Viele Läden haben geschlossen, und wer in Quarantäne ist, darf ja nicht mal zum Lebensmittel einkaufen vor die Tür. Also am besten einfach alles im internet bestellen?
Hoffentlich nicht!
Beim Schreiben dieses Artikels bin ich hin- und hergerissen. Eine meiner ältesten Freundinnen betreibt einen ganz wunderbaren Online-Shop. Dort kann man zum Beispiel kompostierbare Schwammtücher kaufen – ein super Ersatz für die neue Hamsterware Küchenpapier. Ein total nachhaltiges Produkt, bei dem ich nicht wüsste, wo ich das in meinem Umfeld analog kaufen könnte.Ich wünsche ihr und ihrem karierten Hund, so heißt der Laden, nur das Allerbeste, gerade weil ich von ihr weiß, wie sehr sie sich um Nachhaltigkeit bemüht – Verpackungen wiederverwenden, Lierferanten zu plastikfreien Verpackungen motivieren… Und ich bekomme mit, dass sich kleine Geschäfte wie ihres jetzt in der allgemeinen Unsicherheit schwer tun zu überleben.
Gleichzeitig sehe ich mit Sorge, wie begeistert immer mehr Menschen in meinem Umfeld immer häufiger per Mausklick einkaufen, gerade jetzt, wo wir alle Social Distancing praktizieren und viele Geschäfte ohnehin geschlossen sind. Schon vor Corona lagen wir Deutschen mit 24 Bestellpaketen pro Person und Jahr weltweit auf Platz sechs der Internetkundschaft. Und tun damit dem Klima nichts Gutes, denn die Ökobilanz unserer Interneteinkäufe hat es in sich, allerdings aus ganz anderen Gründen, als ich zunächst vermutet hätte.
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Die Ökobilanz unserer Einkäufe im Netz
2017 hat das Forschungsinstitut ibi research an der Universität Regensburg erfasst, was wir Deutschen im Internet einkaufen. Mit 30 Prozent Online-Anteil an den gesamten Ausgaben lag die Produktkategorie Kleidung und Schuhe in dieser Studie klar auf dem ersten Rang. Darauf folgen die Kategorien Bücher, Musik, Filme und Videospiele (29 Prozent), Unterhaltungselektronik (21 Prozent), Haushaltsgeräte (15 Prozent) sowie Gesundheit und Kosmetik (14 Prozent). Insgesamt lief 2018 ein Zehntel des gesamten Einzelhandels übers Internet. Mich hat dabei ganz besonders der Siegeszug der virtuellen Modeboutiquen überrascht. Denn gerade bei Kleidern und Schuhen hätte ich gedacht, dass man die Sachen doch probieren muss, um zu entscheiden, ob sie passen – und gut aussehen.
Genau hier liegt das erste, ganz große Problem beim Einkaufen im Internet: Wenn ich eine Umkleidekabine betrete, habe ich fast immer das gleiche Teil in mehreren Größen dabei – jeder Hersteller schneidert anders. In meinem Schuhschrank stehen Schuhe von Größe 39 bis 41. Weil das nicht nur mir so geht, bestellen viele auch im Internet sicherheitshalber immer gleich mehrere Größen und schicken das, was nicht passt, zurück. Das funktioniert deshalb, weil sich in Deutschland eingebürgert hat, dass der Versand uns Kunden nichts kostet und auch die Rücksendungen zu Lasten des Händlers erfolgen – das hat dem Online-Handel seinen Siegeszug gegen die stationären Geschäfte überhaupt erst ermöglicht. Die Kleider stecken in der Regel in Plastikhüllen, die Schuhe in Kartons. Das würden sie im Einzelhandel auch tun, die Umverpackungen von Textilien sind in aller Regel die, in denen die Kleider so schon vom Hersteller ausgeliefert werden. Wenn ich nun aber drei Blusen auspacke und zwei zurückschicke, sind zwei zusätzliche Umverpackungen kaputt und müssen ersetzt werden. Außerdem macht das Aus- und Umpacken der zurückgesandten Artikel Arbeit. Arbeit kostet Geld. Immer öfter ist es deshalb für den Onlinehändler ökonomischer, die Retouren einfach wegzuwerfen.
Der Umgang mit Retouren: Ab in die Tonne
Das Kölner Handelsforschungsinstitut EHI hat im Mai 2019 untersucht, welche Produktgruppen wie oft im Müll landen. Bei Bekleidung ist einerseits die Rücksendequote mit 40 Prozent demnach besonders hoch. Die Autoren der Studie geben dann jedoch Entwarnung: 82 Prozent der Kleidungsstücke könnten später als A-Ware weiterverkauft werden – da hätten wir dann also nur die zu ersetzenden Verpackungen auf der Negativseite. Aber 82 Prozent… das bedeutet immer noch: 18 Prozent sind B-Ware und wandern in Outlets, oder eben schlimmstenfalls doch in den Müll. Das ist fast ein Fünftel. Wenig finde ich das nicht, in Zeiten, wo wir über jedes Beutelchen im Supermarkt nachdenken. In der Boutique würde ich die nicht passenden Klamotten einfach wieder auf die Stange hängen, und die nächste Kundin schlägt zu.
Über sämtliche Warengruppen hinweg können gemäß der Studie 70 Prozent aller Retouren problemlos weiterverwendet werden. 30 Prozent also nicht. Stellt Euch das bitte mal bildlich in einem Laden vor: Von zehn Packungen Keksen, die Ihr im Laden kurz in der Hand haltet und dann doch nicht mitnehmt, kämen drei danach in die Tonne – fällt Euch was auf? Krass, oder? Gerade zurückgesandte Kosmetikartikel, Medizin-, Gesundheits- und Wellnessprodukte und Lebensmittel landen mit hoher Wahrscheinlichkeit auf dem Müll, ebenso wie Saisonartikel: Bevor man die Osterdeko bis zum nächsten Ostergeschäft einlagert und neben der Arbeitszeit auch die Lagerfläche bezahlt, verbrennt man sie lieber – das spart Kosten, verschlechtert aber die Ökobilanz massiv. Waren, die hergestellt werden, und dann nicht mal benutzt, bevor sie direkt wieder zu Abfall werden – so hässlich kann Konsumgesellschaft sein!
Die Forschungsgruppe Retourenmanagement der Universität Bamberg erhebt mittlerweile regelmäßig den „Retourentacho“. Demnach ist die vermeintlich kostenlose Rücksendung für uns Kunden relativ teuer: „Ein retournierter Artikel verursacht im Durchschnitt Kosten in Höhe von rund 11 Euro, inklusive Porto und Bearbeitungsgebühr. Dieses Geld ist bereits im Verkaufspreis miteinkalkuliert“, so Björn Asdecker, Leiter der Forschungsgruppe. „Der Käufer bezahlt somit die Retouren der anderen.“ Die vielen Rücksendungen wirken sich außerdem auf die Umwelt aus. Rund 238.000 Tonnen CO2-Äquivalente (CO2e) berechnet Asdecker für das Jahr 2018: „Dies entspricht in etwa der Umweltwirkung von täglich 2.200 Autofahrten von Hamburg nach Moskau.“ Die Forscher empfehlen deshalb die verpflichtende Einführung einer Rücksendegebühr, um uns preisbewusste Kunden so zu disziplinieren.
Verpackungsmüll frei Haus
Das Missverhältnis von Verpackung zu Ware ist ein weiterer Faktor, der die Ökobilanz des Onlineshoppings problematisch macht. Was verschickt werden muss, braucht deutlich stabilere Verpackungen, als wenn Ware einfach nur über den Tresen gereicht wird, und von da an ist der Kunde selber schuld, wenn etwas kaputtgeht. Der jüngste Computer meines Sohnes kam per Kurier: Mit dem Verpackungsmaterial haben wir allein die Papiertonne für ein Neun-Parteien-Haus in unserem Hof gefüllt, von den Plastikhüllen und schützenden Styroporpolstern gar nicht zu reden. Besonders krass wird es beim Bestellen von Lebensmitteln – irgendwie absurd, dass müllfrei einkaufen im Supermarkt gerade DER Trend ist, und gleichzeitig gilt unter Fachleuten der Lebensmittelbereich als der nächste Wachstumsmarkt im Onlinehandel, wo besonders große Zuwächse winken. Ich habe einmal probeweise bei einem Lebensmitteldienst bestellt und über die Verpackungsflut echt gestaunt… Vor allem bei verderblicher Ware ist der Verpackungsaufwand extrem: Kühlboxen aus Styropor, Kühlakkus oder Plastiktüten mit Eis… und bei diesen Touren ist auch der Transport weniger ökologisch, weil die Lebensmittel möglichst schnell zur Kundschaft gebracht werden müssen und die Lieferanten ihre Touren deshalb nicht so effizient planen können.
Die Verkehrsbelastung durch den Lieferverkehr ist bei weniger verderblicher Ware jedoch kein besonders großer Faktor. Mich hat das überrascht. Zwar muss auch der Einzelhandel mit Ware beliefert werden. Allerdings landet dort immer eine größere Menge Ware auf einmal an. Die vielen einzelnen kleinen Pakete, die von einem immer größeren Heer von unterbezahlten Zustellern durch die Stadt gefahren werden, waren in meiner Wahrnehmung ein wesentlicher Faktor bei der Verkehrsbelastung unserer Städte, auch wenn die Post-Tochter DHL mittlerweile ihre Lieferwagen auf Elektrobetrieb umrüstet. Gefühlt steht in meiner Straße zu Hause die Hälfte des Tages mindestens ein Lieferwagen irgendeines Kurierdienstes in zweiter Reihe und liefert Ware aus. Doch angenommen, dieser Lieferwagen ersetzt private Autofahrten zum Einkaufen – dann wäre die Bilanz eines Elektro-Lieferwagens im Stadtviertel im Vergleich zu ein paar Hundert Autofahrten zum Laden besser. Wären die Kunden indes alle mit dem Rad shoppen gegangen, oder hätten ihre Einkaufstour auf dem Rückweg von der Arbeit gemacht, kippt die Bilanz schon wieder. Sie sehen, das seriös zu beziffern, ist praktisch unmöglich. Aber unterm Strich verursacht jeglicher Konsum Verkehr, unabhängig davon, ob wir online shoppen oder analog einkaufen.
Monopole im Online-Handel: Schlecht für uns Kunden
Fast die Hälfte der Onlinekäufe läuft laut Online-Monitor des Deutschen Handelsverbandes über die Plattform von Amazon. 19 Prozent des Umsatzes gehen dabei direkt an den US-Riesen, der Rest wird von Händlern generiert, die Amazon als Zwischenhändler nutzen und dafür Provision zahlen. Mir sind Monopole nie sonderlich sympathisch. In den Anfangszeiten von Amazon wären mehrere Bestellungen am gleichen Tag oder beim gleichen Einkauf wenigstens noch im gleichen Paket gelandet. Mittlerweile gibt es oft ein Paket pro Kauf – noch mehr Verpackung. Wahrscheinlich wäre es logistisch viel zu komplex; im Zweifel lagert die Ware wahrscheinlich nicht mal in der gleichen Stadt. Da gefällt mir der Gedanke viel besser, dass am anderen Ende meiner Bestellung jemand EIN Paket FÜR MICH packt. Aber wenn man sich erstmal entschieden hat, im Internet zu shoppen, muss man schon richtig gezielt NICHT Amazon ansteuern. Was immer man sucht – die Seite ist stets unter den ersten und günstigsten Treffern. Langfristig kann das nicht gut sein für uns Kunden – Wettbewerb hält die Preise niedrig und hilft den Kleinen, sich mit besonderen Angeboten am Markt zu behaupten.
Wo das Internet wirklich nachhaltig ist
Im Grunde sagt uns doch der gesunde Menschenverstand, wo der Einkauf im Internet sinnvoll ist – kleine Läden mit nachhaltigen Produkten, die sonst nirgends gibt: super! Oder Unternehmen wie die Online-Plattform Gebana, die weltweit Bauern und Kunden zusammenbringt, eine Art Direktvermarktung mit fair gehandelten Produkten – ganz wunderbar! Aber gerade jetzt, wo sich viele Händler Sorgen um ihre Zukunft machen, tut jedes Buch, dass wir bei Amazon kaufen, besonders weh.
Es gibt insbesondere einen Bereich, wo Online einkaufen sehr nachhaltig ist: Überall da, wo das Internet Menschen zusammenbringt, die gut erhaltene Gebrauchtwaren austauschen. Ich muss ehrlich gestehen, dass ich den Aufwand, mich einen Samstag lang auf einen Kindergartenbazar zu stellen, immer gescheut habe, ganz zu schweigen vom vorherigen Auszeichnen der ausrangierten Kleider und Spielsachen. Und beim Nahkampf vor dem einen Stand, wo es die tollen Jungsklamotten gab, habe ich gegen entschlossenere Mütter immer den Kürzeren gezogen. Dank Ebay jedoch konnte ich oft gut erhaltene Kindersachen gebraucht kaufen und nach ein paar Monaten wieder verkaufen – damit haben sich diese Kleidungsstücke schon mindestens drei Kinder geteilt. Auch Bücher kaufe ich inzwischen fast nur noch gebraucht – schön, wenn gelesene Bücher nicht im Altpapier enden, sondern ein neues Zuhause finden. Der Handel mit gebrauchten Waren wurde durchs Internet geradezu revolutioniert.
Habe übrigens gerade eben noch mal Küchenrollenersatz geshoppt. Beim karierten Hund. Sicher ist sicher…
- Support you local dealer! Kaufen Sie öfters einfach beim netten Händler um die Ecke – der freut sich, und Sie tun der Umwelt etwas Gutes. Und auch jetzt, wo so viele Läden geschlossen sind: Viele Geschäfte, gerade Buchläden, bieten auch Lieferdienste
- Natürlich gibt es auch ganz tolle Online-Händler. Die nachhaltig erzeugte Ware vertreiben, und das nur deshalb bezahlbar können, weil sie keine Zwischenhändler und teure Ladenmieten finanzieren müssen. Ausnahmen bestätigen die Regel.
- Das Problem beim Online-Shopping ist weniger der Lieferverkehr als die Verpackung und die Verwertung zurückgesandter Waren
- Bei im Netz gekauften frischen Lebensmitteln führt das Missverhältnis von Verpackung, Transportaufwand und Ware zu einer besonders schlechten Ökobilanz