Ich habe lange nicht mehr so viel Zuschauerpost erhalten, wie nach meinem ZDF Zoom Film vergangene Woche. Das Schicksal der Kälber scheint viele zu bewegen. Aber wo ist die Lösung?
Ohne Kälber keine Milch. Und das Argument der Befürworter des heute üblichen Systems ist klar: Nur so, mit Hochleistungskühen, deren Milch möglichst vollständig in die Vermarktung gelangt, lassen sich die Bedürfnisse des Marktes befriedigen. Aber stimmt das überhaupt?
Wieviel Milch brauchen wir wirklich?
Ich will hier jetzt gar nicht in die Diskussion einsteigen, ob erwachsene Menschen überhaupt Kuhmilch trinken müssen. Ungesund ist sie jedenfalls für jene etwa 85 Prozent der Deutschen, die Laktose gut verdauen können nicht. Mich hat viel mehr interessiert, wieviel Milch wir eigentlich erzeugen und welchen Bedarf es in Deutschland gibt. Dabei bin ich auf eine Grafik des Bundesinformationszentrums Landwirtschaft gestoßen:
Erste wichtige Erkenntnis: Wir produzieren hier in Deutschland erheblich mehr Milch, als wir für unseren Bedarf benötigen. Ich finde es ist eine legitime Überlegung, ob wir ausgerechnet ein so leicht verderbliches Lebensmittel wie Milch zwingend als Exportprodukt erzeugen müssen. Mal angenommen, mit dieser überschüssigen Milch würden wir stattdessen Kälber füttern. Oder, noch verrückter, die Kälber diese Milch direkt bei ihren Mutterkühen trinken lassen.
Dass das selbst bei auf Hochleistung getrimmten Kühen funktioniert, zeigen die Versuche des Thünen-Instituts für ökologischen Landbau.Und auch wirtschaftlich ist das gar nicht so schwierig. Ein Grund, warum Milch von Höfen, wo die Kälber bei ihren Müttern bleiben, so viel teurer ist als konventionelle Milch, liegt in den langen und komplizierten Sammelwegen. Eine Molkerei, die die gesamte Milch aller Höfe in einer Region einsammelt, kann viel kostengünstiger arbeiten, als eine Molkerei, die ein solches Spezialprodukt erfassen muss, auf weit auseinander liegenden Höfen mit kleinen Milchmengen. Wäre die mutterkuhgebundene Kälberaufzucht der Normalfall, würde das die Milch sofort viel billiger machen. Beim Bauern, der so arbeitet, landen in der Regel um die 30 Cent mehr – das als Aufschlag auf die Milch sollte uns das Wohlergehen der Kälber allemal wert sein, auch bei geringem Haushaltsbudget.
Der Billig-Füllstoff der Lebensmittelindustrie
Leider wird nicht wirklich transparent erfasst, wieviel Milch zu Milchpulver verarbeitet wird. Aber es ist eine relevante Menge, und in diesem Segment ist der Kostendruck auf die Bauern besonders hoch. Der schleswig-holsteinische Bauer aus meinem Kälberfilm etwa liefert seine Milch an eine Molkerei, die auf Pulverherstellung für die Lebensmittelindustrie spezialisiert ist. In seiner Gegend gibt es gar keine Molkerei mehr, die Frischmilchprodukte herstellt. Damit wird der Spielraum für mehr Tierwohl noch kleiner – die Lebensmittelindustrie zahlt nicht gut…
Ursprünglich war die Pulverherstellung eher ein Nebengeschäft, um Überschüsse zu vermarkten. Mittlerweile jedoch hat sich das geändert. Denn Fertiggerichtehersteller schätzen Milchpulver als Wunderzutat – viel Wirkung für wenig Geld. Mit Milchpulver kann man an der Konsistenz von Gerichten herumschrauben, es ist ein billiges Füllmittel und sogar Geschmacksverstärker als Glutamatersatz lassen sich aus der pulverisierten Milch fabrizieren, mit dem angenehmen Nebeneffekt, dass auf der Zutatenliste etwas so unschuldiges wie „Milcheiweissextrakt“ steht und man sogar auf der Verpackung behaupten darf, das Produkt enthalte keine „geschmacksverstärkenden Zusatzstoffe“. Eine klassische Mogelpackung, gesetzlich erlaubt:das konzentrierte Milcheiweiss ist lebensmittelchemisch im Prinzip das gleiche wie Glutamat, gilt aber lebensmittelrechtlich als Zutat und nicht als Zusatzstoff.
Wegwerfkälber – damit die Industrie billiger panschen kann?
Milchpulver findet sich in einer Menge Fertiggerichte, die in der heimischen Küche ohne Milch gekocht würden, eben weil diese Zutat so billig ist. Überspitzt formuliert schaffen wir also massenhaft Kälber in die Welt, die sich nicht wirtschaftlich mästen lassen und für die es keinen Bedarf gibt, damit wir billiger Fertiggerichte produzieren können, wo unter anderem das Milchpulver darüber hinwegtäuschen soll, dass es der Rezeptur an „echten“ Zutaten fehlt. Rechtfertigt das massenhafte Tierquälerei? Ich meine nein.