinez in Frage. Esmeraldas Sohn Joel (24) experimentiert inzwischen erfolgreich mit widerstandsfähigen, geschmacklich sehr ausgewogenen Kreuzungen der Arabica-Sorten Caturra und Bourbon.
Nach dem Verlust der Ernte kam die Familie damals mit Hilfs-Mitteln der Koopperative wieder auf die Beine. Diese Mittel können nur Kooperativen anlegen, die ihren Kaffee nach Maßstäben des Fairen Handels verkaufen.
Lorenzo Escoto Suarez
Lorenzo bewirtschaftet mit seiner Familie 2 „manzanas“ (ca. 14 000 qm) Kaffeepflanzen. Die Anbauflächen liegen größtenteils in Palmenwäldern. Zwischen den Sträuchern wachsen Bananen und Zitrusfrüchte – das sorgt für ein gutes Bioklima. Seine Farm liegt weit abgeschieden, es gibt keine Straße dorthin. Die Familie transportiert die Kaffeesäcke mit Eseln zur nächsten Straße, wo sie an einen Mitarbeiter der Kooperative übergeben werden.
Daysi Mendez
Die 28jährige ist verantwortlich für die Qualitätskontrolle der Kooperative „Tierra Nueva“. Sie stellt aus den verschiedenen Kaffeelieferungen der rund 250 Familienbetriebe genau den Kaffee zusammen, den der Kunde wünscht. „Tierra Nueva“ hat das Glück, mit ihr eine ausgezeichnete Kaffeespezialistin im Team zu haben. Daysi ist Mitglied der nationalen Jury des „Cup of Excellence“ – und damit eine der besten Kaffeetesterinnen von Nicaragua.
Es ist immer wieder interessant über den Tellerrand zu schauen.
Wir kaufen Kaffee in Bohnen und fairtrade, so glauben wir wenigstens.
Aber genau nachvollzogen habe ich die Wege noch nicht.
Wir machen unseren Kaffee auch noch „zu Fuß“ d.h. mit einer altertümlichen
Siebträger- Brühmaschine und die Milch dazu wird von Hand schaumig geschlagen.
Der Bericht zeigt für mich in erschreckender Weise, wie mit Bauern fast
überall auf der Welt umgegangen wird, vor allen Dingen, wenn es um die
westliche Welt geht.
Ich habe lange im Iran gearbeitet, wurde dort mit hervorragenden Lebensmitteln versorgt, die Regale waren stets gefüllt, aber das Sortiment war auf das Notwendigste beschränkt, was es halt zum Leben braucht.
Ich hatte nicht den Eindruck dass die Leute auf irgendwas verzichten mussten.
Meine Hoffnung ist, dass die gegenwärtige Krise vielleicht etwas zum
Nachdenken führt, vor allen Dingen nicht mehr alles so klaglos hingenommen
wird. Dankeschön für den Bericht und noch viele solche Blogs, anders wird
es vermutlich nicht gehen, etwas voranzubringen.