Zurück in die Zukunft hieß ein Blockbuster der 80er – ein Titel, der gut zu der gerade wieder auflebenden Diskussion um die zivile Nutzung der Kernenergie passt. Ist Atomkraft wirklich der Zauberweg zur Einhaltung der Klimaziele? Nein, natürlich nicht!

Es klingt auf den ersten Blick ganz logisch: Wir brauchen viel Strom, um etwa den Wechsel vom Verbrenner zum Elektroauto zu schaffen. Wir wollen so schnell wie möglich aus der Kohle raus. Auch Gas erweist sich gerade als schwierige Energiequelle – steigende Preise, das stetige Erpressungspotential von Putin. Was also könnte ganz schnell klimaneutralen Strom liefern? Die Kernenergie, behaupten diverse Wissenschsftler und Lobbyisten. Kleine, modular gebaute Kraftwerke seien schnell hochgezogen, quasi klimaneutral und viel, viel sicherer, als Reaktoren alter Bauart.

Das Märchen von der sicheren Atomkraft

Der Haken: Es stimmt schlicht nicht. Ich habe mich in den vergangenen Wochen intensiv mit dem Thema beschäftigt und finde es bemerkenswert, mit welcher Unverfrorenheit die Atomkraft-Freunde ihre Geschichte vermarkten, unter Auslassung zahlreicher Punkte. Betrachtet man das Thema nüchtern, dann wird deutlich: Es war eine gute Idee, aus der zivilen Nutzung der Kernenergie auszusteigen. Die Klimawende wird uns dann gelingen, wenn wir alle Kraft und alle finanziellen Ressourcen in zukunftsweisende Technologien stecken, und nicht in eine Technologie aus dem letzten Jahrtausend, die ihre vielen vermeintlichen Verheißungen nie einlösen konnte.

Die internationale Forschergruppe Scientists for Future hat vor einigen Tagen einen beinahe hundert Seiten umfassenden »Diskussionsbeitrag« vorgelegt, der gute Argumente zusammenträgt, warum die vermeintlich saubere und günstige AKW-Lösung in Wahrheit eine Mogelpasckung ist:

  1. Kernkraft ist und bleibt gefährlich:

    • Seit 1945 hätten sich in jedem Jahrzehnt und in jeder Region, wo Kernenergie genutzt wird, Unfälle ereignet. Die Folgen solcher Unfälle seien potenziell katastrophal. »Kernkraft ist derart risikobehaftet, dass Kernkraftwerke nirgendwo versichert werden können«, sagte etwa Ben Wealer, Leitautor der Studie und Volkswirt an der TU Berlin mit Fachgebiet Wirtschafts- und Infrastrukturpolitik.
    • Die finanziellen Folgen einer Nuklearkatastrophe wurden bislang immer der Gesellschaft aufgebürdet – Fukushima, Tschernobyl oder Three Mile Island sind dafür Paradebeispiele. Von geplanten SMR-Reaktorkonzeptensei , so die Forscher, keine wesentlich größere Zuver­lässigkeit zu erwarten.
    • Kernkraft kann zweckentfremdet werden. Es bestehe »permanent die Gefahr des Miss­brauchs von waffenfähigem Spaltmaterial« für terroristische Zwecke – das gilt übrigens inbesondere für die gerade so als „hot shit“ gepriesenen neuen Kleinreaktoren. Wollen wir das wirklich riskieren, in einer Zeit wo populistisch-irrationele Herrscher und skrupellose Terroristen weltweit für Bedrohungslagen sorgen?
    • Auch die Risiken der Endlagerung seien nicht überschaubar und wiesen zukünftigen Generationen erheb­liche Las­ten zu – mal ganz davon zu schweigen, dass wir in Deutschland nach wie vor über kein funktionierendes Endlagerungskonzept verfügen.
  2. Kernkraft ist überhaupt nicht wirtschaftlich:

    • Die kommerzielle Nutzung von Kernenergie sei in den 1950er-Jahren als Nebenprodukt militärischer Entwicklungen entstanden und habe nie den Sprung zu einer wettbewerbsfähigen Energiequelle geschafft, erläutern die Scientists for Future in ihrem Bericht. Der laufende Betrieb älterer Kernkraftwerke werde heute zunehmend unwirtschaft­lich.
    • Zusätzlich würden weitere Kostenpunkte meist übersehen: die »der­zeit weitgehend unbe­kannten« Kosten für den Rückbau von Kernkraftwerken und Ausgaben für die Endlagerung radioak­tiver Abfälle. Formell trägt diese Kosten ein von den AKW-Betreiberfirmen gespeister Fonds. Als der vor 5 Jahren aufgelegt wurde, zahlten die Unternehmen 24 Milliarden Euro ein. Dabei schätzte eine Kommission unter Leitung des grünen Ex-Umweltministers Jürgen Trittin schon damals, dass man mindestens doppelt so viel Geld brauchen würde, um den geschätzten Bedarf zu decken. Und die Erfahrung zeigt, dass solche Schätzungen fast immer eher die Untergrenze abbilden als den tatsächlichen Bedarf…
  3. Kernkraft wird nicht schnell genug verfügbar sein

    • Die Klimakrise verlangt von uns schnelle Lösungen. Die Forscher schreiben, dass jedoch der Ausbau von Kernkraftanlagen weltweit stagniere, die Fortschritte technischer Innovationen seien gering. Deshalb könne die Kernkraft in den zwei bis maximal drei Jahrzehnten, die für die Bekämpfung der Klimakrise relevant sind, keine Rolle spielen.

Was uns wirklich weiterbringt

Eigentlich sollten wir die Lehre mittlerweile doch gelernt haben: Dass Deutschland in den 80er Jahren  jahrelang das Verbot von verbleitem Benzin in der EU blockiert hat, hat die deutschen Autoindustrie erstmal weniger wettbewerbsfähig gemacht – die Italiener und Franzosen hatten längst marktfähige Drei-Wege-Katalysatoren, als die deutsche Autolobby immer noch auf ihren Modelle ohne Kat beharrte. Dass wir mit Milliardensubventionen erst die Stein- und bis heute die Braunkohle gestützt haben, hat Gelder gebunden, die besser für die Entwicklung zukunftsweisender Technologien genutzt worden wären.

Im Juni 2012 habe ich ein Interview mit Hans-Josef Fell geführt. Der damalige energiepolitische Sprecher der Grünen im Deutschen Bundestag war einer der Architekten des Erneuerbare-Energien-Gesetzes der ersten rot-grünen Bundesregierung. Ein Satz in diesem Gespräch hat mich damals sehr beeindruckt: „Strom ist immer schlecht. Es gibt keine Form der Stromerzeugung, die wirklich unproblematisch ist. Windräder verschandeln die Landschaft, Wasserkraftwerke verändern Flussläufe, Solaranlagen verbrauchen landwirtschaftlich nutzbare Fläche – es gibt immer einen Haken. Deshalb muss es vorrangig darum gehen, weniger Energie zu verbrauchen.“

Dieser Satz gilt noch immer. Wir müssen uns kreativ darüber Gedanken machen, wie wir weniger Energie verbrauchen. Mit besser gedämmten Häusern. Mit konsequentem Upcycling und Verwerten von Wertstoffen. Mit sparsamen Geräten. Wenn wir die Klimakrise heil überstehen wollen, brauchen wir dafür innovative Mittel mit Perspektive – nicht risikobehaftete Technologien von vorvorgestern!