Die Geflügelindustrie ist in heller Aufregung. Weil das Bundeslandwirtschaftsministerium an etwas arbeitet, das eigentlich selbstverständlich sein sollte: verbindliche Haltungsvorgaben für Mastputen. Die gibt es bisher nämlich nicht.

Etwa 30 Millionen Puten werden jährlich in Deutschland geschlachtet. Geflügel ist die einzige Sparte, wo der Verzehr, gegen den restlichen Trend, immer noch wächst. Putenfleisch hat bei vielen ein besonders gutes Image: kalorien- und fettarm, fühlt sich irgendwie leichter und gesünder an… Dabei ist das die Sorte Fleisch, die man nach dem, was ich vor 3 Jahren fürs ZDF recherchiert habe, am besten gar nicht essen sollte.

Die Urpute ist ein Waldvogel, der gerne auf Bäume flattert – dieses Bedürfnis ist der Mastpute erfolgreich weggezüchtet worden, dafür wäre ihr Brustmuskel auch viel zu schwer. Puten sind echte Problemtiere, wegen der Zuchtlinien. Selbst Bio-Puten sind ein fauler Kompromiss, die leben zwar besser, aber auch Biomäster arbeiten mit den überzüchteten Rassen. Es gibt einzelne Modellprojekte mit so genannte Waldlandputen, wo die Bedingungen halbwegs okay sind. Aber im Zweifel würde ich auf Putenfleisch komplett verzichten, da gibt es aktuell kein wirklich nachhaltiges Konzept.

Fleischerzeugung im regelfreien Raum

Für Puten gibt es bislang keine speziellen Haltungsvorgaben, stattdessen gelten lediglich der allgemeine Teil der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung und das Tierschutzgesetz. Außerdem hält sich die Branche an eigene sogenannte Bundeseinheitliche Eckwerte. Die allerdings sorgen für klare Verstöße gegen das Tierschutzgesetz – zum Beispiel beim Kürzen der Schnäbel, gängige Praxis in der konventionellen Mast. Nach Paragraph 6 Abs. 3 Nr. 1 kann die Behörde das Schnabelkürzen erlauben, wenn dies im Hinblick auf die vorgesehene Nutzung zum Schutz der Tiere unerlässlich ist. Doch: Die Ausnahme hat sich in der Praxis längst als flächendeckender Standard durchgesetzt.

Putenmäster argumentieren, das sei so ähnlich wie Nägel schneiden. Dr. Shana Bergmann, Putenfachfrau und Veterinärin an der Uni-Tierklinik München, ordnet das etwas anders ein:

Das ist es nicht, außer Sie schneiden Ihre Nägel immer bis auf den Knochen runter. Da können Sie sich selbst vorstellen, wie schlimm so was sein kann. Wir amputieren beim Schnabel ein Organ, das für das Tier sehr wichtig ist. Da ist auch ein sogenannte Schnabelspitzenorgan drinnen, das wir gänzlich zerstören mit dieser Methode, die wir anwenden. Und damit zerstören wir Gewebe und das ist durchaus schmerzhaft.

Zahnlose Tierschutzgesetze

Der Schutz von Tieren hat in Deutschland Verfassungsrang. Eigentlich soll das deutsche Tierschutzgesetz das sicherstellen. Doch die Ämter sind da in einer Zwickmühle: Würde man das Tierschutzgesetz ernst nehmen, wäre das das sofortige Ende der konventionellen Tierhaltung in Deutschland. Die fast schon großindustrielle Erzeugung von Fleisch funktioniert nicht anders.

Das Thema Putenschnäbel ist da ein gutes Beispiel: In einer überschaubaren Herde mit genug Raum handeln Puten ihre Rangordnung friedlich aus, der Begriff „Hackordnung“ ist da eher irreführend. 5000 Puten in einem engen Stall, ohne all das, was ein Putenleben spannend macht, vom Auslauf über die Futtersuche bis zum gefundenen Wurm – das bedeutet Stress für die Tiere. Also hackt man die Schwächeren blutig… Die Behörden haben also zwei Möglichkeiten: massenhaft verletzte Tiere in Kauf nehmen. Oder Maßnahmen durchwinken, die den Tieren Schmerzen zufügen, dafür dann aber das System der Massentierhaltung durchführbar machen.

Was soll sich ändern?

Cem Özdemirs Eckpunktepapier soll die Besatzdichte für männliche Tiere auf höchstens 40 kg Lebendgewicht und 1,9 Puten pro Quadratmeter begrenzen. Für Putenhennen sollen höchstens 35 kg Lebendgewicht und 3,1 Tiere pro Quadratmeter zulässig sein. Das entspricht grob den Regeln, die etwa in Österreich bereits gelten. Die Initiative Tierwohl sieht derzeit für  ihre Betriebe eine maximale Besatzdichte von 48 kg Lebendgewicht für Putenhennen und von 53 kg Lebendgewicht für Putenhähne je Quadratmeter nutzbarer Stallfläche vor. Die Mäster müssten die Besatzdichte in ihren Ställen also um rund ein Viertel verringern.

In Österreich sank der Marktanteil einheimischen Fleisches nach der Einführung dieser Regeln. Und in der Tat wäre der nächste Schritt natürlich, solche Regeln verbindlich überall in der EU zur Anwendung zu bringen. Aber kann die Tatsache, dass anderswo auch Tiere gequält werden, in der Zwischenzeit wirklich das Argument dafür sein, dass wir das dann auch dürfen müssen?

Zum Schnäbel kürzen gibt es in den Eckpunkten übrigens keine neue Vorschrift, das sei, so das Ministerium, ja eh nur in Ausnahmefällen zulässig. Dann bin ich mal gespannt, ob sich das auch zu den Behörden durchspricht, die diese Ausnahme per Genehmigung zum Regelfall machen.

Was wirklich tiergerecht wäre

… wäre eine Haltung, die die natürliche Lebensweise dieser Tiere ermöglicht. Und wenn das wirtschaftlich nicht geht, dann ist die Pute vielleicht kein geeigneter Fleischlieferat für unsere Ernährung. Es gibt kein Menschenrecht auf Tierquälerei, nur damit unser Speisezettel abwechslungsreicher ist. Dann gibt es keine Putenmast mehr in Deutschland? Ja gut, so ist das dann eben!