Fast 30 Euro kostet ein ganzes Bio-Hühnchen in meinem Biosupermarkt. Vielen ist das zu teuer. Jetzt ist ein Kompromiss in Sicht, der für deutliche Verbesserungen im Leben eines Masthuhns sorgen könnte.

Selten hat mich ein Dreh so nachhaltig beeindruckt, wie der in der Schlachterei des Geflügelriesen Wiesenhof vor sieben Jahren, für die Reihe „Deutschland isst… mit Tim Mälzer„. Wir durften damals im Prinzip überall im Schlachthof drehen. Mit einer Ausnahme… Die betraf den Tunnel, in dem die Hühner mit CO2 betäubt werden, vor der eigentlichen Schlachtung. Durch ein Sichtfenster konnten wir sehen, wie die Hühner reagierten, als sie – schlagartig – dem CO2 ausgesetzt wurden. Sie rangen um Luft, waren sichtlich verängstigt, ein Prozess, der sicher 10 Sekunden dauerte. Mir war sehr unbehaglich: Sollte der Sinn des Betäubens nicht darin bestehen, Schmerzen und Not zu vermeiden?

Bei kaum einem Tier ist der Preisunterschied zwischen konventionell und bio so drastisch, wie bei Mastgeflügel

Hühner haben das Pech, dass man sie besonders schlecht behandeln kann, und sie liefern immer noch wohlschmeckendes, qualitativ gutes Fleisch. Und so wird das deutsche Durchschnittsbrathähnchen mit 26 Artgenossen auf einem Quadratmeter gehalten – pro Huhn bedeutet das eine Fläche von weniger als 20 mal 20 Zentimetern. Die Tiere sind so gezüchtet, dass sie in Rekordtempo Fleisch ansetzen. Dass diese Qualzucht nicht zu Herzinfakten und massiven orthopädischen Beschwerden führt, liegt nur daran, dass die Tiere nach etwa fünf Wochen schon wieder geschlachtet werden, also gewissermaßen als Pubertiere.

Seit 2012 ist ein staatliches Tierwohlkennzeichen im Gespräch. Im Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD ist eine Einführung verabredet. Tatsächlich wird das Tierwohlkennzeichnung in dieser Legislaturperiode wieder nicht kommen – es tobt ein Streit um die Kriterien und die Frage, ob diese Kennzeichnung freiwillig oder verpflichtend sein soll. Für Hühner ist eine staatliche Kennzeichnung ohnehin noch in weiter Ferne, verabschiedet ist bislag vom Kabinett nur ein Entwurf für Mastschweine.

Private Initiativen, wo die Politik schläft

Jetzt aber gibt es ein Projekt, das vielversprechend klingt: In der Europäische Masthuhn Initiave arbeiten knapp 30 NGOs aus ganz Europa gemeinsam daran, mit der Industrie und dem Handel daran, Haltungsbedingungen zu schaffen, die eine deutilche Verbesserung in Sachen Tierwohl bedeuten. Auf deren Homepage heißt es:

„Das Ziel der Initiative ist es, die oben genannten Probleme möglichst deutlich zu lindern – vor dem Hintergrund, dass die Preisaufschläge zum gesetzlichen Minimum nicht zu groß sein dürfen“

Das Spannende daran: der pragmatische Ansatz, maßgebliche Verbesserungen zu erzielen, für ein Angebot zwischen dem völlig unbefriedigenden  gesetzlichen Mindeststandard und dem sehr hochpreisigen Bio-Huhn. Mit Maßnahmen, die mehr sind, als ein Marketinggag. Und sie konnten wichtige Player unter den Lebensmittelherstellern an Bord holen, Großkonzerne wie Unilever, Nestlé, Iglo oder Dr. Oetker, insgesamt 350 Hersteller, die schon 2026 nur noch Fleisch verarbeiten wollen, das diese Kriterien erfüllt.

Ich persönlich möchte nur Fleisch und Eier von Hühnern essen, die ein richtig gutes Leben hatten, mit freiem Auslauf. Die wissen, wie ein selbst gepickter Wurm schmeckt. Ich fände es viel besser, wenn möglichst alle Menschen weniger Fleisch essen würden, und dafür nur besonders tiergerecht erzeugtes. Aber ich sehe diese Initiative als einen wertvollen Schritt zum Brückenbau.

Besonders ermutigend: Aldi wird an diesem Montag als erster großer Lebensmittelhändler in Deutschland bekannt geben, die Europäische Masthuhn-Initiative zu unterstützen, „um die Haltungsbedingungen von Masthühnern deutlich zu verbessern“. Das lässt hoffen, dass sich andere Handelsketten dem ebenfalls anschließen.

Zu den neuen Kriterien gehört, dass die Tiere vor der Schlachtung langsam betäubt werden, so dass sie den steigenden CO2-Anteil der Luft kaum wahrnehmen und einfach einschlafen. Das freut mich nach meinen Erfahrungen von damals besonders. Und ich wundere mich, wie so oft: Denn eigentlich würde damit nur nachvollzogen, was im Tierschutzgesetz ohnehin festgeschrieben ist. Aber schon bei meinem Film über Putenmast musste ich feststellen, das dieses Gesetz in Deutschland offenbar nur als eine Art vage Empfehlung behandelt wird.

Einer der größten Lieferanten von Aldi ist übrigens Wiesenhof. Der Konzern gehört bisher nicht zu den Unterstützern der Initiative. Angeblich steht er der Initiative ablehnend gegenüber. Auf eine Anfrage der Süddeutschen Zeitung dazu antwortete er nicht…