Einen Liter Milch zu trinken, ist für das Klima so schädlich, wie 7 Kilometer mit einem durchschnittlichen Auto zu fahren. Ein halbes Pfund Butter entspricht sogar mehr als 40 Kilometern. Jede Kuh trägt übers Jahr mehr zum Klimawandel bei als zwei durchschnittliche Autos!
Das klingt erst mal sehr beeindruckend. Gefunden habe ich diese Zahlen auf einem Veganer-Portal, und sie stimmen – sofern man nur die anfallenden CO2-Äquivalente betrachtet. Der Schluss daraus jedoch stimmt so nicht, und das ist wieder mal ein gutes Beispiel dafür, warum man, frei nach Winston Churchill, keiner Klimabilanz trauen sollte, die man nicht selbst gefälscht hat. Denn um die Umweltfolgen eines Produktes seriös einzuschätzen, muss man viele Faktoren betrachten, nicht nur den CO2-Abdruck.
Welche Rolle fürs Klima die Milchwirtschaft wirklich spielt
Grundsätzlich ist die Erzeugung von Milchprodukten tatsächlich ein Klimafaktor: Die 13 größten Molkereiunternehmen der Welt verursachen zusammen fast so viel CO2-Emissionen wie ganz Großbritannien. Das ergibt eine Studie des amerikanischen Institute for Agriculture and Trade Policy. Demnach stießen die Unternehmen 2015 noch 306 Millionen Tonnen CO2 aus, 2017 waren es schon 338 Millionen Tonnen. In Deutschland stammten 2017 7,3 Prozent der Treibhausgas-Emissionen aus der Landwirtschaft. Dieser Anteil beruht zu großen Teilen auf den Methan-Emissionen aus der Verdauung von Wiederkäuern und auf Methan und Lachgas-Emissionen beim Lagern und Ausbringen von Mist und Gülle. Ein wesentlicher Teil der klimarelevanten landwirtschaftlichen Treibhausgase geht somit tatsächlich auf die Milchkuhhaltung zurück. Gleichzeitig ist es im Sinne einer effizienten Nahrungsmittelversorgung viel ergiebiger, wenn wir Pflanzen anbauen und essen, als auf Ackerflächen Tierfutter anzubauen. Und gar nicht gut ist es, wenn in Südamerika die letzten Regenwälder des Planten gerodet werden, um immer mehr Soja als Rinderkraftfutter zu erzeugen.
Die Milchviehhaltung hat aber noch einen anderen Aspekt, der sie wertvoll macht, in Sachen Nachhaltigkeit. Wenn man sie nachhaltig betreibt.
Die Geschichte der Milchproduktion in Europa
Wie so oft hilft es, sich vor Augen zu führen, wie die Herstellung von Milch und Milchprodukten ursprünglich mal ablief. Kühe wurden auf Flächen gehalten, die sich für den Ackerbau nicht gut eignen und wo stattdessen Gras wächst. Denn die Kuh kann aus die für uns unverdaulichen Pflanze Gras mit Hilfe der Mikroben in ihrem Pansen in Eiweiß, Fett und Milchzucker verwandeln – das hochwertige, energiereiche Lebensmittel Milch.
Für mein Buch „Aber bitte mit Butter“ habe ich recherchiert, wie es dazu kam, dass Milch in unseren Breiten ein so wichtiges Lebensmittel wurde: Vor rund 8000 Jahren beginnen sich die Vorfahren unserer heutigen Hausrinder von Anatolien aus in Europa auszubreiten. Zunächst werden die Tiere vor allem als Fleischlieferanten gehalten. Doch dann geschieht etwas, dass den Speisezettel der Europäer nachhaltig verändern sollte. Anthropologen der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz und des University College London haben herausgefunden, dass vor etwa 7500 Jahren in einer Region, die heute Ungarn, Österreich und die Slowakei umfasst, eine Genmutation stattfand, die dazu führte, dass die Bevölkerung dort auch im Erwachsenenalter noch fähig war, Milch zu verdauen..
Bis dahin hatten viele Völker weltweit darum gerungen, Milch irgendwie verwertbar zu machen. Denn die Kalorienmenge, die sich durch tägliches Melken einer Kuh gewinnen lässt, ist unendlich viel höher, als der Gewinn durch einmaliges Schlachten. Anders als Feldfrüchte, die dem Bauern bei ganzjährigem Arbeitseinsatz nur kurze Zeit Erträge liefern und dann womöglich noch schwierig zu lagern sind, ist Milch jederzeit verfügbar. Die Nutzung von Kuhmilch bot im täglichen Überlebenskampf also große evolutionäre Vorteile. Deshalb entwickelten viele Kulturen spezielle Prozesse wie die Herstellung von Käse oder Joghurt, mit denen sich der Laktosegehalt der Milch reduzieren lässt, bei manchen Käsesorten geht das fast bis unter die Nachweisgrenze. So war Kuhmilch für jeden bekömmlich.
Vor diesem Hintergrund waren unsere jungsteinzeitlichen Vorfahren mit der Genmutation echte Gewinner: wer einfach direkt Milch trinken konnte, ohne den Umweg über zeitaufwändige Herstellungsprozesse, musste nicht hungern, konnte sich sorglos fortpflanzen und seine Familie zuverlässig versorgen. Manche Wissenschaftler vermuten, dass der steigende Milchkonsum die Ursache ist, warum wir Nord- und Mitteleuropäer heute so groß gewachsen sind. Wegen der großen Vorteile im täglichen Überlebenskampf setzte sich dieses Genmerkmal, so die Mainzer Forscher, in kürzester Zeit demographisch durch, so schnell und durchschlagend wie kaum eine andere Mutation, und verbreitete sich über Mitteleuropa. Ein wichtiger Grundstein für die Bevölkerungsentwicklung und den Wohlstand in unseren Breiten. Wenn selbst ernannte Ernährungsapostel also behaupten, Milch sei für Erwachsene gar nicht verwertbar, ist das, für Nord- und Mitteleuropa gesprochen, schlicht falsch.
Klimafreundliche Milchprodukte
Wenn Kühe dort weiden, wo sich Ackerbau nicht lohnt, etwa weil der Boden dort zu nass, zu trocken, zu steinig oder zu steil ist, ist das unter mehreren Aspekten sinnvoll:
- Grasland speichert auf der gleichen Fläche etwa 60 Prozent mehr Kohlenstoff als etwa Wälder.
- Weidende Kühe betreiben Landschaftspflege, weil sie das Gras kurz halten und so einer Verwilderung vorbeugen.
- Weidekühe fördern das Wurzelwachstum und tragen so zum Humusaufbau und damit ebenfalls zur Kohlenstoffspeicherung bei.
- Ihre Kuhfladen sind kleine Biotope – mit zahlreichen Insekten der verschiedensten Arten.
Kühe, die überwiegend Gras fressen und kein Kraftfutter, geben natürlich weniger Milch, als moderne Hochleistungskühe. Dafür schaffen sie das aber über 15 bis 18 Jahre und müssen nicht nach 5 Jahren zum Schlachter, weil sie ausgelaugt und krank sind – auch das ist ein Nachhaltigkeitsfaktor. Und sie leben so, wie es die Natur für diese Tiere vorsieht. Im Freien, auf Weiden. Die Wohlfühltemperatur einer Kuh liegt zwischen minus 7 bis plus 16 Grad Celsius – Weidegang funktioniert in unseren Breiten also ziemlich umfangreich.
Leider ist „Weidemilch“, wie ich in diesem Blog schon öfter beschrieben habe, kein gesetzlich geschützter Begriff. Aber mit ein bisschen Recherche lässt sich herausfinden, welche Milch eine Mogelpackung ist und welche wirklich nachhaltig. Kleine Hofmolkereien sind oft eine gute Wahl, aber beispielsweise auch die Produkte der Molkerei Berchtesgadener Land.
Milch sollte natürlich immer aus der heimischen Region stammen. Auch das ist nicht verpflichtend gekennzeichnet. Aber ich bin ganz zuversichtlich: Wer faire, tiergerechte, nachhaltige Milch kaufen möchte, wird die auch finden.
Vielen Dank für diesen interessanten Beitrag. Wie so oft, liegt die Wahrheit in der Mitte und erst eine genauere Betrachtungsweise bringt Klarheit. Somit müssen Milchliebhaber und Fleischgenießer nicht auf alles verzichten, sondern können durch bewußten Konsum einen wertvollen Beitrag leisten! Eigentlich ganz „einfach“. Schön, dass Sie so unermüdlich zur Aufklärung beitragen. Ich verfolge Ihre Beiträge sehr gern.
Herzlichen Dank – das freut mich!
Ja. es sind immer wieder interessante und aktuelle Themen hier im Blog.
Und wenn das eine oder andere zum Nachdenken und ändern der Gewohnheiten beiträgt,
hat er meiner Meinung nach seinen Sinn erfüllt.
Ich persönlich bin jedoch der Meinung, dass nicht alles aufrechenbar ist und vor allen Themen,
die mit Landwirtschaft und Ernährung zu tun haben, manchmal grenzwertig sind.
Ich glaube nicht, dass die Emmissionen von Tieren mit dem Klimawandel etwas zu tun hat,
ganz einfach deshalb weil es weltweit keine einheitliche Norm gibt um die Emmisionen zu bewerten. Ich war weltweit als Feuerungstechniker fast 35 Jahre lang unterwegs, und jedes mal hat man andere Formeln zugrundgelegt, wie Schadstoffemmisionen zu bewerten sind.
In Deutschland ist es halt gerade Mode alles der CO2 und Schadstoffeinsparung unterzuordenen.
Sicher man wird etwas tun müssen, um die Erderwämung wirkungsvoll zu stoppen, aber Europa wird dabei sicher nur eine kleine Rolle spielen.
Allein in Asien ist der Bau von 600 Kohlekraftwerken geplant, weltweit sind es 1380 Anlagen.
Und wie Lobbyarbeit in Deutschland funktioniert sieht man an der Verlängerung der Braunkohleförderung im Osten.
Noch ein Beispiel die Schiffahrt: Sobald die 40 Meilen Zone verlassen wird geht es Volldampf
mit Schweröl zum nächsten Hafen.
Oder nur der LKW Verkehr, nehmen wir nur den Brenner:
Alle rühmen sich der Sauberkeit der neuen Dieselmotorengeneration mit Hilfe von AdBlue.
Dass sich der Verkehr aber in 10 jahren vielleicht verdreifacht hat und dadurch die Emmisionen
eher mehr als weniger werden wird je nach Interessenlage verschwiegen.
Für mich ist Milch eines der hochwertigsten Lebensmittel die es gibt, und es widerstrebt mir
diese mit irgendwelchen fadenscheinigen Grenzwerten zu verrechnen.