… gibt es ab 22. Juni in der ARD-Mediathek, am 27. Juni um 23:35 in der ARD. Und ein besonderes Schmankerl aus dem Film heute schon in meinem Blog!

Manche Interviews für Dokus bleiben einem in besonderer Erinnerung. Dazu gehört für mich ein Gespräch mit dem CSU-Politiker Alois Glück, den ich für meine Doku über die Geschichte der Umweltpolitik in Deutschland im letzten Dezember getroffen habe. Das Interview fand unter besonders schwierigen Rahmenbedingungen statt – im Landkreis Traunstein explodierten die Corona-Zahlen, alles war im Lockdown. Um die Aufnahmen trotzdem möglich zu machen, drehten wir in Alois Glücks Büro bei geöffneter Tür nach draußen, bei einer Außentemperatur unter null. Der 81-jährige war unterhalb des Kameraausschnitts in eine Wolldecke gewickelt, das Team und ich hatten dicke Mäntel an.

Trotz der widrigen Umstände kam ein höchst spannendes Gespräch heraus – ich war sehr beeindruckt davon, wie offen Glück über Fehleinschätzungen und Versäumnisse der Politik sprach. Weil man ja nie alle interessanten Aussagen aus so einem Interview im Film unterbringen kann, möchte ich einige Ausschnitte aus dem Interview hier mit Euch teilen.

Katarina Schickling:

Erzählen Sie mir doch mal, wie Sie zum Thema Umweltpolitik gekommen sind oder überhaupt zum Thema Umwelt als Politikfeld.

 

Alois Glück:

In den 1960er Jahren war ja eine ganz starke Entwicklung in Richtung Modernisierung, Wiederaufbau. Man hat gespürt, die Modernisierung hat auch ihren Preis und es ist die Gefahr, dass wir das Historische verlieren, aber auch dass wir unsere Natur überstrapazieren. Da kommt was Neues, das müssen wir aufgreifen. Und damit kam es 1970 in Bayern zur Gründung eines Umweltministeriums. Es war das erste europaweit. Es ging zunächst vor allen Dingen um Naturschutz. Man hat gespürt: Wir brauchen eine Steuerung in der Entwicklung. Das war noch nicht mal so sehr bewusste politische Strategie in allen Einzelheiten. Es war ein Lernprozess.

 

Katarina Schickling:

Jetzt ist ja die CSU eigentlich nicht die Partei, wo man jetzt klischeemäßig sagen würde, die standen für eine besonders aktive Umweltpolitik.

 

Alois Glück:

Ja, aber gleichzeitig eine Partei in der Bandbreite als Volkspartei, die gespürt hat, was sich in der Gesellschaft entwickelt. Und deswegen neben den technischen Modernisierungsstrategien eben auch gespürt hat: Hoppla, da entwickelt sich etwas. Zunächst, muss man sagen, war das etwas unter dem Aspekt für neue, aufstrebende Leute wie den Max Streibl: Ah, interessantes Thema! Etwas für neue, junge Politiker. Und aus dem Prozess heraus kam es dann zur Gründung von dem Ministerium, eher gegen den Widerstand des damaligen Ministerpräsidenten Alfons Goppel. Aber Max Streibl war einflussreich als Oberbayern-Vorsitzender der CSU, als früherer Generalsekretär. Und dann hat man eine leerstehende Villa gemietet und dort entstand dann allmählich das erste Ministerium, das von den anderen Ministerien natürlich mit Misstrauen beäugt wurde.

 

Katarina Schickling:

Ich kann mich noch erinnern an die autofreien Sonntage, Ölkrise. Aber damals stand das Thema Energiesparen ja nicht in irgendeinem Klimakontext, sondern es ging eher um so was wie unabhängig werden von den Arabern oder „möglicherweise reicht das Erdöl nicht“.

 

Alois Glück:

Nein, Klimapolitik war zu dem Zeitpunkt noch nicht Gegenstand der politischen Debatte. Auf der einen Seite hat unsere Generation da viel neu auf den Weg gebracht naturschutztechnisch, Umweltschutz, und gleichzeitig haben wir versagt bei dem Thema Klimawandel. Damals war vielleicht diesbezüglich der Leidensdruck nicht entsprechend da.

 

Katarina Schickling:

Damals wurde Naturschutz auch ein bisschen als Wirtschaftshemmnis betrachtet. Haben Sie das auch erlebt?

 

Alois Glück:

Ja, der erste große Konflikt dieser Art war im Zusammenhang mit Waldsterben das Thema bleifreies Benzin und Katalysator in den Autos. Und ich erinnere mich noch an Gespräche mit Herrn von Kuenheim, damals BMW-Chef, die Autorität der Automobilindustrie in Deutschland, die gesagt haben: Das ist der Ruin der deutschen Automobilindustrie! Und dann hat man gemerkt: Das ist ja ein Exportartikel; wir haben da ja ganz neue Chancen auch, wenn wir mit zukunftsweisender Technik uns damit neue Märkte erschließen. Aber das war ein längerer Lernprozess, auch natürlich bei den Wirtschaftsverbänden. Es bleibt natürlich immer ein Spannungsfeld. Man muss gleichzeitig schauen, das ist ja jetzt auch die aktuelle Situation: Wie schaffen wir den Klimawandel und gleichzeitig, dass die Konkurrenzfähigkeit der Industrie in Deutschland bleibt? Was machen wir mit so einem wichtigen Bereich wie Stahl, wo es so nicht weitergehen kann mit der Umweltbelastung, CO2-Bedarf etc.? Es gab zunächst Widerstand aus dem Bereich der Wirtschaft und dann hat man erkannt: Das ist eine weltweite Aufgabe, da haben wir auch Exportmöglichkeiten und da sind wir ein gutes Stück voraus. Aber es sind immer Spannungsprozesse.

 

Katarina Schickling:

Nun war ja aber gerade die CSU auch die Partei, und auch Franz-Josef Strauß, die sich ganz besonders intensiv für die zivile Nutzung der Kernenergie eingesetzt hatte. In Bayern sind Atomkraftwerke entstanden. Wenn Sie jetzt mal an die Zeit vor Tschernobyl denken: Wie haben Sie das damals gesehen? War das aus Ihrer Sicht ein wichtiger Standortfaktor?

 

Alois Glück:

Es war zunächst einmal in den 70er Jahren kein strittiges Thema. Im Gegenteil: Strauß war dann der erste Atomminister. Es war generell der Glaube: Kernenergie, das ist künftige, unerschöpfliche Energiequelle, das Symbol für Fortschritt. Die erste auf breiter Basis kritische Auseinandersetzung war dann der Schock von Tschernobyl. Es gab vorher auch schon andere Störfälle, aber nicht in dem Ausmaß, wie beispielsweise Harrisburg. Und plötzlich ist damit ein Umweltbewusstsein gewachsen. Ich kann mich noch selbst erinnern: Tschernobyl. Ich saß mit Umweltpolitikern der CSU in Kreuth im Bildungszentrum der Hanns Seidl-Stiftung und dann kamen die Nachrichten, die Bilder aus Tschernobyl. Na ja, weit weg. In der Dimension haben wir das auf Anhieb nicht begriffen. Das bayerische Umweltministerium hat lange Zeit verharmlost. Bei uns hat man schon österreichischen Rundfunk gehört und da ist schon ganz anders berichtet worden: „Kinder bitte nicht mehr auf den Kinderspielplatz!“ Das ist das erste Mal eine kritische Situation für die CSU geworden, auch in den Diskussionen, weil man da zu lange verharmlost und verteidigt hat. Aber im Großen und Ganzen war es auch an den Standorten der Kernkraftwerke noch ziemlich ruhig. Dann hat man gesagt: Mein Gott, die Russen, das ist halt  eine Schlamperei. Noch mal eine andere Dimension war dann der Schock von Fukushima.

 

Katarina Schickling:

Aber lassen Sie uns mal in der Zeit bleiben. Wie haben Sie das denn empfunden? Sie sind ja nun auch relativ nah an den Bauern. Traunstein ist eine Gegend, wo Milchwirtschaft betrieben wird, wo das Thema Milch, kann man die jetzt noch trinken, ja durchaus ein Thema war. Wo man plötzlich nicht mehr in den Wald gehen konnte, Pilze sammeln, weil man davon ausgehen musste, dass die wahnsinnig verstrahlt waren. Das ist in so einer Gegend wie dem Chiemgau was sehr Präsentes. Und gleichzeitig haben Sie aber Parteikollegen, die eine Pressemitteilung nach der anderen rauslassen und sagen: Es ist alles in Ordnung. Das passt schon. Wie war das für Sie damals?

 

Alois Glück:

Die wirklich harte Auseinandersetzung kam dann später vor allem mit der WAA. Da war eine allgemeine Überzeugung: Wir brauchen einen Brennstoffkreislauf. Auch parteiübergreifend. Wir sind, die SPD und CSU, die Umweltpolitiker gemeinsam nach Frankreich geflogen, nach La Hague. Und haben uns das angeschaut. Sind anschließend nach England miteinander, Sellafield. Zurückgekehrt, gemeinsame Überzeugung: modernste Technik, das ist wichtig. Man braucht das auch wegen dem Brennstoffkreislauf und es ist gut beherrschbar. Also noch kein Problembewusstsein diesbezüglich. Dann kam in Deutschland ja als Erstes die Auseinandersetzung mit Gorleben. Ich bin dann mit dem CSU-Arbeitskreis zu den CDU-Kollegen rauf und wir haben uns darüber berichten lassen, in der Frage der Endlagerstätte. Und auch lange Zeit zunächst auch staatlicherseits, Wissenschaft: Ja, ja, das haben wir alles ganz gut im Griff.

Weil es immer kritischer wurde, gab es dann gewissermaßen ein Arrangement zwischen dem Ministerpräsidenten Albrecht in Niedersachsen und Franz-Josef Strauß. Die Niedersachsen haben gesagt: „Wir wollen da nicht allen da Risiko und die Probleme tragen.“ Die Bayern übernehmen die Wiederaufarbeitung. Gorleben die Endlagerung und die Bayern die Wiederaufarbeitung. Und wieder war die Botschaft: Ja, das ist ja ganz modern und bringt Arbeitsplätze in die Oberpfalz, wo sowieso gerade der Strukturwandel stark im Gang war mit vielen Leuten, die noch in Branchen tätig waren, die nicht mehr Zukunft hatten. Und am Anfang war das so nach dem Motto: Ist für die Oberpfalz ein Segen.

Dann kam immer mehr die Auseinandersetzung: Bis hin zu, kann man sich heute überhaupt nicht mehr vorstellen, einer Auseinandersetzung kriegsähnlich, massivster Polizeieinsatz, Gas, um die Leute zurückzuschrecken. Buchstäbliche Schlachten haben da stattgefunden. Und irgendwann war man bei dem Ergebnis politisch: Ja, wir schaffen das nicht mehr. Es geht nicht. Da hat man dann einen Rückzug angetreten.

Für mich persönlich war die Phase die größte innere Belastung in meiner ganzen politischen Zeit, weil ich durch vertrauliche Gespräche mit den Vertretern der Energiewirtschaft zu dem Ergebnis kam, dass die Energiewirtschaft gar nicht mehr der Meinung ist, dass man das auf Dauer braucht. Nach dem plötzlichen Tod von Franz-Josef Strauß ist das ganz schnell beerdigt worden. Das war ein riesen Vertrauensbruch für die CSU: Wir, wir haben den Kopf hingehalten für die Wirtschaft! Und jetzt stehen wir als die Blöden da!

 

Katarina Schickling:

Haben Sie sich manchmal unter Druck gefühlt von der Wirtschaft?

 

Alois Glück:

Natürlich ist man in einem Spannungsfeld. Da sind auf der einen Seite die engagierten Bürgerinnen und Bürger, mit denen ich viel Kontakt auch gehalten habe und auf der anderen Seite das Argument, das wie gesagt, schon vorher da war beim Katalysator für bleifreies Benzin etc.: „Ja, die Zukunft unserer Industrie.“ Das Spannungsverhältnis war schon immer wieder da. Auf der anderen Seite dann die Entwicklung: Moderne Umwelttechnik ist ein Exportschlager. Nur DIE Wirtschaft als Einheit gibt es ja auch nicht, die Einen berührt es und die Anderen überhaupt nicht. Es gibt unterschiedliche Interessen.

 

Katarina Schickling:

War das ein Fehler damals, in Wackersdorf so massiv von staatlicher Seite aufzutreten?

 

Alois Glück:

Ja, natürlich. Es war aus heutiger Sicht völlig indiskutabel, die Art des Polizeieinsatzes gegen die eigenen Bürger. Da gab es natürlich Scharfmacher in den eigenen Reihen. Da will ich jetzt aber gar keine Namen nennen. Und es haben damals auch Polizisten ihren Beruf aufgegeben, weil sie gesagt haben: „Das kann ich nicht machen.“ Ich habe einen Freund hier im Landkreis, der mittlerweile ein weltbekannter Künstler ist, der war damals bei der Polizei, der hat gesagt: „Du, das waren für mich Schlüsselerlebnisse, was da auch an Grausamkeit auf beiden Seiten entstehen kann, Hass. Das schaukelt sich gegenseitig hoch.“ Der hat das vorher schon erlebt damals in der Bewachung von Stammheim. Dann hat er es in Gorleben erlebt und am Schluss in Wackersdorf und dann ist er aus der Polizei rausgegangen.

 

Katarina Schickling:

Jetzt gab es ja seit Anfang der 80er Jahre Forscher, die über das Thema Klimawandel schon geredet haben und gesagt haben: Hier findet eine Erderwärmung statt und wir jetzt anfangen zu reagieren, dann können wir sie auf ein Grad begrenzen. Etwas, was man heute ganz toll finden würde. Haben Sie da eine Erinnerung dran, wie das für Sie sich dargestellt hat?

 

Alois Glück:

Es hat öffentlich überhaupt nicht das Gewicht gehabt. Es war quasi noch etwas Abstraktes. Es gab natürlich auch immer die Leute, die gesagt haben: „War ja immer so und ist ein natürlicher Prozess.“ Und insofern war auch kaum der öffentliche Druck da. Also der Kreis der Engagierten war insgesamt dabei eher begrenzt. Mit dem Rückblick muss ich sagen, dass wir, unsere Generation, dabei mächtig versagt hat auf Kosten jetzt der jungen Generation und der Nachkommen.

 

Katarina Schickling:

War Umweltpolitik oder ist sie vielleicht sogar bis heute ein bisschen ein Thema, ein Luxus, den man sich leistet dann, wenn man gerade keine anderen Probleme hat?

 

Alois Glück:

Nein, sicher nicht. Es ist sicher nicht so. Sondern in dem Moment, wo die Menschen spüren: Das ist etwas, was für unsere Lebenssituation, für die Lebensqualität – die Luftverschmutzung ist ein exemplarisches Beispiel, was jeder spürt, dann ist das natürlich erst recht ein politisches Thema. Ein Thema, das lange Zeit in seiner Bedeutung nicht erkannt wurde und wo ich jetzt auch ehrlich sage, die ganze Dimension ist mir selbst erst bewusst geworden im Zusammenhang mit dem Projekt Volksbegehren „Rettet die Bienen“ und mit der Aufgabe der Moderation von dem Runden Tisch: Das ist die Bedeutung der Biodiversität für die ganze Problematik Stabilität Naturhaushalt. Und dass Biodiversität und die Klimafrage eine Einheit sind, und dass zum Beispiel für die Strategie Klimaneutralität ja letztlich eine Doppelstrategie notwendig ist. Das Eine ist Reduzierung von CO2 und der andere Aspekt ist: Wie können wir die Speicherfähigkeit von CO2 im Naturhaushalt steigern? Und das ist die Bedeutung der Moore zum Beispiel, der Waldgebiete. Die Art der Landbewirtschaftung, die der Humusbildung sehr förderlich ist. Mir ist das in der Dimension wirklich erst voll bewusst geworden durch die Geschichte Volksbegehren und Runder Tisch. Dazu kommt, dass wir jetzt im Alpenraum, in Bayern, in Deutschland die größten oder schnellsten Veränderungsprozesse in der Klimaproblematik haben. Da kommt eine ganz starke Dynamik auf uns zu. Man sieht das auf der einen Seite schon am Schmelzen der Gletscher. Aber es geht ja weit darüber hinaus.

 

Katarina Schickling:

Wann haben Sie denn das erste Mal angefangen, sich mit dem ökologische Landwirtschaft zu befassen? Ob das möglicherweise auch ein Naturschutzthema ist?

 

Alois Glück:

Ja, also intensiver befasst habe ich mich eigentlich erst im Zusammenhang mit dem Runden Tisch, mit der Thematik. Die Bauern sind im Schraubstock. Auf der einen Seite der wirtschaftliche Druck, immer größere Investitionen, die notwendig sind zum Beispiel für die Tierhaltung, Tierwohl. Und auf der anderen Seite keinen entsprechenden Ertrag oder wird intensiver gedüngt und dann haben wir das Problem mit dem Trinkwasser, Grundwassernutzung. Und die Diskussion ist jetzt voll im Gang und eine außerordentlich schwierige Entwicklung. Jetzt mittlerweile ein wichtiges, europäisches Thema. Aber gleichzeitig eine außerordentlich schwierige Entwicklung innerhalb der Landwirtschaft.

 

Katarina Schickling:

Wie empfinden Sie denn die jungen Leute von Fridays for Future, die da jetzt auf der Straße unterwegs sind?

 

Alois Glück:

Das ist ein ganz wichtiger Impuls. Gott sei Dank hat die junge Generation, um deren Zukunft es ja geht, mobilisiert diese. Und ist damit auch Gott sei Dank ein politischer Faktor geworden.

Nächsten Montag folgen Highlights aus meinem zweiten Lieblingsinterview, mit dem ehemaligen Bundesumweltminister Jürgen Trittin