Der Lockdown hat uns Reiseweltmeister zum Daheimbleiben gezwungen. Kaum Flugverkehr, leere Autobahnen – plötzlich schaffen wir unsere Klimaziele. Und jetzt?

„Anderswo“ war immer schon mein Lieblingsort. Ich reise nicht nur berufsbedingt viel. Auch in den Lücken zwischen den Dienstreisen bin ich immer viel und gerne unterwegs gewesen, vom Wochenendtrip in eine schöne Stadt bis zur Fernreise in exotische Gefilde. Und natürlich war die Corona-Zeit daheim auch für mich ein Moment, darüber nachzudenken, ob dieser Lebensstil noch zeitgemäß ist, angesichts der enormen Emissionen, die die Herumreiserei auslöst.

Mein Schreibtisch am Lago MaggioreIch schreibe diesen Text am Lago Maggiore – schon seit Kinderzeiten meine zweite Heimat. Seit Anfang Juni sind die Grenzen nach Italien offen. Und ich finde hier etwas vor, wovon ich früher oft geträumt habe: Ein Italien ohne Touristen. Nur Italiener im Café auf der Piazza, keinerlei Parkplatzprobleme, ein leerer Strand. Aber auch Wirte und Geschäftsbesitzer, die große Angst vor der Zukunft haben, weil hier so viele Existenzen vom Tourismus abhängen. Und weil hier niemand allein von den Einheimischen leben kann. Dabei ist der Lago Maggiore, anders als etwa der Gardasee, gar nicht so ausschließlich touristisch geprägt. Aber mir wird erst jetzt bewusst, wie viel von der Infrastruktur, die den Alltag hier so charmant macht, vom Geld der Urlauber abhängt.

Reisen – Wirtschaftsfaktor oder Umweltsünde?

Ich bin mir sicher, dass sich unsere Art zu reisen ändern wird. Angefangen bei den vielen Dienstreisen quer durch Deutschland, für ein Meeting – wir haben gelernt, das viele Termine als Videokonferenz genauso gut funktionieren und schon aus Kostengründen werden viele Firmen das sicherlich beibehalten. Ich hoffe auch, dass die Zeiten vorbei sind, wo ein Flug oft billiger war als die Zugfahrt auf der gleichen Strecke. Für mein Buch „Der Konsumkompass“ habe ich durchgerechnet, wie unterschiedlich sich die Preise dieser beiden Verkehrsmittel entwickelt haben: Als ich Ende der 80er Jahre studiert habe, gab es keine Billigairlines. Fliegen war für mich als Studentin völlig unbezahlbar. Die Studienfahrt unseres Latein-Leistungskurses nach Neapel und Pompei fand mit dem Nachtzug statt, ebenso wie der Schüleraustausch nach Schottland (ich brauche nicht zu erwähnen, dass mein Sohn zum Schüleraustausch in die Gegend von London NATÜRLICH mit dem Flugzeug anreiste…) Zum Abitur haben mir meine Eltern 1986 eine Reise in die USA geschenkt. Dorthin konnte man nun eindeutig nicht Zug fahren, und man macht ja auch nur einmal Abi. Das Ticket kostete 999 Mark –billiger wäre es kaum gegangen. Inflationsbereinigt wären diese 999 Mark heute 290 Euro wert. Für diesen Betrag konnte man vor Corona auch heute noch einen Flug Frankfurt – New York finden. Zum Vergleich: Der Preis für einen Monat Interrail hat sich in diesem Zeitraum von umgerechnet 116 Euro auf 515 Euro gesteigert – das ist mehr als das Vierfache, rechnet man den Kaufkraftverlust ein, wäre man sogar beim Faktor 7,5!

Gleichzeitig jedoch finde ich Reisen wichtig – nicht nur als Wirtschaftsfaktor für den Restaurantbesitzer, dessen Pasta ich so gerne esse. Mir gefällt sehr der selbstverständliche Umgang meiner Kinder mit ihren Freunden aus aller Welt. Der hat viel mit der Frequenz zu tun, mit der sie Erasmus, Austausche, Auslandspraktika u.ä. absolvieren. Wer fremde Länder kennt, findet die Menschen dort weniger fremd. Ich möchte den kulturellen Austausch nicht missen. Ich finde es essentiell, über den Tellerrand zu blicken, und das nicht nur per Video-Schalte.

Richtig reisen

Ich werde deshalb weiter die Welt erkunden. Weniger oft mit dem Flugzeug. Und wenn, dann nicht, ohne den Flug zu kompensieren – welche Haken es dabei gibt und welche Anbieter es gut machen, habe ich im „Konsumkompass“ aufgelistet. Und ich hoffe, dass sich bald viele wieder trauen, meine Lieblingscafés und Bars am Lago Maggiore zu bevölkern. Liebe Mitreisende: Ihr werdet schmerzlich vermisst!