Ein Weihnachten ohne Baum kann ich mir definitiv nicht vorstellen. Und habe gleichzeitig ein schlechtes Gewissen: Ist das nicht der ultimative Umweltfrevel?
Laut Schutzgemeinschaft Deutscher Wald stammen 90 Prozent der Weihnachtsbäume aus Deutschland. Heimische Bäume sind auf jeden Fall besser als Importware, je regionaler desto besser, wegen der Umweltbelastung durch den Transport. Wobei es hier schon wieder kniffelig wird – 80 Bäume auf einem LKW, die dann von den Käufern zu Fuß nach Hause gebracht werden, sind im Zweifel weniger CO2-belastend, als 80 Familienkutschen, die in die Christbaumschonung auf dem Land fahren, um dort ihren Baum persönlich zu schlagen und zu transportieren.
Früher waren Christbäume ein Teil der Waldpflege: Schwächere Bäume wurden aus Jungbeständen ausgelichtet. Dadurch bekamen die verbleibenden Bäume mehr Licht, Platz und konnten sich besser entwickeln.Bei 30 Millionen Bäumen funktioniert diese Methode allerdings nicht mehr. Heute sind Christbäume ein Plantagenerzeugnis, gezielt gezogen in riesigen Monokulturen.
Die Ökosünde aus dem Kaukasus
Klarer Favorit der Deutschen ist die Nordmanntanne, mit einem Marktanteil von 75 Prozent. Die ist eigentlich im Kaukasus zu Hause. Die Fichte wäre eine heimische Alternative, nadelt aber dummerweise viel mehr. Noch schlechter: Immer wieder finden Umweltschützer erhebliche Pestizidmengen in den Nadeln, zuletzt der BUND 2017, als von 17 untersuchten Bäumen 13 belastet waren. Bei der Lektüre der Ergebnisse wird mir schwummrig:
„In den Nadeln von neun Bäumen und damit am häufigsten wurde das Insektizid Lambda-Cyhalothrin festgestellt, das als das schädlichste zurzeit in der EU zugelassene Pestizid gilt. Es ist unter anderem akut toxisch, schädigt Nervenzellen und das Hormonsystem, ist giftig für Bienen und Wasserlebewesen und reichert sich in Organismen an. In Weihnachtsbaumplantagen wird es zur Insektenbekämpfung eingesetzt. Ein weiterer bei dem BUND-Weihnachtsbaumtest gefundener Wirkstoff, Parathion-Ethyl – früher bekannt als E 605 oder umgangssprachlich als „Schwiegermuttergift“ –, ist illegal und darf aufgrund seiner äußerst hohen Giftigkeit bereits seit 15 Jahren in der EU nicht mehr verwendet werden. In zwei Weihnachtsbäumen wurde auch das umstrittene Totalherbizid Glyphosat nachgewiesen.“
Also… das mag ich nicht vier Wochen lang in meinem Wohnzimmer herumstehen haben!
Eine mögliche Alternative sind Bio-Christbäume. Damit löse ich das Pestizid-Problem, auch wenn die Biobäume manchmal etwas weniger gerade und gleichmäßig gewachsen sind. Allerdings fällt das nach Hause tragen damit in meinem Fall schon mal weg – Bio-Bäume gibt es fußläufig bei mir keine…
Ein Tipp für alle Berliner: Landwirt Benedikt Brösel hat ein tolles regeneratives Konzept entwickelt, wo immer nur die Spitzen der Tannenbäume „geerntet“ werden, und auf dem Stamm ein neuer Leittrieb alias Christbaum wächst. Der untere Teil der Stämme dient zudem als Rankhilfe für Brombeerkulturen.
Alternative Bäume
Nun könnte man den Baum ja mit Wurzelballen kaufen und nach Weihnachten wieder einpflanzen. Weil nicht jeder sich über die Jahre einen Tannenwald im Garten zulegen mag und kann, gibt es mittlerweile Anbieter, wo man den Baum im Topf mieten kann. Das ist allerdings etwas für Spezialisten: Denn nachhaltig ist das nur, wenn der Baum auch wirklich nach Weihnachten weiterlebt. Deshalb darf er nur kurz im Wohnzimmer stehen, muss langsam an die wärmere Temperatur gewöhnt werden, nicht neben der Heizung stehen, man muss ihn regelmäßig, aber nicht zu viel gießen… klingt kompliziert! Das Umweltportal Utopia hat eine Reihe von Anbietern zusammengestellt und erklärt, wie man seinen Mietbaum lebend durch die Weihnachtszeit bringt. Allerdings schlägt da der Transport gleich mehrfach zu Buche, wenn der Mietbaum kilometerweit durch die Gegend gefahren wird.
Oder lieber gleich den Baum aus Plastik? Meine Kollegen von der WDR-Wissenschaftssendung Quarks haben verschiedene Studien angesehen, die echte Bäume mit ihren Plastikgeschwistern vergleichen. Bilanz: Je nach Herklunftsland vergehen 17 bis 20 Jahre, bis der Plastikbaum in Sachen Ökobilanz vorne liegt. Den Studien zufolge entstehen durch einen natürlichen Baum etwa 3,1 Kilogramm Kohlendioxid, während bei einer Plastiktanne 48,3 Kilogramm CO2 zusammen kommen. Und dann haben Sie bei Plastikbäumen auch wieder das Erdöl-Thema auf der Uhr… Was zudem für den traditionellen Christbaum spricht: In den acht bis zehn Jahren, während er wächst, speichert er CO2.
Baum schmücken mit gutem Gewissen
In Sachen Christbaumschmuck habe ich ein gutes Gewissen: Da wird bei mir wirklich gar nichts weggeworfen, meine ältesten Anhänger begleiten mich seit über 30 Jahren, und schon jetzt wetteifern meine Kinder, wer was erben darf. Aber was ist mit der Beleuchtung? Wenn Sie auf echte Kerzen stehen: Bienenwachs hat, wie letzte Woche schon erwähnt, eine viel bessere Ökobilanz als Kerzen aus Paraffin – das wird aus Erdöl erzeugt und ist schon deshalb problematisch. Stearinkerzen wären günstiger, dürfen aber auch bis zu zehn Prozent aus Paraffin bestehen. Ich persönlich bin mit elektrisch beleuchteten Christbäumen großgeworden – immer ein Highlight an Weihnachten, wenn jemand versehentlich an der falschen Kerze den Baum ausgedreht hat, und die ganze Familie an den Lichtern herumfummelte, um den Baum wieder zum Strahlen zu bringen… der Stromverbrauch einer LED-Lichterkette ist relativ niedrig. Wie hoch genau können Sie relativ leicht ausrechnen.
Was aus ökologischer Hinsicht gar nicht geht, ist Kunstschnee zum Aufsprühen – Chemikalien und Schwermetalle im Spray, die Entsorgung der Spraydose, und kompostierbar ist der Baum dann auch nicht mehr. So genanntes „schweres Lametta“ besteht großteils aus Blei und darf deshalb nicht in den Hausmüll sondern muss zur Schwermetallsammelstelle auf dem Wertstoffhof. Ist das Lametta aus Kunststoff oder Aluminium, ist es wenigstens kein Sondermüll, versaut jedoch ebenfalls den Kompost und muss peinlich genau entfernt werden, bevor der Baum entsorgt wird.
Am Ende seines Lebens muss der Baum unbedingt ordentlich entsorgt werden: Christbäume lassen sich, gründlich abgeschmückt, gut kompostieren. Und die Zweige eignen sich auch gut als Abdeckung für Beete gegen Januarfröste.
Wie immer: gutes „food for thought“. Klasse!
Mich würde interessieren, in welchen Konzentrationen das „giftigste Pestizid“ in den Nadeln gefunden wurde. Weder Sie noch der BUND aus 2017 macht dazu eine Aussage.
Finden kann man alles überall. Ohne eine Mengenangabe ist es unsauberer Journalismus, der nur der Verbreitung von Ängsten dienen soll.
Gilt übrigens auch für Glyphosat, das natürlich nicht fehlen darf. Kennen Sie dessen Giftigkeit? Etwa die von Kochsalz und Backpulver.
Aber was rege ich mich auf…sinnlos mit Fakten zu argumentieren, wenn man mit Gefühlen mehr erreicht…
Lieber Bauer Willi,
wie schön, dass Sie wie immer rein mit Fakten argumentieren und so gar nicht mit Polemik…
Ich fange mal hinten an. Die negativen Folgen von Glyphosat auf Wasserorganismen, Würmer oder Insekten sind in zahlreichen Studien beschrieben. Keine Ahnung, ob Backpulver auf unseren Äckern die gleiche Wirkung hätte – da sind Sie offenkundig der Experte. Ganz generell jedoch würde ich mir wünschen, dass viel mehr Landwirte sich ernsthafter mit der Frage auseinandersetzen, ob es wirklich in ihrem Interesse ist, immer wieder die Kriege der Vergangenheit zu führen. Kaum ein Landwirt lebt mit unserer aktuellen Form des konventionellen Landbaus gut. Vielleicht also doch Zeit, über andere (und nachhaltigere) Konzepte nachzudenken?
Die Konzentration von Lambda-Cyhalothrin und Parathion-Ethyl findet man, indem man ans Ende des Artikels im Link scrollt – dort gibt es eine Grafik mit detaillierten Angaben zur Konzentration in jedem einzelnen getesteten Baum. Ihre Entschuldigung für den „unsauberen Journalismus“ nehme ich gerne an – gern geschehen!
Die Konzentration ist in der Tat nicht hoch. Weder ich noch der BUND behaupten, dass uns das Pestizid im Christbaum umbringt. Aber dass diese Stoffe vorhanden sind zeigt, dass sie eingesetzt werden. Und bei einem Luxusartikel wie dem Weihnachtsbaum, der nicht der Ernährung der Weltbevölkerung dient, sondern „nur“ meiner Freude, finde ich den Ansatz berechtigt, dass der so wenig umweltschädlich wie möglich entstehen soll.
Was die Verbreitung von Ängsten betrifft: nicht Angst, sondern Unbehagen. Ich – und mit mir immer mehr Verbraucher*innen – möchte, dass wir alle gemeinsam an einer Zukunft arbeiten, wo der Einsatz hochgiftiger Substanzen nicht selbstverständlich geschieht. Wo nicht dauernd Expertengruppen über gerade noch zumutbare Grenzwerte brüten. Sondern wo mehr Erzeuger*innen und Kund*innen darüber nachdenken, wie es besser geht.
In diesem Sinne: eine gesegnete Adventszeit!
Entschuldigen Sie, dass ich die Grafik am Ende des Artikels nicht erkannt habe. Einen Satz von Ihnen finde ich bemerkenswert:
„Aber dass diese Stoffe vorhanden sind zeigt, dass sie eingesetzt werden.“ Das erscheint mir logisch… 🙂
Mit der Mengenangabe ist dem Leser doch auch nicht geholfen. Liegen die Werte über oder unter dem Grenzwert?
Ich möchte Sie bitten, in der Adventszeit mal darüber nachzudenken, warum 20% der Deutschen die Grünen wählen, der Marktanteil von Bio-Lebensmitteln aber im deutlich einstelligen Bereich liegt.
Mein Problem als Landwirt ist der Citizen-Consumer-Gap: das der Bürger nicht das tut, was er vor dem Mikrofon sagt. Und von „ich würde ja, wenn ich…“ kann ich halt nicht leben.
Auch Ihnen eine schöne Adventszeit. Ich überlege noch, ob ich mich nicht von Ihrem Newsletter abmelden soll. Ich ärgere mich dann nicht mehr so. Aber eigentlich wäre es schade, weil wir uns dann nicht streiten könnten: Und das macht doch irgendwie Spaß 🙂
Lieber Bauer Willi!
Mit kaum jemandem streite ich so gerne, wie mit Ihnen.
Ein Gedanke noch: Wie bekommt man die Kundschaft zum Bio kaufen? Indem man ihnen erzählt, dass das gar nicht nötig ist, weil zB Glyphosat ein prima Kochsalzersatz ist? Oder indem man erzählt, was im Biobereich wünschenswerter läuft?
Und so lange die Umweltschäden, die die konventionelle Landwirtschaft mitverursacht, nie in die Produkte eingepreist werden, sondern über Steuern und Abgaben gewissermaßen sozialisiert, haben wir auch keine realistische Preisgestaltung im Laden.
Meine liebe Frau Schickling
ich empfehle Ihnen das Studium des Buches „SAUEREI – Bauer Willi über billige Lebensmittel und unsere Macht als Verbraucher“ Kluger Mann.
Unser Sohn will eventuell den Betrieb auf Bio umstellen. er hat seine Masterarbeit darüber geschrieben. 100 Seiten. Das wäre mal ein Thema für eine Journalistin. Vielleicht kennen Sie ja eine gute…
Im Ernst, ich kenne alle Ihre Argumente, aber die lassen sich natürlich auch für andere Produkte anwenden, nicht nur Lebensmittel.
Glyphosat ist kein Kochsalz-Ersatz, es ist nur von der Giftigkeit gleich zu behandeln. Aber Sie wollten mich ja nur wieder ärgern… 🙂