Regional und saisonal… ja, so geht nachhaltige Ernährung, schon klar, aber ein paar Gelüste lassen sich damit nicht befriedigen. Der Appetit auf Schokolade, zum Beispiel, die manchmal einfach sein muss, in diesen grauen Corona-beschatteten Tagen.

Das Schokoladentestpaket – alles vegan und ganz ohne Kakao

Oder doch? Ich bin bei meiner morgendlichen Zeitungslektüre neulich auf das Münchner Start Up QOAcompany gestoßen, das uns aus diesem Dilemma erlösen möchte, mit komplett kakao-freier Schokolade. Das klang für mich sehr abgefahren, und ich habe dort gefragt, ob ich ein Probierpaket bekommen könnte.

Was Lebensmittelchemiker so zaubern können

Ich hab erst diese Woche wieder einen Auftritt bei ARD Buffet (nächsten Dienstag um 12:00) vorbereitet, zum Thema Aromen. Aromen helfen der Lebensmittelindustrie, in ihren Produkten des Anteil an echten Zutaten sehr weit herunterzufahren, zugunsten von billigen Füllstoffen. Das ist nicht gefährlich oder schädlich, aber es ist zumindest eine amtlich genehmigte Schummelei: Ich kaufe etwas ganz Anderes, als mir die Fotos auf der Packung suggerieren, und dafür bezahle ich meist auch noch unverhältnismäßig viel Geld. Um an den Blog von letzter Woche anzuknüpfen: Ich persönlich hätte jedenfalls viel lieber ein paar mehr von den untergepflügten Zucchini in meiner Suppe, als Zucchini-Aroma.

Eine der beiden Gründer:innen von QOAcompany war laut Presskit als Lebensmittelchemikerin in der Industrie tätig und kennt sich mit Aromen gut aus. Gemeinsam mit ihrem Bruder hat sie eine Methode entwickelt, aus Abfallprodukten, die bei der Lebensmittelverarbeitung anfallen, etwa aus Hafer oder Weizen, durch Fermentation und Röstung etwas herzustellen, das den Kakao in der Schokolade ersetzt. Genauer verraten die Gründer:innen ihr Rezept momentan nicht.

Schokolade ohne Kakao?

Ich war sehr gespannt, als das Probierpaket bei mir ankam. Sehr hübsche Pralinés. Aber Schokolade ohne Kakao? Ich habe mir mit meinem Sohn Jakob einen langjährig erfahrenen Schokoladenfan an die Seite geholt. Gemeinsam haben wir uns durch das gesamte Sortiment gefuttert. Nicht alle Proben fanden wir gleich fein, aber insgesamt waren wir sehr positiv überrascht. Schmeckte tatsächlich wie Schokolade!

Die Argumentation des Produzentenpaars klingt einleuchtend: Für den Kakaoanbau wird oft Regenwald abgeholzt, auf den Plantagen arbeiten häufig Kinder, die Monokulturen schaden der Biodiversität, betreiben Raubbau am Boden, und dann werden beim Anbau pro Kilo Kakao 24000 Liter Wasser verbraucht, eineinhalb mal mehr als bei der Produktion der gleichen Menge Rindfleisch. Dann muss der Kakao noch zu uns reisen, im Gegensatz zu dem Kakaoersatz, der aus ohnehin anfallenden Resten regionaler Produktion entsteht. Das soll laut Presseinfo der Firma zehnmal nachhaltiger sein, als echter Kakao, wobei die Frage, wie man das genau definiert, ja ein sehr weites Feld ist. Aber immerhin konnten die beiden Tüftler:innen 6 Millionen Euro Startkapital einsammeln.

Wenn das alles so stimmt, wäre das tatsächlich ein sinnvolles Produkt, wobei mich trotzdem die genaue Zutatenliste interessieren würde, die gab es beim Probier-Set noch nicht. Die endgültige Rezeptur steht wohl auch noch nicht fest; die wird erst aufgrund des Feedbacks der Testpersonen festgelegt.

Faire Schokolade

Ganz grundsätzlich finde ich Konsum mit Blick auf seine Folgen ja immer gut. Und gerade bei Schokolade gibt es auch ohne fermentierten Kakaoersatz genug Möglichkeiten, nachhaltigere Anbaumethoden und bessere Arbeitsbedingungen zu unterstützen. Fairtrade-Kakao hat in Deutschland mittlerweile immerhin einen Marktanteil von 17 Prozent, mit steigender Tendenz. Das Portal Utopia bietet eine Übersicht, welche Siegel im Bereich des fairen Handels nach welchen Kriterien arbeiten – im großen und ganzen ist der Greenwashing-Faktor hier recht überschaubar.

Beim Kakao kommt jedoch das Problem hinzu, dass er für die klassische Form der Handelsbeziehungen zwischen Afrika und Europa steht: Wo nur Rohstoffe exportiert werden, bleibt wenig Wertschöpfung im Land. Die qualifizierten Arbeitsplätze in der Verarbeitung sind alle bei den Schokoladenherstellern in Europa. Die Münchner Firma Fairafric versucht, das zu ändern und produziert ihre komplette Schokolade in Ghana. Dadurch bleibt viermal mehr Geld im Land – eine besonders effektive Form der Entwicklungsarbeit und zugleich aktive Beseitigung von Fluchtursachen.

Nun muss Schokolade natürlich beim Transport gekühlt werden – das wäre nun wieder schlechter für die Ökobilanz. Fairafric schreibt dazu:

Ein Kühlcontainer, der wie der, den wir nutzen, mit 16 Grad Celsius und 60% Luftfeuchtigkeit temperiert ist, stößt auf der Strecke zwischen Tema (Ghana) und Hamburg (Deutschland) etwa 1208 kg CO2 aus. Zum Vergleich: Ein “normaler” Container verbraucht auf derselben Strecke 876 kg CO2, das sind also rund 332 kg weniger (Quelle: Hapag Lloyd). Um diese Emissionen in Relation zu setzen: Ein Direkt-Flug von einer Person von München (Deutschland) nach Accra (Ghana) ist mit der Emission von etwa 1138 kg CO2 gleichzusetzen (Quelle:atmosfair).
Seit unserer Kickstarter-Kampagne 2018 investieren wir in Ausgleichsprojekte, um die Transportemissionen, aber eben auch alle anderen Emissionen, die bei der Produktion von Schokolade anfallen, auszugleichen.

Klingt gut. Und ist mir ehrlich gesagt dann doch noch ein bisschen sympathischer, als die Schokolade aus Kakaoersatz. Aber das ist ganz sicher Geschmackssache.