Fleisch, das von glücklichen Tieren stammt, Lebensmittel aus der Region, Milch zu fairen Preisen für den Bauern… Wir möchten so gerne alles richtig machen und hochwertige Ware kaufen, tiergerecht, fair und nachhaltig produziert. Aber im Dickicht der Siegel und Label haben wir kaum eine Chance, uns zurechtzufinden. Denn oft versprechen die Siegel viel und halten wenig. Darüber habe ich einen Film gemacht, der morgen Abend um 20:15 im SWR läuft
Zum Beispiel zum Thema Tierwohl: Die Initiative Tierwohl der vier großen Handelsketten beispielweise kennt vier Haltungsstufen. Aber sorge ich tatsächlich für glücklichere Tiere, wenn ich statt Haltungsstufe 1 in die etwas teurere Haltungsstufe 2 investiere? Ein Mäster, der etwa seine Schweine in einem Stall der Haltungsstufe 2 hält, muss ihnen gerade mal 10 Prozent mehr Platz bieten, 0,825 Quadratmeter statt 0,75, für eine ausgewachsene 100-Kilo-Sau – immer noch ganz schön eng… Zusätzlich gibt es noch die Tierschutzlabel des Deutschen Tierschutzbundes, Verbandssiegel wie Demeter oder Bioland, gleich zwei Biosiegel – und verwirrte Verbraucher, die kaum noch einschätzen können, wo sich der höhere Preis wirklich im Sinne der Tiere auswirkt.
Wo bleibt eine klare staatliche Regelung?
Schon lange soll ein staatliches Tierwohlkennzeichen für mehr Klarheit sorgen. Doch der Gesetzesentwurf von Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner liegt auf Eis: Dem Koalitionspartner SPD sind die Kriterien zu lasch, und zudem soll das Siegel zunächst lediglich für Schweine Anwendung finden und das auch nur freiwillig, nicht verpflichtend. Mittlerweile haben zumindest die EU-Agrarminister die Absicht bekundet, ein europaweites Siegel anzustreben und die EU-Kommission aufgefordert, einen Entwurf zu erarbeiten. Bis es eindeutige gesetzliche Regelungen geben wird, kann es also noch länger dauern. In der Zwischenzeit bleiben wir gefangen in einem Dschungel verwirrender Siegel, die meist nur etwas Schönfärberei sind. Und das, obwohl das deutsche Tierschutzgesetz eigentlich schon das Regelwerk liefert, mit dem die meisten Missstände in der industrialisierten Tiermast zu beseitigen wären, ganz ohne Tierwohlkennzeichen…
Sind denn wenigstens regionale Kennzeichnungen verlässlich? Kommt drauf an… auch hier stehen wir vor einer Vielzahl von Siegeln, und es ist für uns Verbraucher kaum erkennbar, wo es sich um staatlich überprüfte Kennzeichnungen mit unabhängig überprüften Kriterien handelt, und wo um Werbelabel regionaler Erzeugerverbände. Da gibt es, zum Beispiel, die „Gesicherte Qualität Baden-Württemberg“. Die Zutaten einer so gekennzeichneten Wurst müssten zu 90 Prozent aus Baden-Württemberg stammen. Die Ferkel für das enthaltene Schweinefleisch dürften allerdings auch aus benachbarten Bundesländern kommen. Beim gleichartigen Siegel aus Schleswig-Holstein sind es nur 60 Prozent heimische Zutaten. Und steht auf dem Siegel „Geschützte geographische Angabe“, dann sagt das gar nichts über die Herkunft der Zutaten aus: „Schwarzwälder Schinken“ könnte auch von dänischen Schweinen stammen und in Niedersachsen verpackt sein – ein ganz schön weit gereistes „Regional“-Produkt.
Verwirrende Kennzeichnung von Milch
Was nicht gesetzlich geschützt ist, als Begriff, bezeichnet oft etwas ganz anderes, als wir Kunden vermuten. Beispiel Milch. „Weidemilch“ ist aus Sicht eines durchschnittlichen Käufers Milch von Kühen, die auf einer Weide stehen. Die Kriterien dafür indes darf die Molkerei selbst festlegen. Zum Beispiel 6 Stunden täglich an 120 Tagen im Jahr. Damit bezahlen wir deutlich mehr für Milch von Kühen, die de facto gerade mal 8 Prozent ihrer Lebenszeit auf der grünen Wiese verbringen und die restliche Zeit im Stall. Und auch auf das Versprechen fairer Preise für die Erzeuger ist kein Verlass: Was fair ist, ist gleichfalls nicht festgelegt und der Definition der Molkerei überlassen.
Wer ist für dieses Kennzeichnungschaos verantwortlich? Warum sorgt unser Gesetzgeber nicht dafür, dass die Siegel uns Verbrauchern helfen, mündige Konsumentscheidungen zu treffen, anstatt uns noch mehr zu verwirren?
Betrifft nimmt Siegel, Label und ihre Versprechung kritisch unter die Lupe: Wo bekommen wir wirklich einen Gegenwert für unser Geld und wo kaufen wir Mogelpackungen. Mit Verbraucherschützern, Erzeugern und Aufsichtsbehörden schlagen wir Schneisen durch den verwirrenden Dschungel der unterschiedlichen Kennzeichnungen und konfrontieren die Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft mit den Versäumnissen der Politik.
„Ich sag‘s ganz offen: Ja klar, natürlich bin ich Lobbyistin für Landwirte.“ Der Satz stammt von? Unserer Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner auf der Jahresauftaktpressekonferenz des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft am 11. Januar dieses Jahres.
Foodwatch hat im Februar 2021 Klage beim Verwaltungsgericht Köln eingereicht, weil sich unsere Frau Ministerin weigert, ihre Treffen mit Lobbyisten preiszugeben (siehe z.B. https://www.zeit.de/wirtschaft/2021-02/julia-kloeckner-foodwatch-agrarministerin-klage-lobbyismus-verbraucherschutz?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.startpage.com%2F).
Reformen bitte auf Freiwilligkeitsbasis, bloß nicht verpflichtend … Die Teddybären mit dem Konterfei der Ministerin haben sich die Lobbyfunktionäre ja auch freiwilllig auf ihre Schreibtische gestellt. Klar, man weiß, wem man zu danken hat.
Aber seien wir ehrlich: Gerade bei Fleisch zählt für die große Mehrheit der Konsumenten der Preis, auch wenn sie in Umfragen gerne behaupten, für Fleisch aus artgerechter Tierhaltung gerne mehr zu bezahlen. Aber wenn keiner hinsieht … Gab es da nicht von Lidl (oder Edeka? Bitte um Korrektur) jüngst eine Aktion, 50 Cent mehr für Fleisch zu verlangen, weil es aus artgerechter Tierhaltung stammt? Die ging total nach hinten los und wurde ganz schnell eingestellt.
Gerade wir Deutschen sind mit den mit am niedrigsten Lebensmittelkosten in der EU dermaßen verwöhnt, dass wir – bis auf eine Minderheit – kein Bewusstsein für Qualität haben. Und die Tiere sind so weit weg! Zu weit für Empathie.