Wer sich in einer deutschen Großstadt-Hipster-Blase bewegt, seit Jahren Jagd auf glutenfreie Produkte macht und Weizen für das Urböse hält, war von den Meldungen möglicherweise überrascht: Der Angriff Russlands auf die Ukraine schafft nicht nur ein Energie- sondern auch ein akutes Ernährungsproblem. Denn 30 Prozent des Weizens weltweit stammt aus den beiden Ländern, und die Menschheit deckt ein Fünftel ihres Kalorienbedarfs aus Weizen.

Ein guter Anlass also, darüber nachzudenken, wie wir künftig die Nahrung erzeugen wollen, die unser Überleben sichert. Heißt das nun, dass der Umbau in Richtung ökologische Landwirtschaft ein Luxus ist, den wir uns angesichts der Krise nicht mehr leisten können? Nein, ich denke eher im Gegenteil. Ähnlich wie uns nur der Einsatz erneuerbarer Energien langfristig unabhängig von problematischen Potentaten macht, wird uns auch nur ein nachhaltiger Umgang mit der Ressource Lebensmittel krisenfest in Sachen Ernährung machen.

Dabei steht ganz vorne eine Maßnahme, die wir ganz unmittelbar ergreifen können. Regional und saisonal einkaufen! In der Top 3 der Lebensmittel mit der größten Preissteigerung aktuell finden sich neben Sonnenblumenöl, dessen Rohstoff zu großen Teilen aus der Ukraine zu uns kommt, Tomaten und Gurken. Die kommen um diese Jahreszeit eher aus Spanien, und genau da liegt das Problem: Ihr gekühlter Transport verschlingt viel Treibstoff. Den könnten wir ganz leicht einsparen, und damit nicht nur dem Klima helfen, sondern auch unsere Abhängigkeit von russischem Erdöl verringern. Tomaten im März sind in Sachen CO2-Abdruck ein ähnlicher Wahnsinn, wie Erdbeeren im Dezember!

Wer unsicher ist, wie man saisonal bezahlbar kocht: Die Verbraucherzentrale NRW hat eine Seite mit günstigen Rezepttipps für saisonale Ware. Und in meinen Büchern gibt es ausführliche Saisonkalender.

Kriegswirtschaft statt Farm to Fork?

Doch das Problem hat natürlich auch eine politische Dimension: Eigentlich sollte am Montag dieser Woche Klimakommissar Frans Timmermans  zwei Pfeiler der so genannten  Farm-to-Fork-Strategie präsentieren: Gesetze zum Einsatz von Pestiziden und zur Renaturierung. Die Farm to Fork-Politik soll Ernährungssicherheit und Klimafreundlichkeit der Landwirtschaft vereinen, im Sinne des Green Deal der EU. 50 Prozent weniger Pflanzenschutz, 20 Prozent weniger Dünger, eine Ausweitung des ökologischen Landbaus um 25 Prozent sind einige Kernpunkte von Farm to Fork. Wegen der Ukraine-Krise wurden die Präsentation vertagt. Landwirtschaftskomissar Janusz Wojciechowski aus Polen fordert bereits, Farm to Fork erst mal zu vergessen.

Ich denke, das ist ähnlich falsch und kurzsichtig wie das aktuell grassierende Phänomen, dass sich plötzlich niermand mehr vor Corona fürchtet, wo wir jetzt doch alle Angst vor Putin haben. Gerade jetzt müssen wir hartnäckig dranbleiben, unseren Umgang mit Böden, mit der Lebensmittelerzeugung, mit Dünger etc klüger zu gestalten, als in den vergangenen Jahrzehnten. Ideen dazu gibt es genug. Die EAT-Lancet-Kommission besteht aus 37 Wissenschaftlern aus 16 Ländern und unterschiedlichen Forschungsbereichen, wie Ernährung, Gesundheit und Nachhaltigkeit. Das Ziel der Kommission ist es, eine wissenschaftliche Grundlage für den Wandel der weltweiten Ernährungssysteme zu schaffen. Das Ergebnis der Analysen , die so genannte Planetary Health Diet, zeigt deutlich, dass nur durch eine globale Umstellung auf eine nachhaltige Ernährungsweise die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen und die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen sind. Auf der Wissensplattform Erde und Umwelt der Helmholtz Gesellschaft finden sich Details zu diesem Konzept.

Ein zentraler Punkt dabei ist es, weniger tierische Produkte und insbesondere Fleisch zu verzehren – ein großer Teil gerade des importierten Getreides bei uns wandert nicht direkt auf unseren Tisch, sondern über den Umweg von Tiermägen, als Viehfutter. Das gilt nicht nur für Soja sondern gerade auch für Weizen. In der aktuellen Situation bewusst kein Fleisch von geschundenen Schweinen zu essen, ist also ebenfalls etwas, was wir ganz leicht umsetzen können.

Weizen sinnvoll nutzen

Bleibt die Frage, wie wir – nicht nur bei uns, sondern ganz generell – mit der Ressource Weizen künftig umgehen. Friedrich Longin, Getreidefachmann an der Uni Hohenheim, der seit Jahren zum Anbau von Weizen und Co forscht, hat dazu einige Thesen entwickelt, die ich hier gerne teilen möchte:

„Unsere Konsumgewohnheiten sind nicht nachhaltig. So werden schätzungsweise bis zu 45% der Obst- und Gemüseproduktion weltweit vernichtet, bei Getreide sind es immerhin 30%, bei Baguette sogar fast 50%. Zudem konsumieren wir Menschen sehr viel sog. veredelte Produkte wie Fleisch und Milchwaren. Die Strategien aus der Krise sind meiner Meinung nach wissenschaftlich relativ klar formuliert: Wir müssen weniger Fleisch und Milchprodukte essen, weniger wegschmeißen, nachhaltiger produzieren, die Biodiversität schützen und wieder steigern und irgendwie trotzdem eine effektive Landwirtschaft erhalten.“

Der Agrarbiologe sieht das Dilemma, dass angesichts der wachsenden Weltbevölkerung eigentlich mehr Ertrag pro Fläche und pro eingesetzter Ressourcen benötigt wird, also Wasser, Dünger und Schutzmittel – was auf den ersten Blick gegen eine Ökologisierung der Landwirtschaft spricht.

„Fakt ist, dass der ökologische Anbau im Vergleich zum Konventionellen einen deutlich geringeren Ertrag pro Fläche liefert, bei Getreide sind das über 30% weniger. Im Umkehrschluss heißt das aber auch, dass man hierfür dann deutlich mehr Ackerfläche bräuchte und die ist weltweit eben nicht mehr vorhanden bzw. nur durch Rodung von Wäldern oder Umpflügen von Wiesen zu bekommen. Das wäre aber eine Katastrophe für Biodiversität und Umwelt. Somit sind dringend Konzepte notwendig, diesen Ertragsnachteil des Ökolandbaus zu reduzieren, u.a. durch notwendige Ernährung der Pflanzen, oder eben das Beste aus beiden Anbausystemen zu kombinieren, u.a. möglichst wenig Spritzmittel aber wenn dann sehr effiziente und umweltverträgliche, wie beispielsweise die Saatgutbeizung.“

Er hält das indes für lösbar:

„Die Pflanzenzüchtung liefert ertragreichere Sorten, die bessere natürliche Resistenzen gegenüber Schaderregern haben. Die Agrartechnik findet Lösungen, die es ermöglichen, dass nicht mehr ganze Äcker gespritzt werden müssen, sondern nur noch kleinere Bereiche, eben dort, wo es notwendig ist, oder dass mittelfristig Unkrautvernichtungsmittel durch effiziente maschinelle Hacken ersetzt werden können. Warum sollen wir warten, bis diese großen Baustellen gelöst sind und gehen nicht einfachere Schritte an, die dafür eine hohe Chance auf baldige Realisierung haben? Wir könnten diese Krise nutzen, um endlich die konventionelle Landwirtschaft grüner zu machen und zwar schrittweise, von einfach zu kompliziert, ohne dabei aber die globale Ernährungssicherung auszublenden.“


Fünf Schritte für eine Ökologisierung der konventionellen Weizenproduktion

Longin schlägt fünf konkrete Maßnahmen vor – hier wird es jetzt speziell.

1. Biodiversität steigern und umweltschädliche Maßnahmen minimieren
Es kommt darauf an, die Biodiversität zu steigern und umweltschädliche Maßnahmen zu minimieren ohne gleich große Produktivitätsverluste zu akzeptieren. Wichtig wäre, die wenigen kleinstrukturierten Feldflure mit artenreichen Ackerstreifen und Hecken noch zu erhalten und mittelfristig Agrarwüsten in diese Richtung zurück zu entwickeln. Diese Struktureinheiten haben wenig Auswirkung auf Ertrag pro Fläche aber große Wirkung auf die Biodiversität. Zudem könnte die Biodiversität auf dem Acker relativ schnell gesteigert werden durch den heimischen (Wieder)Anbau von alternativen Kulturarten. Das ermöglicht der Landwirtschaft zudem abwechslungsreichere Fruchtfolgen zu fahren, was indirekt erhebliche Mengen an Düngung und Pestiziden einsparen kann.

2. Andere Pflanzen
Bei den Arten gibt es aktuell schon
zahlreiche Ideen von Leguminosen, über alternative Faserpflanzen oder Saaten, die in Backwaren und Frühstückscerealien eingesetzt werden. Alleine dafür importieren wir aktuell Lein, Buchweizen, Kürbiskerne, Sonnenblumenkerne usw. in einer Menge, die mehreren 100.000ha Anbaufläche dieser Blühpflanzen entspricht. Wichtig bei der Etablierung alternativer Kulturarten aber ist, dass diese
rentabel für die Wertschöpfungskette sind sei es durch angemessene Preise und/oder Subventionen
gekoppelt an diese Leistungen.
Bei den höheren Preisen für heimisch produzierte Ware sollten wir folgendes bedenken. Diese kommen u.a. dadurch zustande, dass in Deutschland eine höhere Sozialabsicherung zu höheren Löhnen führt und mehr Umweltauflagen erfüllt werden als in vielen Import-Ländern, eigentlich das, was wir doch alle für uns selber wollen, oder?

3. Nachhaltiger Weizen produzieren
In der Weizenproduktion selber haben wir auch mehrere Möglichkeiten, nachhaltiger zu werden ohne die Produktivität stark zu reduzieren. Als mit Abstand wichtigster Punkt ist hier die Stickstoffdüngung zu nennen, die aus mehreren Gründen ökologisch sehr wirksam ist. Die Produktion von synthetischem Stickstoffdünger ist sehr energieaufwendig und eine zu hohe Düngung bewirkt häufig die Auswaschung von diesem Stickstoff durch Regen in nahe gelegene Bäche und Flüsse, weltweit betrachtet das größte ökologische Problem. Laut zahlreicher Experten könnte Weizen durchaus weniger gedüngt werden, aber der internationale Handel fordert einen hohen Proteingehalt bei Weizen, der in vielen Produktionsgebieten nur über viel Düngung erreicht werden kann.

Zur Erinnerung: der Proteingehalt korreliert eben nur mäßig mit der Backeignung von Weizenpartien, Masse ist eben nicht Klasse, ein E-Weizen mit 11% Proteingehalt backt immer besser als ein C-Weizen mit 13% Proteingehalt. Es kommt vielmehr darauf an, Sorten bzw. Weizenpartien auszuwählen, die eine gute Backqualität ab gesichert durch gute Proteinqualität haben. So wäre schon viel erreicht, wenn man die Sorteninformationen nutzt. Wozu leisten wir uns sonst in Deutschland eine Wertprüfung für Weizen, wo die Backqualität jeder neuen Sorte an Mustern von 24 Orten durch Backversuche erarbeitet wird?
Wenn wir also beim Handel von Weizen endlich wirkliche Qualitäten handeln, könn ten wir problemlos beim
Proteingehalt geringere Mengen zulassen und somit auch deutlich weniger Stickstoff düngen ohne dass die Endqualität für den Bäcker schlechter wird.

4. Andere Sorten anbauen
Etwa 30% unserer Weizenproduktion wird für Backzwecke
benötigt, wir bauen aber mehr als 80% backfähigen Weizen an . Backqualität und Ertrag korrelieren aber negativ, deswegen haben C-Weizen ja auch einen etwas höheren Ertrag pro Fläche und eingesetzter Ressourcen als A- und E-Weizen. Auch benötigt ein Futterweizen eben keine 12% Proteingehalt, das kann man durch Mischung mit Leguminosen im Futterwert in Menge und Qualität viel nachhaltiger ergänzen. Somit könnten wir auf ca. 50% der heimischen Weizenfläche durch den Anbau von echtem Futterweizen ohne Proteinvorgabe mehr Ertrag unter weniger Einsatz von Düngung realisieren.

5. Anders backen
Einfachste Rezepturanpassungen wie Nutzung von Vor- oder Sauerteigen oder lediglich die Anpassung der Knetenergie bewirken mehr, als jede Stickstoffdüngung! Insofern sollte auch das Backgewerbe hier in die Pflicht genommen werden: mit mehr Wissen deutlich höhere Toleranzen der Spezifikationen neuer Mehllieferungen ermöglichen, sei es durch einen eigenen Teig- oder Backversuch oder Einsatz von etwas Laboranalytik, die meistens die Müller sowieso schon machen.
Auch nutzen einige Bäcker in ihren Rezepten zugesetztes Gluten, welches in der Stärkeproduktion als Zweitprodukt anfällt. Wenn man die Menge des Glutens aus der Stärkeproduktion betrachtet, dann könnte der Protein- bzw. Glutengehalt von mehreren 100.000 Tonnen Mehl pro Jahr alleine bei uns um mehrere Prozentpunkte gesteigert werden und somit wiederum im Feld einiges an Stickstoffdünger gespart werden.

Ich finde diesen Ansatz interessant, weil er eben nicht schwarz-weiß malt – es gibt viele kleine Stellschrauben, die wir drehen könnten. Zurück in die Zukunft, unter großflächigem Ausklammern der Klimakrise, die uns weiterhin mindestens so sehr bedroht, wie Putins Aggression, ist sicher keine gute Idee!