Es hätte so schön sein können: Die EU verbietet bestimmte Einweg-Plastikprodukte, immer mehr Menschen stehen beim Einkauft mit der Plastikbox am Wursttresen und der hier schon so oft beschworene eigene Becher für den Kaffee to go gehört zur Standardausrüstung der modernen Großstädter*in. Dann kam Corona…

Wenn ich morgens jogge, staune ich immer wieder: Gerade der Plastikcontainer der Wertstoffinsel quillt meist über. Schön, dass alle so fleißig Müll trennen. Aber nicht schön, dass wir offensichtlich viel mehr Müll hinterlassen, als noch vor ein paar Monaten. Aus naheliegenden Gründen: Wer mehr Zeit zu Hause verbringt, erzeugt dort Abfall. Wer sich sein Essen nach Hause liefern lässt, noch mehr. Und viele Cafés und Geschäfte, die bis vor kurzem bereitswillig mitgebrachte Gefäße befüllt haben, verweisen jetzt auf Hygienevorschriften, die das angeblich verbieten.

Die Deutsche Gesellschaft für Abfallwirtschaft rechnet mit einer Corona-bedingten Zunahme der Haushaltsabfälle um insgesamt 2,26 Millionen Tonnen auf fast 47 Millionen Tonnen in diesem Jahr, das wären fünf Prozent mehr. Während es bis vor kurzem auf nationaler und europäischer Ebene zunehmend politische Initiativen gegen Kunststoffverpackungen gab, hat Italien gerade die für den 1. Juli 2020 geplante Einführung einer Steuer auf Einweg-Kunststoffverpackungen um ein halbes Jahr verschoben.

Das Plastik-Dilemma

Wie drastisch die Folgen der Plastikfluten für unseren Planeten sind, haben Wissenschaftler der Utah State University gerade herausgefunden: In Nationalparks und Naturschutzgebieten im Westen der USA wie Grand Canyon, Rocky Mountain und Joshua Tree haben die Forscher um Janice Brahney deutlich mehr Mikroplastik entdeckt als zuvor vermutet. Mehr als tausend Tonnen solcher Partikel setzten sich schätzungsweise jedes Jahr allein dort ab, berichten sie im Fachmagazin „Science“. Das entspreche etwa 123 Millionen Plastikwasserflaschen.

Wir in Deutschland sind weit davon entfernt, geschlossene Plastikkreisläufe zu haben. Nur etwa 17 Prozent der Plastikabfälle werden tatsächlich recycelt. Meine Kollegen von der Tagesschau haben noch vor Corona recherchiert, was mit unserem Plastikmüll geschieht. Selbst gut wiederverwertbare Stoffe landen oft in der Müllverbrennung. Deshalb bleibt Abfallvermeidung der einzige sinnvolle Weg, die Umwelt zu schützen.

Müssen wir uns wirklich zwischen Pandemiebekämpfung und Umweltschutz entscheiden?

Zurück zum Umgang mit Verpackungen im Zeichen der Corona-Prävention. Es stimmt schlicht nicht, dass der Einsatz von mitgebrachten Behältern oder Bechern verboten ist. Der Lebensmittelverband hat am 31. März dazu Eckpunkte veröffentlicht. Darin heißt es auf Seite 4: Die Befüllung mitgebrachter Mehrwegbehältnisse auf Kundenwunsch muss nicht abgelehnt werden, muss aber mit besonderer Sorgfalt erfolgen. Die dafür speziell vereinbarten Hygieneregeln und Übergaberegeln sind strikt zu beachten.“ Etwas Hartnäckigkeit am Tresen lohnt sich also!

Wenn schon Wegwerfbecher, dann wenigstens recyclebar!

Ich freue mich über jeden Gastronomen, der heil durch die Krisenzeiten kommt. Und noch mehr freue ich mich über die, die kreative Lösungen finden, um nicht zu den Müllvermehrern zu gehören. Bei meinen Eltern in Stuttgart, zum Beispiel, lieferte ein Restaurant um die Ecke während des Corona-Lockdowns Schmorgerichte in Einweckgläsern und holte die später wieder ab. Manche Kaffeebars arbeiten mit Bechern, die sich kompostieren oder im Altpapier entsorgen lassen. Wir Kund*innen haben es in der Hand, solche Ideen zu belohnen, indem wir gezielt dort einkaufen und bestellen, wo wir nicht in erster Linie Plastikmüll geliefert bekommen. Jedes Stück Plastik weniger ist gut!