Über 95 Prozent des Fischs essen wir als Filet. Das macht aber nicht mal die Hälfte des Gewichts aus. Ganz schön viel Ausschuss…
In den nächsten Wochen werde ich mich schwerpunktmäßig mit dem Thema Lebensmittelverschwendung befassen – nicht mit dem was wir wegwerfen, sondern mit der Verschwendung, die einen Schritt davor geschieht, bei der Erzeugung und im Handel. Los geht es mit Fisch. Fisch ist unter dem Aspekt Nachhaltigkeit generell kein gutes Nahrungsmittel. Darüber habe ich hier schon im Oktober geschrieben. Noch schlimmer ist, dass wir einen sehr verwöhnten Umgang mit dem Lebensmittel Fisch haben: Mal abgesehen von der Forelle blau kommt Fisch fast immer ohne Kopf, Gräten und Haut auf den Tisch – der zuständige Fachverband schätzt, dass wir zu etwa 95 Prozent filettierten Fisch essen.
Aber jetzt war ich zum Drehen in Island, für eine Doku über Lebensmittelverschwendung, die im Juni im ZDF bei plan B läuft. Fisch ist der mit Abstand wichtigste Exportartikel der Insel, und fast immer werden die Fische gleich nach dem Anlanden in Fischfabriken am Hafen zerteilt. Die Reste werden im besten Fall zu Fischmehl verarbeitet, als Viehfutter, oder noch schlimmer einfach entsorgt. Doch jetzt habe ich dort tolle Menschen kennengelernt, die sich erfolgreich darum bemühen, aus den Resten hochwertige Produkte zu machen.
Fischhaut als Wertstoff
In Grindavík, eine halbe Autostunde südlich von Reykjavik, treffe ich Erla Osk Petursdottir. Der Hafen dort ist der zweitgrößte Fischereihafen Islands, es gibt also viel zu verwerten. Erlas Familie gehört die Fischfabrik am Hafen, wo der Fang versandfertig gemacht wird. Sie betrachtet den Ausschuss als spannenden Wertstoff. Die 43-jährige arbeitet für Marine Collagen. Die Firma gehört zu Codland – ein Zusammenschluss verschiedener Unternehmen, die unterschiedliche Reste der Fischverarbeitung veredeln. Besonders gut funktioniert das mit der Haut des Kabeljau: Sie besteht zu fast 20 Prozent aus Kollagen. Dieses Kollagen wird aus der Fischhaut extrahiert und für diverse Produkte der Lebensmittel- und Kosmetikindustrie verwendet.
Gemeinsam besuchen wir eine Mikrobrauerei im Ort: Ein Mitarbeiter der Fischfabrik braut dort zusammen mit einem Freund Craft-Bier. Erla hat Kollagenflüssigkeit dabei – sie denken darüber nach, das Kollagen während der Fermentierung beizumengen. Ich bin zugegebenermaßen doch zu sehr eine Verfechterin des Reinheitsgebots, um das für eine richtig tolle Idee zu halten. Aber dass die Haut nicht einfach weggeworfen sondern veredelt wird, gefällt mir gut.
Lebensretter aus Abfall
Das Einhorn der isländischen Fischverwerter sitzt in Isafjördur, im nordwestlichsten Zipfel der Insel: Bei Kerecis können Pflaster aus Kabeljau sogar Leben retten!
Gründer Fertram Sigurjonsson hatte durch seine Arbeit bei einer Prothesenfirma erlebt, wieviel Leid etwa bei Diabetikern mit schlecht heilenden offenen Wunden entstehen kann. Er hatte zudem als Schüler in der örtlichen Fischfabrik gejobbt und wusste, wieviel Haut da Tag für Tag übrig blieb. Ihm kam der Gedanke, dass sich diese Haut als natürliches Pflaster eignen könnte. Neben Diabetikern sind vor allem Menschen mit großflächigen Brandwunden potentielle Nutzer.
Heute macht Kerecis mit den Pflastern aus Fischhaut etwa ein Zehntel des Umsatzes der gesamten isländischen Kabeljau-Industrie und hat Investor:innen wie Melinda Gates im Rücken. Die Pflaster revolutionieren die Behandlung von offenen Wunden – gerettete Leben und gerettete Lebensmittel, ein Win Win Situation sozusagen.
Ich finde den Blick der Isländer auf ihren wichtigen Rohstoff toll und sehr unterstützenswert. Wer neugierig geworden ist: Mein Film läuft am 17. Juni um 17:35 im ZDF in der Reihe plan b. Nächste Woche beschäftige ich mich an dieser Stelle mit einem Lebensmittel, das bei uns in Deutschland besonders oft in der Tonne landet: Brot.