Heute Abend läuft auf dem Sendeplatz „Geschichte im Ersten“ in der ARD meine Doku über die Geschichte der Umweltpolitik in Deutschland. 45 Minuten über verpasste Chancen, mit vielen spannenden Gesprächspartnern – dem Wasserschützer Nikolaus Geiler, dem DDR-Bürgerrechtler Carlo Jordan, Umweltpolitiker:innen und Historiker:innen – und dem grünen Bundesumweltminister von 1998 bis 2005 Jürgen Trittin.
Auch dieses Interview war, ähnlich wie das Gespräch mit Alois Glück, von dem ich letzte Woche berichtet habe, von Widrigkeiten überschattet. Am vereinbarten Interviewtermin hatte Jürgen Trittin Covid19. In einem immer enger werdenden Zeitplan wurde die Terminplanung echt sportlich, und am Ende musste ich nach einem Vormittagsdreh für eine ZDF-Doku über die Geschichte des Frauenfußballs ganz unnachhaltig in den Flieger steigen und für eine Art zweite Schicht an diesem Tag nach Berlin fliegen, um dort abends dann Trittin zu treffen, der ebenfalls schon einen kompletten Arbeitstag im Parlament hinter sich hatte.
Trotzdem war das ein sehr aufschlussreiches Gespräch, mit vielen Erkenntnissen und Einschätzungen, die ich gerne teilen möchte:
Katarina Schickling:
Wenn Sie mal an Ihre Kindheit zurückdenken: Umwelt war damals wahrscheinlich nicht mal als Begriff wirklich präsent, geschweige denn als Thema?
Trittin:
Doch. Zum Beispiel hatte mein Vater mal den Lattenrost vom Bett meiner kleinen Schwester mit einem Holzschutzmittel angestrichen, dann kriegte die Kopfschmerzen. Und dann hat er sich das angeguckt und gesagt: „Das ist ja alles Gift“ und hat das weggeschmissen. Ich habe später gelernt, dass es dieses Holzschutzmittel war, das einen großen Umweltskandal und Gesundheitsskandal ausgelöst hat. Und ich hatte schon sehr früh, in der zwölften Klasse, einen Biologielehrer, der war bekennender Anti-68er. Also bei uns natürlich schwer verdächtig. Aber dieser Biologielehrer brachte uns mit einem Buch in Kontakt, das hieß „Grenzen des Wachstums“. Und insofern gab es da eine gewisse Vorprägung durch persönliches Erleben und eben diesen Lehrer, für den ich bis heute dankbar bin, dass er sich da mit uns so drüber auseinandergesetzt hat.
Katarina Schickling:
Das ist eine Zeit, wo es auch mal für kurze Zeit so einen richtigen Boom in Sachen Umweltpolitik in Deutschland gab. Die FDP hat das ja damals als Thema entdeckt in der sozialliberalen Koalition noch mit dem Kanzler Brandt. Und da ist einiges passiert. Also Gründung des Bundesumweltamts und so. Können Sie sich erinnern, dass das damals in der Gesellschaft auch mit Wohlwollen aufgenommen worden wäre? War das interessant für die Leute?
Trittin:
Es gab natürlich etwas, was in besonderer Weise die Menschen umgetrieben hat: Das war dann die sogenannte Ölkrise, wo infolge dessen, um Öl zu sparen, man ja vier Wochen lang am Sonntag nicht fahren durfte. Ein sehr, sehr interessantes Erlebnis, das hat man heute nur auf Demos: Fahrrad fahren oder Rollschuh laufen auf einer Autobahn. Das konnte man da entsprechend machen. Und das war der erste Punkt, wo man plötzlich begriffen hat, dass Energie eben nicht vom Himmel fällt, sondern aus Regionen kommt, die unsicher sind. Und dann begannen natürlich auch erste Diskussionen. Da sollte es eine Anlage namens „Grovian“ geben. Das galt als sehr verwegenes Projekt, nämlich mit dem man mit Hilfe von Wind Strom erzeugen wollte. Das Projekt ist gescheitert. Heute schmunzeln wir: Die größeren Windanlagen sind alle größer als Grovian.
Katarina Schickling:
Damals wurde das Umweltthema ja in erster Linie immer so gedacht auch unter diesem peak oil-Aspekt. Also könnte uns die Energie ausgehen.
Trittin:
Die Theorie vom peak oil, die ja begründet war auch mit der Diskussion um Grenzen des Wachstums hat im Grunde genommen die Umweltbewegung bis in die 2000er Jahre rein geprägt. Erst mit Fortschreiten der Klimadiskussion, mit der Definition eines 1,5-Grad-Ziels setzte sich langsam die Erkenntnis durch, dass wir auf dem peak oil nicht warten dürfen, sondern im Gegenteil wir dafür sorgen müssen, dass 80 % der heute bekannten Ressourcen im Bereich Öl, Gas und Kohle unter der Erde bleiben müssen, wenn wir das 1,5-Grad-Ziel oder ein 2-Grad-Ziel auch nur einhalten wollen.
Die Antwort von Helmut Schmidt auf die Ölkrise war, wir müssen unabhängig werden. Kommt uns plötzlich ganz aktuell vor. Und die Unabhängigkeit sollte darin bestehen, dass wir eben bestimmte energetische Anwendungen über Nuklearenergie machen, über Elektrifizierung. Und eine eigene Industrie in diesem Bereich aufbauen. Das führte zu so fragwürdigen Vereinbarungen wie mit der Militärdiktatur in Brasilien, die man dort gebaut hat, weil man dann größere Stückzahlen hätte herstellen können und es billiger wurde. Also all dieses hatte schon seinen Hintergrund. Und dieses hat nun in allen Parteien plötzlich Widerstände ausgelöst, die aber keine Partei finden konnte. Die FDP war für Atomenergie, die SPD war für Atomenergie, die CDU/CSU sowieso.
Katarina Schickling:
Was hat denn bei Ihnen dazu geführt, dass Sie angefangen haben, sich für das Thema Umwelt mehr zu interessieren und eben auch politisch zu engagieren?
Trittin:
Das hatte einen ganz klaren Ausgangspunkt, das war die Auseinandersetzung um die Atomenergie. Das war gerade für Menschen, die aus der Nach-68er-Linken kamen wie ich. Wir sind ja groß geworden mit der Vorstellung, dass die Produktivkräfte immer weiterentwickelt wurden, also die klassische marxistische Lehre war ja sehr technikgläubig. Und dann würde das irgendwann umschlagen in die Veränderung der Produktionsverhältnisse. Das war so ein bisschen die Theorie. Und plötzlich war man mit einer Technologie konfrontiert, von der man zu der Überzeugung kam, dass man sie nicht weiterentwickeln sollte. Diese Produktivkraft sollte gestoppt werden wegen der Unfallgefahr, aber auch wegen der damit verbundenen Risiken für den Frieden. Die Atomenergie, die konnte man gar nicht erklären allein aus der Energiepolitik raus. Sondern die hatte immer etwas zu tun mit der Entwicklung der kriegerischen Nutzung des Atoms mit der Frage Atomwaffen. Und die ganze Diskussion um atoms for peace, der Zugriff auf diese Technologie, all dieses hat uns bewegt und dann war die Auseinandersetzung um Brokdorf, um Grohnde 1977 natürlich der Auftakt dafür, sich damit intensiver auseinanderzusetzen.
Katarina Schickling:
Die Atombewegung war ja zuerst was: junge Leute, Linke, viele harte Auseinandersetzungen mit dem Staat. Und dann kippte das irgendwann in breite Teile der Bevölkerung. Also es gab ja dann irgendwann wirklich eine große Mehrheit gegen die zivile Nutzung von Atomenergie. Da hat sicherlich was mit Tschernobyl zu tun, aber ich glaube, das hat vorher schon angefangen, oder?
Trittin:
Das hat vorher schon angefangen. Wenn Sie anschauen, 77 war Grohnde und Brokdorf sozusagen das klassische Bild: Die städtische Linke demonstriert und wird von der Polizei verprügelt. Es gab auch was anderes. Es gab in 77 den großen Gorleben-Treck, wo Bauern, Lehrer, sehr konservative Menschen mit Treckern von Gorleben nach Hannover fuhren, weil sie nicht mit dem Atommüll belästigt werden wollten. Es gab die Platzbesetzung in Wyhl; das waren keine Linksradikalen, das waren badische Winzer und sehr konservative Menschen, die da aufgestanden sind, dieses zu machen. Das heißt, von Anfang an war auch die Gegnerschaft zur Atomenergie etwas, was in breite, konservative, teilweise lebensschützerische Kreise reinging.
Katarina Schickling:
Dann kam Tschernobyl. Können Sie sich da dran noch erinnern, wie Sie da das erste Mal davon gehört haben?
Trittin:
Ja, ich kann mich erinnern, wie wir davon gehört haben. Ich war gerade in so einem Alter, wo viele meiner Studienkollegen erste kleine Kinder hatten, die mussten dann drin bleiben und durften nicht mehr im Sandkasten spielen. Wir fingen an, darüber nachzudenken, was man überhaupt noch essen kann und, und, und. Und das war schon sehr, sehr erschreckend. Und hat viel, viel Aktivität ausgelöst.
Katarina Schickling:
Was für eine Rolle haben denn die UN-Umweltkonferenzen gespielt im Gegenspiel mit der deutschen Umweltpolitik?
Trittin:
Von ganz zentraler Bedeutung war die Konferenz von Rio, weil sie zwei globale Konventionen zur Folge hatte: die Klimarahmenkonvention und die Convention on biological diversity. Diese beiden Konventionen haben dann sozusagen so ein Wechselspiel erlaubt zwischen internationalen Verpflichtungen, nationalen Anstrengungen. Die Nationen mussten immer wieder auf diesen Konferenzen nachweisen, was dort passiert war. Und insofern ist damit eine Grundlage gelegt worden für einen Mechanismus, in dem plötzlich auch neue Akteure ihre Rolle spielen konnten. Früher gab es international nur Staaten. Dann gab es noch große Konzerne, die waren damals alle nicht so pro Klimaschutz, wie sie heute teilweise durchaus ernsthaft sind. Aber es gab eigentlich nichts, was man sozusagen als Einfluss von globaler Zivilgesellschaft hatte. Und dies Konferenzen waren die entscheidenden Schritte, dass Zivilgesellschaft eine Rolle spielen konnte und dieser zivilgesellschaftliche Druck dann wiederum Staaten auch nach vorne gebracht hat. Das heißt, Regierungskonferenzen, internationale Konventionen haben so etwas mit geschaffen wie eine globale Zivilgesellschaft, die sich diesem Gemeinschaftsgut, unserer Atmosphäre, unserer Erde, der biologischen Vielfalt anwaltlich verpflichtet fühlt und denen eine Stimme gegeben hat.
Katarina Schickling:
Sie haben gerade das Stichwort Wirtschaft gesagt. Die Konzerne haben das ja durchaus in Deutschland eine meistens eher bremsende Rolle gespielt. Ich habe mit Alois Glück geredet, der hat gesagt: „Wann immer wir irgendeinen Vorschlag gemacht haben, standen sofort die insbesondere Automobilmanager in Bayern natürlich auf der Matte und haben gesagt: Das kostet 100.000 Arbeitsplätze, das geht überhaupt nicht.“
Trittin:
Also wie oft Deutschland schon deindustrialisiert worden ist, wenn man den Äußerungen der Lobby da glauben kann, das habe ich aufgehört zu zählen. Vom Verbot der fluorierten Kohlenwasserstoffe, eines der erfolgreichsten internationalen Abkommen, das Montreal-Abkommen, was dazu geführt hat, dass das Ozonloch wieder sich schließen konnte. Über die Frage: Verbot von bestimmten PVC und anderen Kunststoffen, bis hin zum Emissionshandel. Immer stand die Deindustrialisierung Deutschlands auf der Tagesordnung. Sie ist nie eingetreten, im Gegenteil: Nachdem Politik sich in diesen Fragen dann am Ende häufig durchgesetzt hat, manchmal mit Abstrichen, aber Beharrlichkeit der Umweltpolitik hat sich durchgesetzt. Dann war dann zwei Jahre später die Industrie ganz stolz darauf, auf ihre Errungenschaften, wo sie genau das gemacht hat, wozu sie vorher politisch dann genötigt wurde. Insofern, ja, das hat lange dazugehört, dieser Mechanismus. Da sehe ich inzwischen, was den Klimaschutz angeht, eine etwas gespaltenere Entwicklung innerhalb der Wirtschaft. Es gibt nach wie vor diese sehr retardierenden Elemente, die gegen den Klimaschutz wetten, aber es gibt auch viele, die verstanden haben, dass wenn sie ein zukunftsfähiges Geschäftsmodell haben wollen und das gilt interessanterweise fast am stärksten für die Finanzindustrie, also für jene, die wir oft sehr misstrauisch begucken, große Investoren wie Black Rock und Ähnlichen. Die verstanden haben, dass sie am Ende des Tages ihr Geschäft auch nur machen können, wenn sie dauerhaft auf ein Modell setzen, was nicht die Grundlagen des Wirtschaftens ruiniert. Und was gleichzeitig Akzeptanz bei den Anlegern findet, die ihnen das Geld geben. Heute sehe ich durchaus, dass innerhalb der Wirtschaft die Konflikte stärker verlaufen als zwischen Wirtschaft und Umweltpolitik.
Katarina Schickling:
Den Regierungen Schröder und Merkel ist oft der Vorwurf gemacht worden, dass sie sehr verstrickt waren, mit der Automobillobby und dass sie im Grunde genommen in Brüssel bei neuen Gesetzen immer bremsten. Tut man denn der Wirtschaft überhaupt einen Gefallen, wenn man das tut? Wäre es nicht viel schlauer, die gleich zu zwingen, innovative Dinge zu tun, anstatt an alten Modellen festzuhalten?
Trittin:
Dass die deutsche Automobilindustrie sich immer auf ihre Kanzlerinnen und Kanzler verlassen konnte, das ist ein durchgehendes Berufsbild gewesen. Autokanzlerin oder Autokanzler zu sein war zum Schaden der deutschen Automobilindustrie. Der Umstand, dass am Ende erst VW und dann in Folge die anderen großen Hersteller von China gezwungen werden mussten, auf die Elektromobilität mit zehn Jahren Verspätung aufzusteigen, zehn Jahre Verspätung! Dass sie acht dieser zehn Jahre damit zugebracht haben, darauf zu wetten, dass sie es schaffen, die Welt vom Diesel, dem deutschen Diesel zu überzeugen: Diese Haltung war zum Schaden und hat wichtige Marktanteile gekostet. Dass wir heute bestimmte Konkurrenten in China haben, liegt nicht nur an den unfairen Wettbewerbsbedingungen dort, sondern auch an dieser Verzögerung, dass wir große Probleme heute haben im Umbau unserer Automobilindustrie, schlicht, weil es schneller gehen muss, wenn man nicht untergehen will, als wenn man das vor zehn Jahren angefangen hätte. Das ist das negative Ergebnis einer erfolgreichen Lobbypolitik, die den Strukturkonservatismus höher gewichtet hat als die Wettbewerbsfähigkeit.
Wir haben im Klimaschutz beispielsweise über fast zehn Jahre Stillstand in der Emissionsentwicklung erlebt. Das war nicht so, dass da nichts passiert ist. Sondern Teile von dem, was noch die rot-grüne Regierung auf den Weg gebracht hatte mit dem erneuerbare Energien-Gesetz, Ersatz anderer Stromkapazitäten durch Wind und Sonne, der Emissionshandel, die begannen zu wirken. Führten dazu, dass in der Elektrizitätserzeugung in der Industrie die Emissionen runtergingen. Wir haben da wirklich eine Entkoppelung von Wachstum und Emissionen gehabt. Aber bedingt durch die wachsenden Emissionen im Verkehrsbereich, an die sich niemand rangetraut hat, waren wir plötzlich in dieser Nullbilanz bis hin dazu, dass in einem Jahr, wo Frau Merkel sich mit Herrn Trump darüber stritt, ob es Klimawandel gibt oder nicht, der Klimaleugner Trump eine bessere Reduktionsbilanz hatte als die Bekämpferin des Klimawandels, Frau Merkel. Ich glaube, der Kern ist in meinen Augen die Frage gewesen, dass man nie den Mut hatte, im Bereich des Verkehrs die Maßnahmen zu ergreifen, die eigentlich nötig gewesen wären. Und weil es sich um eine für Deutschland drei zentralen Schlüsselindustrien handelte. Und man sich denen so verpflichtet fühlte, dass man selbst um den Preis der Verlust der Wettbewerbsfähigkeit das gemacht hat.
Katarina Schickling:
Die Geschichte des Atomausstiegs, -einstiegs und –wiederausstiegs ist im Grunde ja eine ähnliche, oder?
Trittin:
Ja, das ist eine ähnliche, aber die ist ein bisschen anders. Da hängt nicht so viel hinter. Also ich sage das jetzt bewusst verständnisvoll. Es ist was anderes, ob Sie eine Industrie haben, wo in der Höchstzeit 40.000 Leue drin gearbeitet haben, das war die Atomenergie. Oder ob Sie eine Industrie haben, wo allein in den Kernbetrieben 600.000 Menschen arbeiten und nehmen Sie Zulieferer, noch viel, viel mehr. Da wird man als Bundesregierung auch nervös, wenn es denen schlecht geht. Und wenn das eine von den drei Industrien ist, wo wir auf dem Weltmarkt reüssieren – Maschinenbau, Automobil und Chemie -, das sind die Kernkompetenzen des Industrielandes Deutschland… Es war trotzdem nicht klug, weil es eben zum Verlust von Marktanteilen, zum Verlust von Wettbewerbsfähigkeit geführt hat. Aber das war was anderes, als im Grunde genommen diese aus einer bezahlten Kampagne entstandene Sache: Wir meinen das nicht ernst, was wir unterschrieben haben. Weil die Unternehmen hatten ja alle unterschrieben, deswegen war ja der rot-grüne Atomausstieg entschädigungsfrei. Anders als der später von Frau Merkel, für den sie Entschädigung zahlen musste. Und dafür musste aber das Gesetz geändert werden. Wir hatten, als die Unternehmen unterschrieben haben, zwar schon den Eindruck, dass die dort Anwesenden ordentliche Kaufleute wären. Aber wir wussten auch, dass die möglicherweise nicht die ganze Zeit im Amt sein würden, deshalb haben wir es ja mit einem Gesetz unterlegt. Und dieses Gesetz musste geändert werden. Das ist auf Lobbydruck passiert; CDU und FDP haben sich auf Laufzeitverlängerung verständig. Sie haben es in einem sehr aufwendigen Prozess gegen massive Demonstrationen durchgesetzt, die Laufzeiten zu verlängern und sind dann komplett damit eingebrochen in einer Situation, als sich zeigte, dass Atomkraft eben nicht sicher ist. Und insofern weiß ich nicht, wie das gewesen wäre, wenn jetzt so eine Wirtschaftsmacht dahintergestanden hätte wie beispielsweise die Automobilindustrie. Da waren die großen Energiekonzerne doch vergleichsweise kleine Nummern.
Katarina Schickling:
Ja gut, aber umso mehr: Warum haben die das gemacht? Also populär in der Bevölkerung war das ja nicht. Warum war die Klimakanzlerin Merkel so bereitwillig?
Trittin:
Ich bin der festen Überzeugung, weil sie geglaubt haben, damit käme man durch und am Ende des Tages ging es ihr ja auch nicht um, dafür war sie zu intelligent, die Atomenergie eine Zukunft zu geben, sondern einfach den Unternehmen die Chance zu geben, noch ein paar Jahre mit abgeschriebenen Anlagen viel Geld zu verdienen. Das mussten sie auch, weil sie durch ihre eigene Weigerung, sich an dem Ausbau erneuerbarer Energien zu beteiligen, massiv Marktanteile verloren hatten. Auch da waren RWE, eo.n & Co. ja nicht nur in der Situation, dass sie hier aus Gründen, weil sie für Atom waren, die Laufzeiten verlängern wollten. Sondern durch unternehmerische Fehlentscheidungen, sich nicht an der Energiewende zu beteiligen, waren sie dabei, massiv Marktanteile zu verlieren. Sie haben massiv auch an Wert an der Börse verloren und dieses zu konterkarieren, war die Absicht.
Katarina Schickling:
Wie war das, als Umweltminister, als grüner Umweltminister die Entscheidungen von konservativen Katarina Schicklingrungen ausbaden zu müssen bei so Dingen wie den Castor-Transporten? Das war, stelle ich mir vor, schon hart.
Trittin:
Ja, das war nicht angenehm, aber am Ende des Tages bei allen Konflikten, die das auch mit der Anti-AKW-Bewegung vor Ort hatte, haben wir Wort gehalten. Wir haben gesagt, wir holen diese Sache noch, aber wir machen den Standort Gorleben zu. Und wir haben geliefert.
Katarina Schickling:
Was würden Sie denn als Ihren größten Erfolg betrachten aus Ihrer Zeit als Umweltpolitiker?
Trittin:
Die Kombination des Ausstiegs aus der Atomenergie und des Einstiegs in erneuerbare, gepaart mit dem Emissionshandel. Das ist die Grundlage auch für die gesamte Klimaschutzpolitik der heutigen Tage.
Katarina Schickling:
Und an welchen Stellen sagen Sie, da hätte ich gerne mehr geschafft, das war nichts?
Trittin:
Also ich glaube, dass wir im gesamten Bereich der, wenn ich so will, Recyclingwirtschaft, könnten wir heute viel, viel weiter sein als wir es tatsächlich sind. Technik und übrigens Marktgängigkeit und der Wunsch, von Ressourcenimporten nicht so stark abhängig zu sein, würde das eigentlich gebieten.
Katarina Schickling:
Und warum ist das so schwierig mit der Recyclingwirtschaft?
Trittin:
Weil Sie mit mehr wirtschaftlichen Akteuren zu tun haben als in der Energiewirtschaft. Das geht ja bis in Teile sozusagen ins Alltagsleben – Sie alle kennen den gelben Sack und solche Dinge – hinein. Aber auf der anderen Seite im Bereich des technischen Umweltschutzes wiederum, ist Deutschland das einzige Land, was die Ablagerung von nicht vorbehandelten Abfällen verboten hat. In Deutschland dürfen Sie keine traditionelle Müllkippe mehr betreiben. Das war natürlich ein Schritt in diese Richtung. Aber ich sage, es hätte weiter gehen können.
Katarina Schickling:
Hätten wir das Klimathema besser in den Griff kriegen können? Und wenn ja, wie?
Trittin:
Wir hätten das in den letzten 16 Jahren, wenn wir die Klimapolitik, die wir unter rot-grün auf den Weg gebracht haben, wären wir heute sehr viel weiter, wenn es nicht 16 Jahre stand still gegeben hätte.
Katarina Schickling:
Ärgert Sie das?
Trittin:
Ja, natürlich. Das ist eine verpasste Chance und die treibt die Kosten jetzt höher. Und wenn mit Folge des Ukraine-Krieges wir noch schneller aus den fossilen raus müssen, werden die gesellschaftlichen Kosten noch höher. Das ist doch die Erfahrung jeder Umweltpolitik: Verschlafene Innovation macht es teurer. Es verhindert es nicht, es macht es nur teurer. Klimaschutz ist Politik des Vorbeugens. Sie müssen handeln, bevor der Schaden eingetreten ist. Und das macht das schwer.