Diese Woche feiert die Bahn 10 Prozent mehr Fahrgäste im Januar, dank der Mehrwertsteuersenkung. Hoffentlich keine echten Neukunden – denn die wechseln angesichts des Angebots womöglich gleich wieder zurück zu Auto und Flugzeug

Ein Dezembersonntag, morgens um acht. Meine letzte Zugfahrt des Jahres 2019. Ich wollte im vergangenen Jahr eine ökologisch korrekte Dienstreisende sein und möglichst wenig fliegen. Leicht hat es die Bahn mir bei diesem Vorsatz nicht gemacht: keine einzige Reise im gesamten Kalenderjahr, die völlig störungsfrei verlaufen wäre. Aber die Bahn hat jetzt noch drei Chancen: München – Köln – Baden Baden – München.

Ich habe Bekannte, die Facebook auf dem PC geöffnet lassen, wenn sie morgens sehen, dass ich mit dem Zug unterwegs bin. „Dann weiß ich schon, dass es wieder lustig wird“, sagte eine Kollegin neulich zu mir. Kann sein, dass mein Bahn-Karma besonders schlecht ist – irgendeine schlimme Schuld aus einem früheren Leben als Zugschaffner vielleicht? Vielleicht bin ich aber auch einfach nur Teil des ganz normalen Wahnsinns auf deutschen Schienen und Gleisen. Die erste von drei möglichen Gelegenheiten für eine reibungslose Zugreise erledigt sich jedenfalls schon vor Abfahrt des Zuges: 20 Minuten Verspätung, und dabei wird der Zug erst hier eigesetzt.

Die allmorgentliche Auslosung der Wagenreihung

Auf meinem Weg zu Abschnitt „F“ komme ich an einer Gruppe Zugbegleiter vorbei. „Stimmt die Wagenreihung“ frage ich. „Oder war für den Hinweis auf die geänderte Wagenreihung nur kein Platz mehr auf der Anzeigetafel?“ Die Herren von der Bahn wissen auch nichts Näheres. „Aber wissen Sie…,“ muntert mich der Wortführer launig auf, „drum sind unsere Kunden alle so fit, weil sie immer diese weiten Wege auf den Bahnsteigen im Laufschritt schaffen müssen, wenn die Wagen dann doch andersrum stehen.“

Weit draußen bei „F“ angekommen, frage ich mich, warum es eigentlich schon seit „B“ keine Sitzgelegenheiten mehr gibt. Wäre ja schön, wenigstens im Sitzen zu warten. Fünf Minuten später kenne ich die Antwort: Der Platz auf den Gleisen wird dringend gebraucht, denn natürlich sind die Wagen doch umgekehrt gereiht, und nun versuchen ein paar hundert Passagiere mit Gepäck im hektischen Gegenverkehr ihren Wagen zu erreichen. Zurück im Abschnitt „B“ verstehe ich, was der lustige Schaffner gemeint hat. Puls erhöht, Schweiß auf der Stirn – wie fürsorglich von der Deutschen Bahn, dass sie sich so toll um meine Fitness kümmert und für morgendliche Herz-Kreislauf-Trainingseinheiten sorgt.

Auch Flugzeuge haben Verspätung, klar, und Autos stehen im Stau. Trotzdem finde ich es schon bemerkenswert, dass es in einer der stärksten Volkswirtschaften der Welt nicht möglich sein soll, eine bald 200 Jahre alte Technologie nicht halbwegs pannenfrei zu betreiben. Zumal es in vielen unserer Nachbarländer ja funktioniert. In der Österreichischen Bundesbahn, die durch ein sehr bergiges Land fährt, gibt es immer und überall gute Telefon- und Internetverbindungen. In der Schweiz sind 5 Minuten Umsteigezeit nie ein Problem. Und in Italien verbinden hochmoderne Schnellzüge die großen Städte in konkurrenzlos kurzen Fahrzeiten. Bei uns hingegen kostet der Umweg über Erfurt auf der Sprint-Strecke München – Berlin, einst durchgesetzt vom Thüringischen Ministerpräsidenten, 20 Minuten zusätzliche Fahrzeit und 2 Milliarden Euro mehr Baukosten. Und statt umweltfreundlich von Köln nach Frankfurt zu brausen, bremst der ICE von 300 auf null, um die 13000-Einwohner-Metropole Montabaur zu bedienen.

Wo staatliche Subventionen hinfließen

Vielleicht ist es ja kein Zufall, dass unser Bundesverkehrsministerium laut einem Bericht der Süddeutschen Zeitung 2019 bei 63 von 64 Spatenstichen für größere Straßenverkehrsprojekten anwesend war, aber nur bei einer von 94 Baustarts oder Verkehrsfreigaben von großen Bahnprojekten. https://www.sueddeutsche.de/politik/verkehrsministerium-scheuer-bahn-strassen-1.4836247 Im Autoland Deutschland fließt auch im Fridays-for-Future-Zeitalter viel mehr staatliches Geld in den Ausbau des Individualverkehrs auf vier Rädern. Und warum ist eigentlich Flugbenzin immer noch subventioniert? Liebe Verkehrspolitiker: schafft bitte endlich ein Angebot, dass die Bahn zu einem bezahlbaren, attraktiven Angebot macht. Damit nicht nur leidensfähige Nachhaltigkeitsautorinnen umsteigen, sondern alle! Und das gerne!

Die Bahn hat es an jenem Dezembertag übrigens nicht geschafft. Auch auf meiner weiteren Rundreise hatte ich fehlende Waggons, nicht angezeigte Reservierungen, verpasste Anschlusszüge – und wie immer viele lustige Gespräche mit ähnlich genervten Mitreisenden, zum Beispiel als wir gerade am Ulmer Münster vorbeirollten, und der Zugbegleiter fröhlich verkündete, dass wir nun Stuttgart Hauptbahnhof erreichten und welche Anschlüsse wird dort nicht erreichen würden. Aber immerhin habe ich zu Weihnachten als treue Kundin einen 5-Euro-Gutschein fürs Bordrestaurant bekommen. Jetzt muss es nur noch eines geben. Und Strom dort. Warme oder heiße Getränke. Und eine funktionierende Registrierkasse. Und all das bis zum 31. März. Es bleibt spannend…