Online Einkaufen boomt, und jedesmal wenn ich die mit Kartons vollgestopfte Mülltonne in meinem Hof sehe, frage ich mich, ob das nicht ein weiterer Sargnagel für unsere CO2-Bilanz ist. Nicht unbedingt, sagt mir Bettinas Döttinger in meinem Interview mit ihr. Sie betreibt ein Ladengeschäft in München-Neuhausen mit skandinavischen Wohnaccessoires und den Online-Shop „Der karierte Hund“.

Mein Konsumkompass:
Bettina, Du hast sowohl einen Online-Shop als auch einen richtigen Laden. Wo, würdest Du sagen, kauft man nachhaltiger ein?

Bettina Döttinger:
Das kann ich so pauschal gar nicht beantworten – da sind so viele Aspekte zu beachten: Das fängt damit an wie man zum Laden kommt: Nehme ich öffentliche Verkehrsmittel, fahre ich mit dem Auto vom Land in die Stadt usw.? Unser Laden ist in München-Neuhausen und öffentlich gut zu erreichen.

Ware wird uns immer verpackt angeliefert, ob sie für den Laden bestimmt ist oder für den  Online-Shop. Dieses Verpackungsmaterial fällt also immer an. Im Laden selbst wird die Ware eventuell wieder verpackt, um sie transportsicher zu machen, wenn sie z.B. auf dem Radl nach Hause transportiert wird.

Beim Versand im Online-Shop achten wir sehr drauf, dass wir recyceltes Verpackungsmaterial benutzen und dass wir plastikfrei die Ware sichern. Und der Versand ist CO2-neutral – also wahrscheinlich müsste man das für jeden Einkauf einzeln ausrechnen.

Mein Konsumkompass:
Ich weiß, dass Du dir sehr viel Mühe gibst, nachhaltig zu arbeiten. Wo stößt denn Du da an Grenzen? Du hast mir zum Beispiel erzählt, dass Du eigentlich gerne Kartons mehrfach verwenden würdest…

Bettina Döttinger:
Das tun wir auch – wir verwenden einerseits zugekaufte Kartons aus nachhaltigem Material, andererseits verwenden wir Kartons wieder. Ich möchte meinen Kunden auch beim Onlineshoppen ein schönes Einkaufserlebnis bescheren. Ein recycelter Karton kann aber eher nicht den gleichen Wow-Effekt bieten, wie ein ganz neuer weißer Karton mit tollem Aufdruck und innen einem „lovely you“-Schriftzug, womöglich noch mit Schleifchen und extra Seidenpapier. Wir bereiten die Kartons natürlich auf – es werden nur intakte Kartons wiederverwendet. Aber das finde ich manchmal schon ein bisschen schade, dass man eben diesen Geschenkeeffekt beim Auspacken nicht so extrem hat, wenn man Sachen recycelt und auf möglichst wenig Verpackung setzt.

Mein Konsumkompass:
Du bist ja nun in einem Segment, wo viele Sachen gehandelt werden, über die man sich freut, aber die man nicht zwingend braucht. Das ist ja, glaube ich, generell beim Konsum immer so ein bisschen der Zwiespalt, oder? Was schaffe ich an und wie ist es verpackt? Verpacke ich ein Geschenk als Geschenk? Also, ich bin da selber auch immer in einem Dilemma, weil ich mir denke, einerseits gibt es ja nichts Unnötigeres als Geschenkpapier, was nur den Zweck hat, einmal runtergerissen zu werden und dann weggeworfen zu werden. Und gleichzeitig kann ich mich erinnern, wie schön ich das an Weihnachten immer fand, so alle Sachen hübsch einzupacken und idealerweise eben wirklich noch eine Schleife und einen „lovely you“-Anstecker dranzumachen oder so. Wie löst ihr das?

Bettina Döttinger:
Wir sind da im gleichen Konflikt wie Du. Wir versuchen die Balance zu finden zwischen: Ich tue demjenigen was Gutes, der bestellt; der soll sich wohl damit fühlen, der soll sich über seine Bestellung freuen. Gleichzeitig darf es aber nicht komplett unnötig verpackt sein.

Die Sachen, die wir verkaufen, sind natürlich oft ein „nice to have“, allerdings finde ich, dass es auch erlaubt sein muss, sich schöne Sachen zu gönnen, die einem das Leben verschönern, die einem Freude machen. Ich stehe nicht dafür, dass man konsumiert um des Konsumieren willen. Dafür sind die Produkte, die ich habe, auch zu ausgewählt und zu besonders in der Herstellung. Aber ich finde schon, man darf sich was Schönes gönnen, es muss ja nicht unbedingt viel sein. Es sollte ein gutes Produkt sein und eins über das man sich jeden Tag freut, wenn man es benutzt. Vielleicht hat man auch mehr ausgegeben, aber dann hat man halt auch jahrelang was davon und freut sich lange an der Errungenschaft.

Mein Konsumkompass:
Ich finde ja auch so eine Freubilanz muss irgendwie auch mit einfließen neben CO2 und Wasserverbrauch und so was.

Bettina Döttinger:
Unbedingt: Ich finde sowieso, wenn man bewusst einkauft, bewusst Kaufentscheidungen  trifft und sich bewusst für einen Shop entscheidet, der verantwortlich handelt, dann darf man sich auch drüber freuen und dann darf man sich auch mal was gönnen was man vielleicht jetzt nicht unbedingt ganz dringend benötigt hat.

Mein Konsumkompass:
Woran erkenne ich denn beim Einkaufen, dass ein Online-Shop bewusst handelt?

Bettina Döttinger:
Ich würde neben der Verpackung prinzipiell immer erst mal schauen, ob der Shop zum Beispiel CO2-neutral versendet.

Mein Konsumkompass:
Woran kann ich das erkennen? Steht das dann auf der Seite oder gibt es da ein Siegel?

Bettina Döttinger:
Bei uns ist es zum Beispiel DHL Go Green. Go Green bedeutet, dass DHL da für eine CO2.-Kompensation sorgt. Es gibt aber auch andere Dienstleister, die mittlerweile CO2 neutral versenden. Oft sind auf den Seiten Hinweise zu finden, ob zum Beispiel plastikfrei oder mit recycelten Materialien versandt wird

Mein Konsumkompass:
Es heißt, dass Retouren ein großes Problem sind und dass teilweise zurückgesandte Waren sogar einfach vernichtet werden, weil es so mühselig ist, die wieder in den Versandkreislauf zurückzubringen. Jetzt hast Du einen kleinen Online-Shop, also ich nehme mal an, dass das bei dir nicht vorkommt. Aber wie handhabst Du denn das mit den Retouren? Ist das für dich ein Problem?

Bettina Döttinger:
Es ist in der Tat ein ganz großes Problem, weil uns eine Retoure zwischen 12 bis 14 Euro kostet. Das geht bei der Kundschaft komplett unter, welche Kosten dadurch entstehen. Angenommen, jemand bestellt zwei Gläser für jeweils fünf Euro und ich zahle nachher 12 Euro für den Rückversand insgesamt, wenn er die zurückschickt, dann habe ich ein Verlustgeschäft gemacht. Und es ist natürlich ökologisch ein großes Problem. Also sollte man sich sehr gut überlegen, ob man etwas einfach nur zur Auswahl bestellt. Das generelle Rückgaberecht ist aber voll in Ordnung, weil man ja keine Chance hatte die Ware live anzusehen. Wir vernichten die Ware übrigens nicht, wenn sie zurückkommt, Wir prüfen sie auf Herz und Nieren und wenn wirklich alles in Ordnung ist, verkaufen wir sie weiter. Andere Sachen mit kleinen Fehlern werden gespendet.

Mein Konsumkompass:
Du hast ja in deinem Online-Shop relativ viele Produkte, die zum Thema Nachhaltigkeit passen. Also da gibt es Putzmaterialien, kompostierbare Putzlappen. Es gibt Fairtrade-Produkte, es gibt Upcyclingprodukte, alles Mögliche. Hast Du den Eindruck, dass es dafür  einen guten Markt gibt? Also interessiert das die Leute besonders, geht das gut?

Bettina Döttinger:
Leider nicht so sehr wie ich mir das wünschen würde. Das ist für mich ein sehr, sehr betrüblicher Fakt. Ich habe vor kurzem eine Umfrage gemacht in einem meiner Newsletter und war ein bisschen entsetzt, dass bei der Frage „wichtigster Faktor für die Kaufentscheidung“ die kostenfreien Retouren ganz vorne rangierten, während „Nachhaltigkeit“, auf den letzten Rängen zu finden war. Das hat mich echt überrascht, weil ich meine Stammkundschaft kenne, und die sind eigentlich sehr engagiert. Aber andere Onlinekäufer legen da wohl nicht so viel Wert drauf wie ich dachte. Da geht es leider oft nur um den Preis.

Was mich auch überrascht: In meinem Laden werde ich oft gefragt, ob Waren aus China kommen, und die werden dann nicht so gerne gekauft. Online interessiert das niemanden. Aber es ist auch generell kaum möglich, komplett auf „made in China“ zu verzichten – gerade Porzellan und Keramik kommt fast immer von dort.

Mein Konsumkompass:
Wie siehst Du denn das jetzt in der Nach-Corona-Zukunft? Es finden ja nun gerade viele Öffnungen statt, das wird sicherlich den Online-Handel etwas einbremsen. Aber wenn Du jetzt in die Zukunft gucken könntest: Was denkst Du denn? Was ist sozusagen eher das Zukunftsmodell? Der kleine Laden, den Du hast, wo die Leute hingehen können, sich die Sachen anschauen, in die Hand nehmen und dann vielleicht auch mit einem Spontankauf nach Hause gehen oder eben doch der Online-Shop?

Bettina Döttinger:
Ich glaube, dass der Handel ohne den Online-Teil nicht mehr auskommen wird und dass da auch das Zukunftsmodell ist. Also dass viele Leute – vielleicht auch jetzt eben durch die Erfahrung aus der Pandemie – zu Hause bleiben und von dort aus bestellen. Aber es wird natürlich auch immer Menschen geben, die das physische Einkaufserlebnis bevorzugen. Ich denke, dass jeder Laden zukünftig irgendeine Art von Online-Präsenz brauchen wird. Man muss online irgendwie präsent sein, sonst findet man eigentlich nicht statt. Die Kundschaft informiert sich immer mehr vorab im Internet über Öffnungszeiten, über Produkte und so weiter.

Mein Konsumkompass:
Also wie so eine Art Katalog zumindest im Internet, wo ich schon mal rausfinden kann, was es da gibt?

Bettina Döttinger:
Genau.

Mein Konsumkompass:
Dann ist der Appell ja vielleicht, dass man eben mehr nach kleinen Online-Shops schaut oder nach solchen dualen Systemen mit Laden und einem Online-Angebot und dass man nicht immer bei den großen landet?

Bettina Döttinger:
Das würde ich wirklich total empfehlen, nicht nur aus Eigennutz, sondern auch, weil ich ja sehe, wie viele super engagierte, kleine Geschäfte es gibt. Also gerade auch kleine Läden, die eben dann jetzt in Folge der Pandemie noch einen Online-Shop aufgemacht haben, und die zu unterstützen finde ich wahnsinnig wichtig und eben auch toll, weil das ganz tolle Menschen sind, die ganz tapfer kämpfen. Die großen Player wie Amazon, Zalando und so weiter, das sind die echten Nutznießer der Pandemie; die Kleinen nicht. Für die ist immer noch ein großer Überlebenskampf, sowohl im physischen Handel als auch im Online-Handel. Dort benötigt man einfach ein irres Marketingbudget um vorne mitspielen zu können.

Mein Konsumkompass:
Ist es denn eine Lösung, sich an diese großen Plattformen irgendwie anzudocken? Also es gibt ja viele kleine Händler, die dann auch über diese Plattformen ihre Waren vertreiben.

Bettina Döttinger:
Würde ich prinzipiell nicht empfehlen. Das funktioniert auf kurze Sicht vielleicht. Und das kommt ein bisschen auf das Produkt an, das man verkauft. Allerdings ist es natürlich auch so: Wenn man ein Produkt hat, das wirklich gut läuft, dann sehen das ja die Plattformen auch und im schlimmsten Fall fangen die an, genau das Gleiche zu verkaufen wie Du und damit bist Du raus. Und dann ist es einfach so, dass auf diesen Plattformen der Preiskampf noch extremer tobt als sowieso schon im Internet. Und wenn man da nicht die entsprechenden Margen hat und Möglichkeiten, für einen Schleuderpreis zu verkaufen, dann ergibt das keinen Sinn.

Mein Konsumkompass:
Das ist natürlich immer das Bequemste, bei den großen Plattformen zu kaufen: Das sind die ersten Suchbegriffe, wenn ich irgendwas finden möchte.

Bettina Döttinger:
Es sind ja auch schon eher Suchmaschinen, keine Marktplätze mehr. Man sucht dann sogar, was empfiehlt mir Amazon denn jetzt als best choice zum Beispiel oder so? Und kriegt dann auch noch den besten Preis gleich präsentiert. An sich ist das unheimlich geschickt, aber es wird auf lange Sicht die Preise kaputtmachen, es wird viele kleine Händler zerstören und damit die Vielfalt. Es immer weniger Wahlmöglichkeit geben.

Mein Konsumkompass:
Also kann man eigentlich nur appellieren: Kleine Händler suchen und die unterstützen, ob in der Stadt oder im Netz.

Bettina Döttinger:
Genau. Ja, vielleicht auch mal, wenn man googelt, auf Seite 2 oder 3 nachgucken, weil die auf Seite 1 sind, die haben halt auch das Budget, dort zu sein. Das heißt aber nicht, dass der auf Seite 9 nicht viel nachhaltiger und netter ist und vielleicht sogar die günstigere und schönere Auswahl hat. Also da sollte man vielleicht sich mal die Mühe machen, noch mal ein bisschen weiter hinten zu gucken.

Mein Konsumkompass:
Vielen Dank.