Deutscher Apfelsaft sollte aus deutschen Äpfeln sein, klar, oder? Und italienische Tomaten an italienischen Sträuchern gewachsen. Dazu gibt es jetzt eine neue EU-Verordnung – die leider am Ziel, mehr Klarheit zu schaffen, vorbeischießt.

Wo wir zuletzt so viel über deutsche Bauern und ihre Produkte geredet haben, und darüber, wie wichtig die Versorgungssicherheit ist, gerade in Krisenzeiten, wäre es schön, wenn wir diese Produkte im Laden auch finden könnten.

Lebensmittel aus der Region haben schon seit längerer Zeit ein besonders positives Image. In einer Umfrage des GFK-Vereins gaben 63 Prozent der Befragten an, im Zweifel grundsätzlich Produkte aus der Region zu kaufen.Jetzt kann man sicher diskutieren, was genau regionale Lebensmittel sind. Nordseekrabben kommen streng genommen nicht aus Hamburg. Jeder Hamburger wird sie aber als heimische Spezialität akzeptieren, ebenso wie ein Münchner zwar nicht in den Alpen wohnt, aber Alpenmilch dennoch als regionale Milch empfindet. Doch im Großen und Ganzen sind wir Kunden uns doch recht einig: 40 Prozent der Befragten erwarten dabei Lebensmittel aus ihrer Stadt oder der näheren Umgebung, weitere 50 Prozent rechnen damit, dass die Ware zumindest aus dem eigenen Bundesland stammt. Den Kunden geht es dabei um kurze Transportwege und um die Unterstützung der heimischen Landwirtschaft.

Was ist regional?

Das Problem: „Regional“ ist in der EU kein geschützter Begriff, und auch die generellen Richtlinien zur Herkunftskennzeichnung sind extrem verbraucherfeindlich: Bis zum 31. März genügte bei verarbeiteten Lebensmitteln nur ein Verarbeitungsschritt, etwa das Verdünnen und Abfüllen von chinesischem Apfelsaftkonzentrat in einer baden-württembergischen Saftfabrik, und der Saft war zu einem regionalen Produkt mutiert, Ursprungsland Deutschland. Eine Ärgernis, das Verbraucherschützer schon lange beklagen. Nun hat die EU Abhilfe geschaffen. Also, irgendwie… und irgendwie auch wieder nicht.

In der EU-Durchführungsverordnung 2018/775 ist seit 1. April 2020 festgelegt, dass bei Lebensmitteln, wo der Herkunftsort der Hauptbestandteile und der Herkunftsort, mit dem das Lebensmittel beworben wird, nicht identisch sind, ein Hinweis auf das eigentliche Herkunftsland erfolgen muss. Gleich verstanden? Nein? Kein Wunder! Die neue Regelung ist nämlich so unglaublich kompliziert, dass die EU-Kommission sicherheitshalber gleich noch den Entwurf einer Art Gebrauchsanleitung ins Netz gestellt hat. Wenn man den gründlich studiert wird deutlich, dass es hier – leider wieder mal – nicht wirklich um Transparenz im Interesse der Kundschaft geht.

Mogelpackungen inklusive

Die neue Regelung gilt nämlich keineswegs für alle verarbeiteten Lebensmittel, sondern nur für die, die explizit mit der Herkunft werben, also zum Beispiel „Deutscher Apfelsaft“. Wenn der schwäbische Safthersteller sein Produkt einfach nur „Apfelsaft“ nennt und darauf hofft, dass die Kundschaft auch so zugreift, immerhin ist die Firma ja aus der Region, und vielleicht steht sogar „abgefüllt in Baden-Württemberg“ drauf, dann kann er sich den Hinweis auf die weit gereisten Zutaten weiterhin sparen. Und ohnehin geht es bei der neuen Regelung nur um die „Hauptzutat“.

Ich habe vor einiger Zeit bei einem oberpfälzer Zwiebelbauern gedreht. Dessen größte Wettbewerber sitzen in China. Von dort kommt die überwältigende Mehrheit der Zwiebeln, die Instantbrühen, Kräuterfrischkäse oder Fertiggerichte schmackhaft machen. Unter fragwürdigen Bedingungen erzeugt – Umweltbelastung, Pestizideinsatz, Kinderarbeit – dafür aber viel billiger, als die Zwiebeln meines Oberpfälzer Bauern. Der große Mühe hat, seine Zwiebeln in der Industrie unterzubringen, weil seine Kundschaft keinen Wettbewerbsvorteil hat, wenn sie auf die heimischen Zwiebeln setzt. Denn die Konkurrenz kann ihren bayerischen Frischkäse ohne weiteres mit billigeren chinesischen Zwiebeln würzen, sie sind ja keine Hauptzutat.

Im Labyrinth der Siegel

Manche Lebensmittel werben allerdings mit einer bestimmten Region und fallen trotzdem nicht unter die neue Regelung. Beispielsweise der Schwarzwälder Schinken. Der darf weiterhin auch dann so heißen, wenn die Schweinekeulen aus Dänemark kommen, obwohl es sich dabei ziemlich offensichtlich um die Hauptzutat handelt. Denn der Schwarzwälder Schinken trägt das EU-Siegel „geschützte geographische Angabe„, wie etwa auch die Nürnberger Bratwürste oder der Dresdner Christstollen. Bei diesen Produkten genügt es weiterhin, wenn sie in der namensgebenden Gegend verarbeitet wurden. Wo die Zutaten herkommen, muss nicht ausgewiesen werden.

Es geht noch absurder: Die Wettbewerbszentrale hat Anfang des Jahres in letzter Instanz einen Prozess verloren. Sie hatte gegen einen irischen Champignonerzeuger geklagt, der eine weitere Lücke im Kennzeichnungsrecht nutzt. Bei Obst und Gemüse gilt nämlich stets der Ernteort als Ursprung. Deshalb fahren in mobilen Beeten sprießende Champignons 24 Stunden vor ihrer Ernte auf die schwäbische Alb, um, dort geschnitten, als deutsche Champpignons im Laden zu landen. Der Europäische Gerichtshof hat deshalb so entschieden, weil diese Deklaration den Vorschriften im Zollkodex der EU entspricht. Ob dadurch Verbraucher in die Irre geführt werden, wird deshalb gar nicht mehr geprüft. Ich meine, dass dann eben der Zollkodex das Problem ist: Ich als Kundin verstehe unter „deutschen Champignons“ keine Pilze, die gerade ein paar hundert Kilometer gefahren sind.

Schade – die neue Verordnung wäre eine gute Gelegenheit gewesen, echte Transparenz zu schaffen. Indem die Ursprungsorte aller Zutaten auf die Packung müssen. Damit wir beim Einkauf eine echte Wahlmöglichkeit bekommen und nicht Opfer von Etikettenschwindel werden. Ich finde das ärgerlich!