In meinem Film, der am 16. Juni um 17:35 bei plan B im ZDF läuft – und schon am Tag zuvor bei arte:re – geht es um Konzepte, wie man der Verschwendung Herr wird, bevor die Lebensmittel bei uns zu Hause landen. Denn die macht einen riesigen Teil aus…
Dies ist ein Film, der mir besonders am Herzen liegt. Ich beschäftige mich schon lange mit dem Thema „Nachhaltigkeit“ und die Verschwendung von Lebensmitteln ist ein besonders „unnachhaltiger“ Umgang mit Ressourcen.
Wenn man selbst etwas ausgefressen hat, ist es eine beliebte Strategie, jemand anderen zum Sündenbock zu machen. Seit über zehn Jahren appelliert das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft an uns Verbraucher*innen, dass wir nicht so viele Lebensmittel wegwerfen sollen. Unter dem Slogan „Zu gut für die Tonne“ werden Tipps gegeben, wie wir alle sorgsamer mit Nahrung umgehen können. Die schlechteste Klimabilanz haben jene Lebensmittel, die erzeugt und dann nicht mal gegessen werden – das ist so weit richtig. Aber warum dürfen Landwirte einen erheblichen Teil ihrer qualitativ hochwertigen Ernte, der nicht den gängigen Handelsvorgaben entspricht, nicht vermarkten?
Zu hässlich für den Handel
Zum ersten Mal bin ich dem „Beauty-Contest“ auf deutschen Bauernhöfen bei einem Zwiebelbauern in der Oberpfalz begegnet. Eigentlich war ich dort, um von seinem Problem mit der Billigkonkurrenz aus China zu berichten, darüber, warum er seine bayerischen Zwiebeln ihretwegen nicht loswird. Beim Dreh schlenderten wir durch eine große Halle mit Bergen von Zwiebeln und Kartoffeln. „Ah, Ihr Lager“, sagte ich, ohne mir groß etwas dabei zu denken. „Keineswegs“, sagte der Landwirt. „Das hier geht alles in die Biogasanlage.“ Es handelte sich nicht um minderwertige Ware. Die Zwiebeln und Kartoffeln wären problemlos verzehrbar gewesen. Sie hatten nur nicht die der Handelsnorm entsprechende Form oder die richtige Größe. Haben Sie sich schon mal gewundert, wie es sein kann, dass alle Möhren in einem Beutel praktisch gleich groß und kerzengerade sind? Hier ist die Erklärung: Die Möhren, die dieses Schönheitsideal nicht erfüllen, haben es nie bis in den Laden geschafft. Ähnlich läuft es mit nahezu allen Erzeugnissen vom Acker. Obst können die Höfe wenigstens noch an Saftproduzenten geben, mit deutlichem Preisabschlag. Wasserhaltiges Gemüse, etwa Gurken oder Zucchini, verlässt den Acker gar nicht erst, sondern wird schlicht wieder untergepflügt, weil der Brennwert für die Biogasanlage nicht ausreicht.
Vielen wird jetzt die Gurke einfallen, die in Europa nur „gerade“ wachsen darf. Kaum etwas hat der EU so anhaltend schlechte Presse eingebracht, wie die berüchtigte Verordnung Nr. 1677/88/EWG: Sie normierte von 1989 bis 2009 den Krümmungsgrad von Gurken und ordnete sie bestimmten Handelsklassen zu. Unter anderem legte die Verordnung fest, dass eine Gurke der Handelsklasse „Extra“ maximal eine Krümmung von zehn Millimetern auf zehn Zentimetern Länge aufweisen durfte. Diese Regelung war keineswegs eine Schnapsidee von EU-Bürokraten, es war der ausdrückliche Wunsch des Handels. Gerade gewachsene Gurken lassen sich besser stapeln. Wie oben erwähnt, gilt diese Verordnung schon lange nicht mehr. Der Handel lief jedoch gegen die Abschaffung Sturm. Die wichtigsten Großhändler arbeiten bis heute mit den alten Vorgaben, als interne Normierung …
Traue keiner Statistik …
In der langjährigen Kommunikationsstrategie der deutschen Verantwortlichen sind nicht Regeln schuld an der Verschwendung, sondern wir – die Kundschaft. 52 Prozent der Lebensmittel, so das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, werden im Haushalt verschwendet, 75 Kilogramm pro Kopf und Jahr. Mir kam diese Zahl immer schon sehr hoch vor – ich werfe definitiv keine 200 Gramm verdorbene oder überzählige Lebensmittel am Tag weg. Des Rätsels Lösung: Dinge, die man gar nicht essen kann, die wir aber mitkaufen, zählen auch mit. Der Kotelettknochen zum Beispiel. Oder die Walnuss-, Eier-, Mandarinen- und Kürbisschalen. Oder der Strunk der Ananas. Ist es wirklich Verschwendung, wenn ich keine alternative Nutzung für die Zitronenschalen gefunden habe? Muss ich ab sofort literweise Limoncello produzieren, um den schwarzen Peter der Verschwenderin loszuwerden?
Ich fände es enorm spannend, mal eine Studie zu lesen, in der ungenießbare Bestandteile unserer Lebensmittel aus dieser Statistik herausgerechnet würden. Dann stünden Landwirtschaft, Handel und Lebensmittelindustrie gleich erheblich schlechter da. Dort wird nämlich anders gezählt, mit amtlicher Erlaubnis: Was wegen falscher Form oder Größe gleich wieder untergepflügt wird, gilt nach geltender EU-Gesetzgebung gar nicht als Lebensmittel und wird nicht eingerechnet. Und was von den Bauern zu Dumpingpreisen verkauft werden muss, gilt nicht als verschwendet … Hier wären wir in einem Bereich, in dem sich mit gesetzlichen Vorgaben schnell viel erreichen ließe. Dabei geht es nicht nur um Nachhaltigkeit – das Einkommen vieler landwirtschaftlicher Betriebe wäre gleich viel auskömmlicher, wenn sie ihre gesamte Ernte ökonomisch sinnvoll vermarkten könnten.
Im Koalitionsvertrag der Ampel kommt das Thema „Lebensmittelverschwendung“ vor. Dort heißt es: „Die Reduzierung der Lebensmittelverschwendung werden wir gezielt weiterverfolgen und dabei die gesamte Wertschöpfungskette einbeziehen. Für die Reduzierung vermeidbarer Lebensmittelabfälle in der Lebensmittelwirtschaft werden wir mit den Beteiligten Zielmarken vereinbaren. Die Initiative „Zu gut für die Tonne“ wird mit den Ländern zu einer nationalen Strategie weiterentwickelt. Wir werden das Mindesthaltbarkeitsdatum überprüfen, um die Verschwendung von Lebensmitteln zu vermeiden.“
In Frankreich sind etwa Supermärkte mit einer Ladenfläche von mehr als 400 Quadratmetern schon seit 2016 verpflichtet, unverkaufte Lebensmittel an örtliche Tafeln oder andere gemeinnützige Organisationen zu spenden. Tun sie das nicht, droht eine Geldstrafe von mindestens 3750 Euro. Auch das Unterpflügen essbarer Feldfrüchte könnte man schlicht verbieten.
Die Projekte, die im „plan b“-Film präsentiert werden, gehen das Problem an der Wurzel an und versuchen, die Wertschöpfung der Erzeuger*innen zu steigern: Lebensmittel effektiver nutzen – ein ganz wichtiger Schritt in die richtige Richtung.
Adieu, Mindesthaltbarkeitsdatum
Ein erster Schritt gegen die Vergeudung von Lebensmitteln wäre die Abschaffung des Mindesthaltbarkeitsdatums. Viele Lebensmittel sind viel länger gut konsumierbar. Das „Greenpeace Magazin“ hat vor einiger Zeit einen Selbstversuch gestartet und zwölf abgepackte Produkte über den Ablauf des Datums hinaus gelagert. Der Käseaufschnitt war 22 Tage später noch verzehrfähig, ein Kräuterfrischkäse 70 Tage später. Der Test endete ein halbes Jahr nach dem Einkauf, zu diesem Zeitpunkt waren ein Naturjoghurt im Becher, ein eingeschweißter Käse am Stück, eine Packung Tofu und Tortellini mit Käse immer noch gut essbar, obwohl das Mindesthaltbarkeitsdatum längst verstrichen war. In den heimischen Vorratsschränken stöberte das Redaktionsteam unter anderem Erbsen von 2011 und Korinthen von 2014 auf, laut Laborbefund ebenfalls noch problemlos essbar. Und den Geschmackstest bestanden die Schrankfunde auch. Eigentlich gar nicht so erstaunlich: Es heißt ja „Mindest“-Haltbarbeit. Trotzdem verunsichert dieses Datum beim Einkauf und veranlasst viele dazu, nach dessen Ablauf die Lebensmittel wegzuwerfen. Ganz offensichtlich werden diese Daten von der Industrie sehr knapp gesetzt. Ich kann das nachvollziehen: Lebensmittelhersteller wollen eben unbedingt verhindern, dass ihre Kundschaft schlechte Erfahrungen mit ihren Produkten macht. Die EU-Kommission arbeitet gerade an einer Reform der entsprechenden Regelungen.