Heute Abend läuft im ZDF in der Reihe Zoom um 22:45 eine Reportage von mir, über die Frage, ob wir Putenfleisch guten Gewissens essen können. Ich möchte hier etwas darüber erzählen, wie solche Filme entstehen – und warum die Dreharbeiten immer ein Dilemma schaffen.
Ein sonniger Oktobertag in Mecklenburg-Vorpommern. Am Rand eines Waldstücks in Zieslübbe drehen wir einen Putenmastbetrieb wie aus dem Bilderbuch. Die Waldlandputen verbringen ihr ganzes Leben auf einem Freigelände mit einem zehn Meter breiten Waldstreifen. Bewacht von zwei großen Hütehunden, die entspannt in der Sonne liegen, picken und scharren die Puten im Gras. So, denke ich mir, sollte mein Sonntagsbraten sein Leben verbringen. Hühner und Puten sind ursprünglich Waldtiere. Das hier kommt an den natürlichen Lebensraum einer Pute so nah ran, wie es in der Nutztierhaltung nur geht.
Zwei Haken haben die Waldlandputen. Es gibt sie nicht ganzjährig: Im Winter könnte man Putenküken nicht im Freien halten. Die Kundschaft müsste Putenfleisch also als saisonales Produkt akzeptieren. Und es gibt eine bürokratische Hürde: In Deutschland darf im Wald nur Forstwirtschaft betrieben werden, nicht aber Landwirtschaft. Willnats Waldlandputen sind ein Modellversuch, deshalb darf er ausnahmsweise etwas Wald nutzen. Ein Problem, mit dem viele Bauern zu kämpfen haben, die im Freilandbereich neue – eigentlich ja alte – Wege gehen. Auch Freilandschweine etwa hätten Spaß an Wald.
Mäster Daniel Willnat ist stolz darauf, dass er bei dieser Art der Haltung praktisch ohne Antibiotika auskommt, und teurer als die Mast von „normalen“ Bio-Puten ist das Konzept auch nicht. Wer nicht aus ethischen Gründen Fleischverzehr prinzipiell ablehnt, macht hier beim Kauf nicht viel falsch. Als mein Team und ich wieder ins Auto steigen, liegt ein guter Tag hinter uns: Wir haben einen Putenmäster kennengelernt, der sehr ordentliche Arbeit leistet.
Dabei ist uns natürlich eines bewusst: Schwarze Schafe gibt es auch im Bio-Bereich. Und ziemlich sicher würden wir in einem Betrieb, der weniger vorbildlich arbeitet, gar nicht erst drehen dürfen. Deshalb greifen wir Journalist*innen immer mal auf Videos zurück, die Tierschützer heimlich gedreht haben. Doch auch die bilden nur einen Ausschnitt ab. Mit dem zusätzlichen Problem, dass wir hier, anders als bei unserem selbst gedrehten Material, auch wirklich nur diesen Ausschnitt kennen. Wir wissen nicht, aus welchem Kontext die Bilder stammen. Wir können den Besitzer des Hofes nicht zu den abgebildeten Missständen befragen.
Zu Besuch in einem konventionellen Betrieb
Auch Jürgen Henkelmann schafft regelmäßig Mastdurchgänge ohne Antibiotika-Einsatz. Der Dreh in seinem konventionellen Mastbetrieb wurde mir vom Zentralverband der deutschen Geflügelwirtschaft vermittelt. Klar, dass solche Höfe immer Vorzeigebetriebe sind. Aber dennoch bin ich froh über die Gelegenheit, mir selbst ein Bild machen zu dürfen.
Henkelmann ist ein sympathischer Landwirt, dem das Wohl seiner Tiere offensichtlich am Herzen liegt und dem ich sofort gerne glaube, dass er seinen Job so gut macht, wie es ihm nur möglich ist. Gleichzeitig drängt sich mir der Eindruck auf, dass das System seinen Möglichkeiten klare Grenzen setzt. In den Ställen, wo wir drehen, sind die Puter etwa bei der Hälfte der Mastdauer. Die Tiere sind also noch weit von ihrem Endgewicht entfernt. Dennoch erscheint mir der Stall schon jetzt ganz schön voll.
Unbehagen bereitet mir auch Henkelmanns Haltung zum Schnäbelkürzen – laut Tierschutzgesetz an sich verboten, aber dank großflächig erteilter Sondergenehmigungen weit verbreitet. Das sei für die Tiere etwa so wie Nägel schneiden beim Menschen. Veterinärin Dr. Shana Bergmann von der Uni München, spezialisiert auf Puten, hat mir im Interview jedoch etwas ganz anderes gesagt:
„Nein, das ist es nicht, außer Sie schneiden Ihre Nägel immer bis auf den Knochen runter. Da können Sie sich selbst vorstellen, wie schlimm so was sein kann. Wir amputieren beim Schnabel ein Organ, das für das Tier sehr wichtig ist. Da ist auch ein sogenannte Schnabelspitzenorgan drinnen, das wir gänzlich zerstören mit dieser Methode, die wir anwenden. Und damit zerstören wir Gewebe und das ist durchaus schmerzhaft.“
Die Schnäbel werden kupiert, weil die Puten sich sonst gegenseitig zu schwer verletzen würden – eine Verhaltensstörung. Die etwas damit zu tun hat, wie konventionelle Puten gehalten werden. Bei Bio-Puten ist das Schnäbelkürzen verboten. Auch sie bepicken sich. Aber in deutlich geringerem Ausmaß.
Das Dilemma
Ich hatte eingangs von einem Dilemma gesprochen. Hier ist es: Verbringt man einen ganzen Tag beim Drehen in einem Betrieb, führt man natürlich viele Gespräche, auch ohne Kamera.Um gute Interviews führen zu können, muss ich mit meinen Gesprächspartnern eine freundliche Beziehung aufbauen, eine gewisse Nähe schaffen. Die Protagonisten sollen ja vor der Kamera natürlich und unverstellt agieren und ihre Punkte darstellen. Deshalb werde ich, auch wenn die Kamera nicht läuft, eher nicht kontrovers diskutieren, sondern mir die jeweilige Haltung anhören. Während der Dreharbeiten sammle ich Informationen. Manche überzeugen mich, andere weniger. Am Ende dieses Prozesses habe ich eine Haltung zum Thema gewonnen, basierend auf meinen Recherchen.
Ich finde es toll, dass mich der konventionelle Mäster hinter die Kulissen seiner Arbeit hat blicken lassen. Ich will ihn auf keinen Fall ungerecht behandeln. Aber ich bin trotzdem der festen Überzeugung, dass diese Art der Fleischerzeugung nicht gut ist, weder für die Tiere noch für uns. Und ich habe schon oft erlebt, dass Gesprächspartner dann enttäuscht sind – sie waren offen, sie waren gesprächsbereit. Und fühlen sich, wegen meiner Schlüsse, ungerecht behandelt. Ich habe für dieses Dilemma noch keine Lösung.
Der Film
In meinem Film geht es um Haltungsbedingungen. Um Zucht. Um gesetzliche Vorgaben. Und um das Thema Antibiotika. Wir haben Putenfleisch auf antibiotika-resistente Keime testen lassen. In Corona-Zeiten ein noch relevanteres Thema als sonst, denn fast alle Covid19-Patienten, die im Krankenhaus landen, müssen auch wegen bakterieller Superinfektionen mit Antibiotika behandelt werden. Da ist es fatal, wenn wichtige Reserveantibiotika im Ernstfall nicht wirksam sind, weil sie so großflächig in der Tiermast eingesetzt wurden.
Mehr dazu und Bilder von beiden Putenmastbetrieben am Mittwoch, den 13. Mai um 22:45 im ZDF. Und danach in der Mediathek.
Ich freue mich über Feedback!
Was Sie im Kapitel „Dilemma“ beschreiben ist der Grund, warum viele Landwirte ihre Tore nicht mehr für die Medien öffnen. Sie reden offen, sind gesprächsbereit, in der Hoffnung auf eine faire Berichterstattung.
Was folgt: „Ich bin der Meinung, der festen Überzeugung, dass dies oder das nicht gut ist“. Steht die Meinung nicht schon vorher fest? Werden die Aufnahmen also nur gemacht, um das eigene Urteil zu belegen?
Diesen Eindruck gewinne ich bei vielen Reportagen. Um aber kein Medienbashing zu machen: es gibt auch sehr gute Reportagen, in denen nur berichtet wird, was ist, und die Meinungsbildung dem Zuschauer überlassen wird. Das finde ich gut.
Ich kann hier nur für mich sprechen, bin aber relativ sicher, dass ich mit dieser Arbeitsweise keine Ausnahme bin:
Wenn ich einen Film mache, habe ich natürlich vor dem Dreh schon recherchiert und mit vielen Betroffenen, Experten etc gesprochen. Aber der Dreh vor Ort ist meine Gelegenheit, einen persönlichen Eindruck zu gewinnen. Ich werde oft von Gesprächspartnern beim ersten Telefonatgefragt, wie denn nun die zentrale These meines Films sein wird. Und darauf antworte ich, wahrheitsgemäß, dass ich das noch nicht wissen kann. Weil ich ja noch gar nicht überall war.
Insofern: Ich gehe nicht nur drehen, um meine vorgefertigte Meinung bestätigt zu finden. Ich lerne bei jedem Dreh etwas dazu. Und in mein Fazuit fließen all diese Erkenntnisse ein.
Ich glaube, „neutrale“ Berichterstattung ist eine Fiktion. Schon durch die Auswahl von Gesprächspartern und Drehorten bekommt ein Film eine Tendenz. Wichtig finde ich, dass wir Medienschaffende die Haltung, die wir am Ende einnehmen, schlüssig begründen und mit Fakten untermauern können.
Hallo Frau Schickling,
mich würde interfessieren ob der Betrieb
Weilerhöfer Putenspezialitäten Reinmuth GbR,Weilerhof 1, 74921 Helmstadt-Bargen
auch bei Ihren getesteten Höfen war?
Ich kaufe die Ware auf Märkten in Karlsruhe und Umgebung,und hatte bis jetzt die Hoffnung, das dort tiergerecht gearbeitet wird. Jetzt bin ich ziemlich verunsichert.
Vielen Dank für Ihre Rückmeldung
Schönen guten Tag!
Unsere Proben stammen durch die Bank aus Supermärkten und Discountern. Ihr Anbieter war nicht unter den getesteten, verkauft ja aber, soweit ich die Homepage der Firma verstehe, ausschließlich in Direktvermarktung.
Allerdings ist das offensichtlich ein konventioneller Betrieb. Das muss nicht zwangsläufig ein Problem sein, etwa bei Schweinen oder Rindern. Bei Puten indes werden im konventionellen Bereich ausschließlich die auf maximale Fleischausbeute hingezüchteten Hochleistungsrassen gemästet, mit den Problemen, die ich in meinem Film schildere.
Ihr Vorteil bei Direktvermarktern: Sie können fragen. Fragen Sie doch mal, ob die Tiere beim Weilerhof ins Freie dürfen. Oder ob die Schnäbel kupiert werden. Beides wäre eindeutig nict tiergerecht.
Herzliche Grüße, Katarina Schickling
Hallo Frau Schickling,
Vielen Dank für die superschnelle Antwort.
Ins Freie dürfen sie nicht, das weiß ich bereits, das lässt nichts Gutes ahnen.
Werde mich weiter schlau machen.
Einen schönen Abend.
Viele Grüße
Daniela Gramlich
Meine Hochachtung vor Herrn Henkelmann für die Bereitschaft sich über die Schultern schauen zu lassen. Er wird vermutlich gewusst haben auf was er sich einlässt.
Aber auch die Vorgehensweise von Frau Schickling gebietet Respekt,
für die soweit mögliche objektive Berichterstattung.
Es hebt sich wohltuend ab, von der oft reißerischen und falschen Berichterstattung von div. NGOˋs incl. Filmmaterial das illegal erworben wurde.
Wenn meinen Stall jemand illegal betritt, ist es eine Straftat ohne wenn
und aber, und als solche würde ich es auch anzeigen.
Es ist nicht Sache von NGOˋs Ställe und Tierhaltungssysteme zu kontrollieren und zu bewerten.
Was es aber braucht, sind verlässliche und unabhängige Kontrollsysteme,
die nachvollziehbare Sanktionen beinhalten und den Schutz von Tier und
Natur oberste Prioritäten einräumen.
Es kann nicht sein, das jahrelang wegen z.B des Schnäbelkürzens hin und
hergestritten wird, man merkt genau, welche Lobbyisten gerade die
Oberhand haben und wie das Thema jahrelang hin und hergeschoben wird.
Oder die Nitratwerte: Egal wie die Werte aussehen, es wird jahrelang hin und
hergestritten, sogar in der Regierung geht es Landwirtschaftsminister gegen Umweltminister, anstatt Experten beider Seiten mal 2 Jahre Zeit geben und dem Thema auf den Grund zu gehen.
Der Leserbrief von Frau Gramlich ist hier typisch für Verunsicherung.
Der Verbraucher möchte sich umweltbewusst nachhaltig und gesund ernähren.
Soweit so gut. Aber durch Werbung, Presse, Halbwahrheiten usw. entsteht
bei ihm ein diffuses Bild vom ganzen und er weiß nicht mehr wem er trauen kann,
so geht er halt dahin wo er immer hingeht, in den Supermarkt, weil dort
ist alles da, durch Auswahl hat er es selbst in der Hand was er kauft, und er
spart was, das ist die Hauptbotschaft.
Vielleicht schafft es diese Krise an dem ganzen Verhalten etwas zu verändern,
dazu gehören alle Beteiligten, auch die Landwirte ob, Bio oder konventionell,
ein erste Schritt wäre hin zu kleineren Strukturen.