Ich recherchiere gerade an einem Film für die ARD über die Geschichte der Umweltpolitik. Dabei bin ich über einen alten Spiegel-Artikel aus den frühen 80er Jahren gestolpert. Forscher warnen darin vor der Klimaerwärmung. Aber noch sei Zeit, diese auf ein Grad zu begrenzen.
Mich hat dieser Fund sehr nachdenklich gestimmt. Ein Grad Temperaturanstieg… hätten wir relativ entspannt schaffen können, wenn wir damals, vor knapp 30 Jahren, diese Forscher und ihr Anliegen ernst genommen hätten. Stattdessen galt im Jahrzehnt danach das Dogma, dass man „die Märkte“ keinesfalls beschränken dürfe, weil dann gleich fürchterliche Dinge passieren würden und dass das freie Spiel der Wirtschaft schon alles richten würde, wenn die Entscheider nur frei genug spielen dürften.
Joa… das hat irgendwie nicht so richtig funktioniert, oder? Jetzt sprechen wir von 2,5 Grad und sind höchst unsicher, ob die Maßnahmen der neuen Bundesregierung oder der Green Deal der EU das überhaupt sicherstellen können. Ich könnte heulen vor Wut wenn ich mir vorstelle, was unserer Welt erspart geblieben wäre und künftig erspart bliebe, wenn wir rechtzeitig mit dem Gegensteuern begonnen hätten.
Weiter so? Lieber nicht!
Mir geht das gerade deshalb so viel im Kopf herum, weil ich befürchte, dass es beim Thema Artenschutz ganz ähnlich laufen könnte. Seltsam – war doch das Bienenvolksbegehren für viele so ein wichtiges Thema. Vom 11. bis 15. Oktober tagte im chinesischen Kunming die Mitgliedstaaten der UN-Biodiversitätskonvention zum fünfzehnten Mal. Eindringlich wurde dort immer wieder betont, wie wichtig es wäre, den Schwund von Tieren und Pflanzen innerhalb der kommenden zehn Jahre wenigstens zu bremsen. Es gibt einen Entwurf, der im kommenden Frühjahr verabschiedet werden soll: Der sieht unter anderem vor, dass 30 Prozent der Landflächen und Meere unter Schutz gestellt werden. Außerdem sollen mindestens 20 Prozent der bereits zerstörten Ökosysteme restauriert werden. Zu den Zielen gehört auch, die Umweltverschmutzung drastisch zu reduzieren. Unter anderem soll der Einsatz von Düngemitteln um mindestens die Hälfte verringert werden, der von Pestiziden um mindestens zwei Drittel.
Schutzgebiete, das klingt nach einem guten Plan. Wobei… bei uns in Deutschland sind schon jetzt 45 Prozent von Nord- und Ostsee unter Schutz gestellt. Allerdings darf trotzdem auf mehr als der Hälfte der Fläche ganz legal und in großem Stil gefischt und nach Öl gebohrt werden. Was genau ist daran nun ein Schutzgebiet?
Artenschutz schützt auch uns
Ich höre jetzt schon wieder die müden Witze darüber, wie nice es wäre, wenn Schnaken in Ferienwohnungen aussterben würden, oder die Quallen, die das Bad am Strand von Sylt unangenehm machen. Aber was hier gerade passiert, könnte für uns ähnlich unlustig werden, wie die Erderwärmung. Mehr als 75 Prozent der Pflanzen, von denen wir uns ernähren, müssen von Insekten bestäubt werden. Der weltweite Schwund von Insekten könnte uns da mittelfristig sehr teuer zu stehen kommen.
Auch die Überfischung der Meere ist nicht nur für Sushi-Fans doof: Jeder zehnte Erdbewohner ist auf Fisch als Nahrungsquelle angewiesen. 33 Prozent der Fischbestände in den Ozeanen gelten heute als überfischt, mit steigender Tendenz. In den europäischen Gewässern ist die Situation besonders schlimm: Im Mittelmeer und im Schwarzen Meer werden sogar 62,2 Prozent der Bestände als überfischt klassifiziert. Gerade haben die EU-Fischereiminister ein Fangverbot für Dorsch und Hering im kommenden Jahr verhängt, weil die Bestände zusammengebrochen sind. Das waren mal die Brot und Butter-Fische der Ostseefischer… Und das verhängte Fangverbot ist immer noch voller Ausnahmen und Schlupflöcher, obwohl wir hier möglicherweise vor einem der vielbeschworenen Kipppunkte stehen, wo sich Bestände nicht mehr erholen können.
Ich schreibe diesen Artikel im Städtchen Monopoli, in der süditalienischen Region Apulien. Noch landen hier jeden Nachmittag Fischkutter an, deren Fang in Styroporkisten via Großhandel nach ganz Europa geht. An jeder Ecke gibt es hier Fischgeschäfte, die Speisekarten der Restaurants bestehen vor allem aus Fischgerichten, so wie es in dieser Gegend seit Jahrhunderten Tradition ist. Doch schon heute kommt ein Teil des Fischs in der Stadt nicht mehr von den heimischen Fischen, sondern irgendwo aus dem Atlantik, weil das Mittelmeer so drastisch leergefischt ist. Ich fände es schön für meine Enkel:innen, vor allem aber für die Menschen hier, wenn Polpo, Gambero Rosso und Co hier weiter typische Gerichte sein könnten und nicht irgendwann etwas ähnlich Exotisches, wie für uns ein Mammut!
Und schon wieder fünf vor zwölf…
Der Klimawandel lässt sich rückgängig machen. Wenn eine Tierart verschwunden ist, ist das endgültig. Es würde sich lohnen, JETZT gegenzusteuern. Wäre schön, wenn nicht eine Kollegin von mir 2049, während sie für einen Film über die Geschichte der Umweltpolitik recherchiert, staunend auf die aktuelle Berichterstattung stößt und sich fragt, warum damals 2021 eigentlich niemand reagiert hat.