Tierwohlsiegel sollen für mehr Tierschutz sorgen. Ich glaube, das ist zu kurz gedacht: Wenn wir es ernst meinen damit, dass Tiere nicht gequält werden sollen, bevor sie als Schnitzel auf unseren Tellern landen, müssen wir viel größer denken.
Am 20. Januar hat der Präsident des nordrheinwestfälischen Landtags Post bekommen. Das Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz legte darin einen Bericht über Schwerpunktkontrollen in Schweinemastbetrieben vor, der es in sich hat: 59 Prozent der 379 untersuchten Betriebe weisen demnach mindestens einen tierschutzrelevanten Mangel, 90 Betriebe sogar mehrere Verstöße gegen Tierschutzkriterien auf. Ziemlich gravierende Missstände, also. Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, hat dafür eine Erklärung:
„Wir wissen längst, dass solche Mängel bundesweit und viel zu häufig auftreten. Ein Grund dafür ist die viel zu geringe Anzahl von Kontrollen durch die zuständigen Veterinärbehörden. So wird jeder Betrieb in Deutschland durchschnittlich alle 17 Jahre, in Schleswig-Holstein alle 37 Jahre und in Bayern sogar nur alle 48 Jahre kontrolliert.“
Dabei schien es doch so schön vorwärts zu gehen, in Sachen Tierschutz. Immer mehr Fleisch im Supermarkt ist mit diversen Labeln ausgezeichnet, die eine bessere Behandlung der Tiere suggerieren. Alles Fake?
Mehr Tierwohl durch Siegel?
Im letzten Jahr habe ich mich viel mit Tierwohlsiegeln beschäftigt. Den Labels der Handelsketten mit ihren verschiedenen Stufen. Den Vorschriften der Bio-Verbände. Und dem lange erwarteten und immer noch nicht eingeführten staatlichen Tierwohllabel der Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner.
Eins ist mir bei diesen Dreharbeiten klar geworden. Kleine Schritte für mehr Tierwohl sind oft nur Augenwischerei. Manchmal schaffen sie sogar neue Probleme: zum Beispiel in einem niederbayerischen Schweinestall, wo ich im Herbst 2020 zu Gast sein durfte. Der Betrieb hat investiert und darf seine Schweine deshalb mit dem Label „Haltungsstufe 2“ der Initiative Tierwohl vermarkten. Die Tiere haben geringfügig mehr Platz, wobei selbst der Landwirt im Gespräch zugibt, dass die 10 Prozent mehr Platz pro Schwein – im Endstadium der Mast sind das 1,1 Quadratmeter – keinen Qualitätsunterschied bedeuten. Das Plus entspricht nicht mal der Fläche eines Din A 3-Blattes, für ein 100-Kilo-Viech. Schon sinnvoller ist das so genannte Beschäftigungsmaterial: Die Schweine haben Raufen mit Stroh zur Verfügung und sichtlich Vergnügen daran. Oder offene Tränken. Und sie müssen mehr Tageslicht bekommen, 1,5 Prozent Fensterfläche.
Das klingt erstmal gut: Ich habe schon in sehr düsteren Mastställen gedreht und fand das stets bedrückend. Allerdings fällt mir auf, dass ein Teil der Fenster im Stall mit Pappe abgedeckt ist. Darauf angesprochen stöhnt der Bauer: „Das Problem ist, dass ein paar Stunden am Tag hier die Sonne reinknallt. Und dann gibt es in zwei der Boxen gar keinen Schatten.“ Also deckt der Bauer dann die vorschriftsgemäßen Fensterflächen zum Schutz der Tiere wieder ab. Ich finde das ein schönes Beispiel dafür, warum das Drehen an kleinen Stellschrauben nichts bringt: ein Problem gelöst, ein neues geschaffen. Wenn Schweine so leben, wie es die Natur vorsieht, etwa an einem Waldrand, gehen sie einfach in den Schatten, wenn ihnen die Sonne zu krass wird. Oder suhlen sich im Schlamm und schaffen sich so eine Art natürlichen Sonnenschutz. Aber in einer gesetzeskonformen Standardbox gibt es diesen Platz nicht.
Wer trägt die Verantwortung?
Im Grunde finde ich es eine Zumutung, dass ich im Laden entscheiden soll, ob ich mir heute ein bisschen mehr oder weniger Tierquälerei zum Abendessen gönnen mag. Woher kommt eigentlich der Ansatz, dass es eine Art Menschenrecht sei, Fleisch so billig kaufen zu können, dass das Schinden von Tieren zwangsläufig die Konsequenz ist? Tierschutz hat bei uns Gesetzesrang, und schon die vorhandenen Gesetze würden genügen, um den größten Teil der heute üblichen Weise, Fleisch zu erzeugen, sofort zu unterbinden.
Ich denke, es geht nicht um die Frage, ob Tierwohllabel freiwillig oder verpflichtend sein sollen. Viel sinnvoller wäre es, wenn der Gesetzgeber dafür sorgt, dass jegliches tierisches Produkt in unseren Läden tiergerecht erzeugt worden ist. Unsere Politik beruft sich ja immer wieder mal gerne auf die Werte des christlichen Abendlandes, auf denen unsere Gesellschaft angeblich fußt. Das sollten wir dann bitte auch ernst nehmen. Das ordentliche Behandeln von Tieren gehört spätestens seit Franz von Assisi dazu. Dessen Tod jährt sich in 5 Jahren zum 800. Mal. Wäre schön, wenn wir das vorher schon hinbekommen würden…
Es ist so einfach, auch ohne Tierwohlsiegel: Alle kaufen Bio-Fleisch, am besten von einem Bio-Verband. Gibt es mittlerweile auch beim Discounter, also sehr verbraucherfreundlich ohne Auto zu machen.
Der Anteil an Bio-Schweinen lag 2019 bei 0,4%. Da ist also noch sehr viel Luft nach oben. Übrigens wird nur ein Teil der Bio-Schweine als Bio-Fleisch vermarktet. So lassen sich z.B. Innereien nur im konventionellen Markt absetzen.
Da haben Sie natürlich völlig recht, lieber Bauer Willi. Bio-Fleisch wäre eine gute Zwischenlösung.
Wobei Teil des Problems natürlich auch ist, dass gerade bei Schwein (und Huhn) der Preisabstand zwischen Bio und konventionell auch deshalb so groß ist, weil die Folgekosten der jeweiligen Erzeugung nicht eingepreist sind. Auch ich als Bio-Käuferin trage etwa die Kosten der Nitratbehaltung durch Großbetriebe im konventionellen Bereich mit. Und dann haben Schweine das Pech, dass man sie ziemlich mies halten kann und ihr Fleisch trotzdem immer noch gut schmeckt…
Was mir an den diversen Zwischenstufen mißfällt, ist die Mogelpackung.Anmutung. So wird Kund:innen suggeriert, sie kaufen auch da schon etwas mehr Tierschutz ein, was aber im Grunde nur Augenwischerei ist.