Wenn in der Küche des Hotels San Pietro in Positano die Zitronen ausgehen, geht das Personal einfach kurz auf die Terrasse: Überall auf dem Grundstück wachsen Zitronen, vier verschiedene Sorten, so dass der Nachschub ganzjährig nie abreißt. Und auch sonst kauft der Spitzenkoch hier nicht ein – er geht ernten…
Als Carlino Cinque vor 51 Jahren beschloss, einen felsigen Hang 20 Gehminuten von Positano entfernt zu kaufen und dort ein Hotel zu bauen, hielten ihn seine Nachbarn für ziemlich verrückt. Heute ist das San Pietro in Positano eines der besten Hotels Italiens, wo Hollywoodstars und Industriemagnaten ungestört urlauben. Vor allem aber beherbergt das 5-Sterne-Hotel ein Michelinstern-gekröntes Spitzenrestaurant, das Zass. Und dessen Küche profitiert extrem vom Gemüsegarten des Hotels, der sich über die felsigen Hänge der Küste vom Meer bis zur Straße hinaufzieht und einen großen Teil der Zutaten liefert, die hier zubereitet werden.
Mein Besuch findet Ende Oktober statt und macht Gärtner Pasquale eher unglücklich: „Sie hätten im Juli kommen müssen – da schöpfen wir aus dem Vollen!“ Doch auch jetzt finde ich noch ziemlich beeindruckend, was hier wächst: Blumenkohl, Broccoli und Cime di Rapa. Süße Peperoni und die letzten Datteltomaten der Saison. Fenchel, Kürbis, Sellerie und diverse Salate. Und natürlich ein bunter Strauss mediterraner Kräuter. Das übliche Mantra „regional und saisonal“ ist hier eine Selbstverständlichkeit: Jetzt, wo im Garten keine Auberginen mehr übrig sind, gibt es eben auch keine Gerichte mit Auberginen mehr. Dafür aber Kürbisravioli oder einen Gemüsesalsat mit allem, was der Herbst bietet.
Selbstversorgung findet hier an vielen Stellen statt. Zum Beispiel gibt es im Restaurant zur Begrüßung immer ein Stück Pizza Margherita – immerhin liegt Neapel gleich um die Ecke. Das Holz für den Ofen stammt von Steineichen, die am Rande des Gemüsegartens wachsen. Das Holz wird zum Trocknen an die Natursteinmauern gestapelt, so wie das die Bauern hier immer schon gemacht haben.
Ein steiles Stück Paradies
Um dem steilen Gelände Land für den Anbau von Obst und Gemüse abzutrotzen, legen die Menschen an der Amalfiküste seit Jahrhunderten Terrassen an, windgeschützt in den scharfen Einschnitten der steil abfallenden Hänge. Die allgegenwärtigen Zitronenbäume spenden etwa dem Sellerie oder Löwenzahnsalat etwas Schatten gegen die sengende Mittagssonne, umgekehrt bewahren die dichten Blätter des Gemüses die Wurzeln der Zitronenbäume vor dem Austrocknen.
„Hier ist alles Bio, ohne dass wir das an die große Glocke hängen oder zertifizieren lassen“, erklärt mir Küchenchef Alois Vanlangenaeker. „Für uns ist das ganz selbstverständlich, wir brauchen hier keine Pestizide oder Dünger. Und man schmeckt, dass die Zutaten perfekte Bedingungen haben: viel, viel Sonne, Böden, die sich durch wechselnde Pflanzen in den Beeten regenerieren können.“
Saisonale Küche vom Feinsten
Auf die Speisekarte kommen Klassiker – natürlich, zum Beispiel, Pasta mit heimischen Zitronen. Vor allem aber die Produkte der Jahreszeit. In der Küche darf ich zuschauen, wie einer der Köche Kürbisravioli formt – hauchzarter Nudelteig, und auch die Kürbisse stammen selbstredend aus eigenem Anbau. Die Steinpilze kauft der Küchenchef örtlichen Sammlern ab. Was hier am Abend serviert wird, hat kürzeste Wege auf der Uhr und ist erntefrisch – Nachhaltigkeit, die man schmecken kann. Nur die karamellisierten Esskastanien für die Entenbrust zum Hauptgang waren weiter unterwegs: „Die Maronen aus dem Piemont sind einfach die besten!“ erklärt mir der Küchenchef. Nachdem ich schon seit Kindertagen oft ans piemontesische Ufer des Lago Maggiore fahre, lacht mir da das lokalpatriotische Herz, auch wenn die Beilage die Ökobilanz des Gerichts etwas schmälert…
Das Fischproblem
Wie überall an den Küsten Italiens spielt auch in der Küche des Zass Fisch eine zentrale Rolle. Ich hatte zum Beispiel Wolfsbarsch-Carpaccio, wieder mit Steinpilzen und Maronen, diesmal als Tartar.In München hätte ich Bedenken, Wolfsbarsch roh zu essen – ich kann mich noch gut erinnern, wie uns bei einem Lebensmittelcheck mit Tim Mälzer der Fischgroßhändler jegliche Illusionen zum Thema frischer Fisch nahm und uns erklärte, wie lange das, was wir selbst in teuren Feinkostläden kaufen, schon unterwegs ist, bevor wir das Meeresgetier in die Finger bekommen.
Im San Pietro muss ich mir diesbezüglich keine Gedanken machen: Zwei bis drei mal in der Woche kauft Alois Vanlangenaeker den Fisch morgens um fünf auf dem Markt in Sorrent, auf der Rückseite jener Bergkette, die die Amalfiküste von Nordwinden abschirmt und zu einem so idyllischen Fleckchen Erde macht. Doch auf dem Fischmarkt kann man erleben, wie auch dieses Idyll unter menschgemachten Problemen leidet: „Ich kaufe nur Fisch von den hiesigen Fischern. Und der wird von Jahr zu Jahr teurer, weil die Fischer immer weniger fangen.“ Wie neulich hier schon beschrieben gelten fast zwei Drittel der Fischbestände im Mittelmeer als überfischt. Für den belgischen Gourmetkoch ein Zwiespalt: „Natürlich macht mir das Sorgen. Aber der Fischfang gehört hier zur Kultur. Und ein Restaurant in Positano ohne Dorade oder Gamberi Rossi? Undenkbar!“
Kreislaufwirtschaft à la San Pietro
Vor der Abreise mache ich noch einen Abschiedsspaziergang durch den Garten. Die Tomaten sind quasi abgeerntet. Ich nasche von den letzten Peperoni der Saison. Und dann fällt mir ein Beet mit üppig gelb blühenden Pflanzen auf. Ich probiere ein Blatt: scharf, würzig, etwas bitter… Ruccola, viel geschmacksintensiver als die schlappen Blätter, die es bei uns bundweise gibt. „Am Ende der Saison lassen wir den Ruccola aufblühen. Und dann ernten wir die Samenstände und nutzen sie im nächsten Jahr wieder zur Aussaat.“
Eine der Pflanzen reist mit mir nach Hause – mal sehen, ob ich es schaffe, nächstes Jahr Positano-Ruccola zu ziehen…