Plötzlich ist unser Alltag ganz anders. Heruntergefahren. Eine gute Gelegenheit, unser Konsumverhalten unter die Lupe zu nehmen. Und zu überdenken, welche Leistungen uns künftig mehr wert sein sollten
Arbeiten im Homeoffice ist für mich als Freiberuflerin keine Folge des Corona-Shutdown, sondern der Normalfall. Und so habe ich auch schon länger intensiven Kontakt zu einer Berufsgruppe: den Kurierfahrern: Wann immer ich einen Tag am heimischen Schreibtisch verbringe, öffne ich mindestens drei Kurieren die Tür. Finde ich grundsätzlich gar nicht schlimm, Schreiben ist manchmal ein etwas einsames Arbeiten, und da ist mir jede Gelegenheit für etwas zwischenmenschlichen Austausch willkommen. Doch die Gespräche an der Tür sind meist nett aber einseitig. Denn wer bei uns Pakete ausfährt, spricht in der Regel kein deutsch. Betrachte ich die Autos, mit denen die Kuriere unterwegs sind, liegt die Vermutung nahe, dass die meisten auch nicht direkt bei den Kurierdiensten beschäftigt sind, für die sie fahren. Und ich habe eine Ahnung, wie schlecht sie bezahlt und sozial abgesichert sind.
Dienstleistung zu Dumpingpreisen
Dass Ausländer bei uns weniger qualifizierte Arbeiten erledigen, ist nicht neu. Aber jahrzehntelang funktionierte das so, dass diese Menschen in unserer Mitte lebten, dass Jobs, wo Sprachkenntnisse nicht so entscheidend waren, als Einstieg in die Gesellschaft dienten. Dass auch die Familien dieser Niedriglöhner hier lebten, zur Schule gingen, Aufstiegschancen hatten. Durch die Grenzschließungen in Folge der Corona-Krise wird offensichtlich, wie grundlegend sich das geändert hat.
Wer bei uns die Dreckarbeit erledigt, oder die Tätigkeiten, die zwar immens wichtig sind für unser Überleben – Altenpflege, Feldarbeit, Warenauslieferung – die uns als Gesellschaft aber nicht genug wert sind, um sie anständig zu bezahlen, der muss pendeln. Über weite Strecken. Denn die Löhne für all diese Arbeiten sind so niedrig, dass sich eine Familie davon nur ernähren lässt, wenn sie nicht im teuren Deutschland lebt, sondern irgendwo in der Ukraine oder in Bulgarien. Wir lagern ganze Segmente unserer Wirschaft an diese Billiglöhner aus und nehmen in Kauf, dass Familien auseinander gerissen werden und ein menschenwürdiges Leben kaum drin ist.
Als ich in den 90er Jahren für die Sendung Focus TV gearbeitet habe, hatten wir einen sehr berührenden Film über den Alltag eines LKW-Fahrers im Programm. Ein Deutscher. Den zu finden, war auch nicht so schwierig, viele Fahrer waren damals Deutsche. Als eine Gruppe von Journalistenschülern kürzlich eine ähnliche Reportage filmen wollte, trafen sie auf den Rastplätzen entlang der Autbahnen ausschließlich auf Rumänen und Bulgaren. Beklagenswerte Existenzen, wochenlang kreuz und quer durch Europa unterwegs, für so wenig Geld, dass es nicht mal für die Benutzung der Duschen reichte, von einer Übernachtung in einem richtigen Bett, wie sie eigentlich seit 2017 Vorschrift wäre, gar nicht zu reden.
Spannende Reportage zu diesem Thema
Lebensmittelknappheit durch Ernteausfälle?
Auf vielen Internetportalen suchen Landwirte gerade verzweifelt nach Hilfskräften – in Bayern fehlen aktuell zum Beispiel Helfer, die Spargel stechen oder die Drähte für den Hopfen spannen. Die meisten Höfe haben sonst mit langjährig bewährten Kräften zusammengearbeitet, die wochenweise für solche Arbeiten angereist sind, überwiegend aus Osteuropa. Auch in der Landwirtschaft gilt der Mindestlohn, seit 2020 sind das 9,35 im Monat. Allerdings ist die Arbeit von Saisonarbeitern nicht sozialversicherungspflichtig, wenn sie maximal 70 Tage im Jahr arbeiten – ein wichtiger Kostenfaktor. Wegen der geschlossenen Grenzen fehlen nun diese Mitarbeiter auf Zeit, allein bei uns in Deutschland etwa 300000.
Schön, wenn jetzt arbeitslose Gastro-Mitarbeiter oder Studenten aushelfen. Und es ist bestimmt auch eine Chance, wenn Landwirte und ihre Kundschaft so direkt ins Gespräch kommen. Denn gerade in der Landwirtschaft ist besonders dramatisch, wohin der Wettlauf um immer noch günstigere Lebensmittelschnäppchen im Discounter führt – vor allem in der konventionellen Landwirtschaft arbeiten die Höfe oft nicht mal zum Selbstkostenpreis. Ich war vor ein paar Jahren für einen Dreh bei einem Bauern, der seine Milch an Zott verkauft, damals die Nummer 7 auf dem deutschen Markt. Er hatte berechnet, ab welchem Preis alle seine Kosten gedeckt wären, inklusive eines Stundenlohns für ihn, der dem Mindestlohn entspricht: 47 Cent pro Liter. Tatsächlich bekam er zu diesem Zeitpunkt 27 Cent… Können wir das wirklich ernsthaft wollen, dass das Erzeugen unserer Lebensmittel eine Art bezahltes Hobby ist?
Wir sind Teil dieses Systems: Wir kaufen diese Produkte. Wir nehmen diese Dienstleistungen in Anspruch. Wir finden es völlig normal, dass wir Dinge kostenlos frei Haus geliefert bekommen. Und es geht hier nicht nur um Bürger anderer Staaten, die wochenweise bei uns arbeiten, um ihre Familie zu Hause durchzubringen. Krankenpflege, Altenbetreuung, Kindererziehung, Einzelhandel – schon bemerkenswert, dass all die Berufe, die jetzt als „systemrelevant“ bezeichnet werden, im Niedriglohnsektor angesiedelt sind. Ist es nicht beschämend, dass tausende Kassiererinnen, Altenpfleger oder Rettungsdienstmitarbeiter trotz Vollzeitstelle zusätzlich Hartz IV beziehen müssen, weil ihr Einkommen nicht ausreicht, um den Lebensunterhalt zu bestreiten?
Regionale Lebensmittel – ja! Aber das muss uns etwas wert sein
An der Lohnstruktur in vielen Bereichen des Dienstleistungssektors, deren Schieflage jetzt, dank des Corona-Shutdown, gerade besonders offensichtlich wird, werden wir als Verbraucher nicht sofort etwas ändern können. An unserer Art einzukaufen aber schon. Wir Verbraucher sind viel mächtiger, als uns oft bewusst ist. Und ich wünsche mir, dass wir diese Macht viel öfter nutzen.
Wenn wir, irgendwann in hoffentlich nicht allzu ferner Zukunft, wieder ganz normal einkaufen dürfen, dann sollten wir aus der Corona-Krise eine wichtige Lehre ziehen: Es ist gut, wenn ein großer Teil dessen, was wir essen wollen, bei uns erzeugt wird. Es ist wichtig, dass die Menschen, die diese Lebensmittel erzeugen, dafür anständig bezahlt werden. Also sollten wir diejenigen belohnen, die das gut machen: die nachhaltig anbauen, die Tiere tiergerecht halten, die transparent und landschaftspflegend wirtschaften. Indem wir ihre Waren kaufen, zu fairen Preisen.
Besser einkaufen - wie geht das?
Dabei gibt es ein paar Regeln, die ganz einfach funktionieren, und die sofort vieles besser machen:
- Nur dort einkaufen, wo auf der anderen Seite des Tresens jemand steht, der etwas über die Waren und ihre Enstehung erzählen kann
- Je weniger Stationen zwischen Erzeuger und Kundschaft, desto besser
- Je weniger verarbeitet Produkte sind, desto genauer können wir beurteilen, was wir da eigentlich kaufen
Am wichtigsten aber. Wir sollten den Herstellern viel mehr auf die Nerven gehen! Nachhaken. Bei der Molkerei anrufen und herausfinden, wo die Milch eigentlich eingekauft wird und zu welchem Preis für die Bauern. Den Saftfabrikanten fragen, ob er die Äpfel fürs Konzentrat aus China bezieht. Oder den Nudelhersteller, aus welcher Art der Haltung die Eier kommen.
Mit unseren Konsumentscheidungen machen wir Politik, jeden Tag. Und das sollten wir nutzen!
Hallo Frau Schickling,
das deckt sich zu 100 mit meinen eigenen Erfahrungen und ich hoffe sehr, dass hier in der Bevölkerung ein spürbarer Sinneswandel stattfindet.
Lieber Herr Gänsdorfer,
ich kann mich erinnern, dass es da bei Ihnen im Ort spannende Initiativen in diese Richtung gab. Herzliche Grüße nach Sontheim und alles Gute!
Vielen Dank für den Artikel! Der ist gut und doch wird das Kernproblem nicht angesprochen. Kein Mensch ist gegen Umweltschutz, niemand ist gegen Tierschutz, alle wollen gesündere Nahrungsmittel. Dafür wird geschrieben und demonstriert, nur wenn es ums Handeln, ums Einkaufen geht, dann kaufen leider die meisten einfach das billigste Produkt. Wir versuchen von einer tierfeundlichen Landwirtschaft zu leben, das klappt aber auch nur weil es wenige überzeugte Stammkunden gibt, die bei uns einkaufen. Wie kommen wir das hin, das mehr Kunden so einkaufen, wie sie behaupten?
Ich verstehe Ihren Frust über das Verhalten vieler Kunden. Ich, für meinen Teil, versuche es mit Information, immer immer wieder. Erzähle, was, zum Beispiel, Schnäbelkürzen bei Puten bedeutet (demnächst bei ZDF Zoom, wobei der Sendeplatz kommenden Donnerstag gerade der Corona-Berichterstattung zum Opfer gefallen ist). Oder die Haltung einer Muttersau im Kastenstand. Warum Spargelerzeugung unter Folie ökologisch schwierig ist und Paletten mit Champignonbeeten quer durch Europa fahren.
Ein langer Weg, aber aus meiner Sicht der Einzige, der hilft. Abgesehen davon, dass wir Verbraucher der Politik auf die Füße steigen müssen, damit wenigstens die vorhandenen Gesetze eingehalten werden.
Liebe Frau Schickling,
es muss erst ein winzig kleiner Virus kommen, der den Menschen wieder bewusst macht, das Lebensmittel nicht aus dem Supermarkt kommen. Dort werden sie nur verteilt. Wie bekommen wir es gemeinsam hin, dass der aktuell so boomende Einkauf im Hofladen auch nach Corona noch bleibt?
Übrigens: ich mache mir ernsthaft Sorgen um die Versorgung ab Herbst. Im Moment läuft noch alles rund.
Und: große Zustimmung zu Ihrem Text. (Kleine Anmerkung: in der Mail unterschreiben Sie mit Katarina Schickling von Mein Konsumkompas. Da fehlt ein kleines „s“) 🙂
Welche reelle Chance hat der Kunde tatsächlich bei 4 zentralistisch organisierten LEH – Riesen, die über 80 % des Marktes beherrschen, Einfluss auf die Erzeugung seiner Lebensmittel zu nehmen? Eigentlich aus meiner Sicht kaum eine. Was Sie beschreiben: „Nur dort einkaufen, wo Jemand hinter dem Tresen steht, der …; oder: „Je weniger Stationen zwischen Erzeuger und Kundschaft, desto besser“
ist die Aufforderung ausserhalb des LEH möglichst beim Direktvermarkter einzukaufen. Das Problem ist nur, dass diese Aufforderung zwar populär ist, aber an den Realitäten der Warenströme komplett vorbei geht. Druck auf den LEH können nur NGO´s mit entsprechender medialer Vernetzung ausüben, und das tun die auch. Die Reaktion des LEH sind in der Regel Anforderungen, die kaum noch erfüllt werden können und ein ausufernde Kontrollsysteme, die in jedem Furz ein Problem sehen und inzwischen ein Ausmaß bei Kosten und Zeitaufwand einnehmen, das vor allem von kleineren Betrieben kaum zu leisten ist.
Es gibt keinen Weg zurück zum Bauernhof mit Ackerbau, „glücklichem Vieh“, Obst und Gemüse aus Mutti´s Öko-Bauerngarten. Der Hauptgrund für Konzentration und Spezialisierung in der Landwirtschaft ist die Macht- und Warenstrom -Konzentration auf der Handelsseite. Die Anbieterseite (also wir, die Erzeuger) ist nur so in der Lage entsprechend große Partien und Losgrößen in einheitlicher Qualität zu liefern. Auf diesem System beruht auch die enorme hygienische Sicherheit im Handel, die nicht mehr wie früher auf dem persönlichen Vertrauen gegenüber dem Bauern/ Metzger/ Bäcker um die Ecke aufbauen KANN.
Ich sage das als Familienbetrieb mit 30 Jahren paralleler Erfahrung in Direktvermarktung und genossenschaftlicher Vermarktung. Über Erfolg oder Mißerfolg in der DV entscheiden allein die
Kundenströme, die der LEH zunehmend auf sich und seine Standorte zieht.
Die reelle Chance besteht darin, diese Marktdominanz zu durchbrechen. Indem wir überall da, wo es möglich ist, NICHT bei den großen vier kaufen. Es gibt sie ja noch, die kleinen Geschäfte, und sie verdienen unsere Unterstützung, auch wenn das das Einkaufen etwas umständlicher macht. Es gibt online zahlreiche Vermarktungsinitiativen. Es gibt die Märkte. Ich schreibe diese Artikel ja auch deshalb, um zu dieser Bewusstseinsbildung etwas beizutragen. Wie heißt es bei den Bremer Stadtmusikanten so schön? Etwas Besseres als den Tod finden wir überall…
Und jenseits dessen: Klar liegt ein wichtiger Teil des Problems auch beim Gesetzgeber. So lange etwa Weidemilch kein geschützter Begriff ist und die Molkereien selbst ihre Vorgaben bestimmen – und den meist lächerlich geringen Aufschlag, den der Bauer erhält, so lange Ware aus aller Herren Länder durch nur einen Verarbeitungsschritt in Deutschland zum regionalen Produkt mutiert, so lange tun sich die Verbraucherinnen und Verbraucher in der Tat schwer
„Es ist gut, wenn ein großer Teil dessen, was wir essen wollen, bei uns erzeugt wird. Es ist wichtig, dass die Menschen, die diese Lebensmittel erzeugen, dafür anständig bezahlt werden. Also sollten wir diejenigen belohnen, die das gut machen: die nachhaltig anbauen, die Tiere tiergerecht halten, die transparent und landschaftspflegend wirtschaften. Indem wir ihre Waren kaufen, zu fairen Preisen.“
Das ist richtig… und genau das, warum wir die Verbraucher-Initiative Du bist hier der Chef! gegründet haben. Ich würde mich darüber freuen, mich mit Ihnen darüber zu unterhalten!
Viele Grüße und vielen Dank für diesen Artikel!
Nicolas Barthelmé
Volle Zustimmung, kann ich da nur sagen, denn die Hoffnung stirbt zuletzt. Im Kern geht es um die Discounter-Mentalität der deutschen Verbraucher. Ob Corona da zu einer Änderung des Verhaltens führt, bleibt für mich zweifelhaft. Ich fürchte sogar, dass ALDI und Co weiter an Boden gewinnen. Dort werden derzeit Umsätze und Gewinne gemacht und die Marktmacht wird ausgebaut. Dezentrale Strukturen haben es da schwer. Eine Marktsteuerung durch intelligentes Verbraucherverhalten wird nicht gelingen. Statt mehr Konzentration zu unterstützen (die Märkte werden immer größer und die Bürgermeister waren lange Zeit stolz darauf), sollten die Kommunen mit den Instrumenten des Baurechts eine stärkere Dezentralisierung erzwingen. Mehr und kleinere Märkte. Damit wird die (wohnortnahe) Versorgung in der Fläche verbessert, denn Versorgung vor Ort ist Lebensqualität. Jetzt entstehen überall freiwillige Einkaufsinitiativen, um ältere oder allein lebende Menschen zu versorgen. Das ist gut, zeigt aber auch die Defizite in der Nahversorgung. Vor diesem Hintergrund bietet die Corona-Zeit gute Möglichkeiten über die derzeitigen Versorgungsstrukturen nachzudenken. Das ist gut für die Stadtentwicklung, die Landwirte profitieren und auch Natur und Umwelt werden geschont. Hartmut Bock, Weilburg