Ein vegetarisches Restaurant in einem Skihotel? Als ich zum ersten Mal davon gehört habe, dass das Edelweiss in Zürs am Arlberg eine Pop-Up-Filiale des Wiener Restaurants Tian beherbergen will, war ich zugegebenermaßen skeptisch. Nach einem Tag im Schnee, müssen da nicht eher Wiener Schnitzel und dicke Steaks auf den Teller?

 

Paul Ivic war mit seinem Tian in Wien einer der ersten Gourmetköche überhaupt, der mit vegetarischen Gerichten einen Stern erkocht hat. Auch seine Münchner Dependance ist sterngekrönt. Im Restaurant des Edelweiss‘ gibt es Gerichte, die sich an das Wiener Tian Bistro anlehnen, zum Teilen für alle, in der Tischmitte. Paul Ivics Philosophie ist es, sehr konsequent regional zu kochen; Auf den Tisch kommen ausschließlich saisonale Produkte, die von der Wurzel bis zum Blatt verarbeitet werden.

„Ich finde es ziemlich mutig, dass Irmgard und Charly Wiener mich eingeladen haben – es gibt hervorragende Restaurants am Arlberg, aber vegetarisch, das ist hier klar eine Lücke!“

Saisonale Gemüseküche im Winter – eine Herausforderung!

Ich durfte das vegetarische Wintermenü letzte Woche probieren und war schwer begeistert davon, wie sich da der Nachhaltigkeitsgedanke und Genuss auf dem Teller vereinen. Frische Gemüseküche, mitten im Winter – gar nicht so einfach… und nach 10 Jahren Wien sucht Paul Ivic in Vorarlberg teilweise noch nach den richtigen Erzeugern:

„Natürlich müssen wir uns an Zürs herantasten, noch machen wir viel mit unseren Produzenten aus dem Wiener Umkreis. Aber je besser wir uns in Zürs auskennen, wird unser Fokus mehr darauf gerichtet sein, die Produzenten in der Umgebung in der Region noch mehr in unserer Speisekarte zu integrieren. Der Winter ist eine sehr spannende Zeit: Viele unterschätzen, wie groß die Vielfalt an Wintergemüse ist. Die größte Herausforderung ist April: wenn sich alle schon nach dem Frühling sehnen, viele Gäste schon in anderen Restaurants Frühlingsgemüse kriegen, wir das aber noch nicht anbieten, weil unsere Produzenten mit der Zeit arbeiten, und das heißt, gewisse Gemüsesorten kriegen wir noch nicht. Wir schauen einfach, dass wir die Produkte, die jetzt am besten sind, verwenden.“

Topinambur mit Hefecreme und Walnüssen – einer meiner Favoriten an diesem Abend!

Dabei kämpft Paul Ivic immer wieder mit der Erwartungshaltung mancher Gäste, die oft gar nicht so genau wissen, was eigentlich zu welcher Zeit Saison hat.Mir ist, ehrlich gesagt, auch erst beim Schreiben des Konsumkompass bewusstgeworden, wie selbstverständlich ich auch im Winter reine Sommergemüse wie etwa Auberginen verkoche.

Geht man in einen deutschen oder österreichischen Supermarkt, könnte man schließlich meinen, dass etwa Tomaten – oder Paradeiser, wie sie in Paul Ivics regionaler Küche konsequenterweise heißen – eine Art Ganzjahresfrucht sind…

„Das ist ein Riesenproblem, nicht nur bei Kunden, sondern auch bei Köchen. Wann gibt’s was? Ich hab 2012 wieder begonnen, mit der Saison zu arbeiten. Ich schau auch oft in der WetterApp nach, wie gerade das Wetter bei meinen Bauern ist. Eigentlich tun wir uns gar keinen Gefallen damit, wenn wir das ganze Jahr etwas zur Verfügung haben. Beim Spargel akzeptierten wir das Prinzip „Saison“ – jeder freut sich auf Spargel, aber jeder ist auch zufrieden, wenn die Spargelzeit wieder vorbei ist. Und ich finde diesen Rhythmus eigentlich total schön, dann freut man sich auf die Steinpilze, irgendwann kommen die Artischocken, und so weiter. Wir berauben uns eines einmaligen Erlebnisses, wenn wir ständig überall zu jeder Zeit alles haben.“

Kohlsprosse, Gerste und Bergamotte

Paul Ivics Mission ist Genuss, aber ihn interessiert auch der ökologische Fußabdruck seiner Zutaten:

„In Peru hat Spargel jetzt Saison. Aber die Lieferkette ist viel zu lange. Gemüse verliert einfach extrem an Qualität und Geschmack je länger es gelagert wird, und man muss sich auch die Frage stellen ob es denn sinnvoll ist, ob man von überall die Dinge kauft. Natürlich kann man jetzt sagen, wir kaufen in Europa ein, aber ich seh das kritisch: Wenn man von Spanien Ware herholt, aus Andalusien zum Beispiel, wo Paradeiser in Gegenden angebaut werden, wo es fast kein Wasser gibt, mit Migranten, die für 5, 6 EUR Stundenlohn quasi versklavt werden, da muss man einfach fragen, auch als Konsument: Will ich das unterstützen? Diese Gedanken tragen leider zu wenige in sich, dass man auch bei der Gemüseküche darauf achtzugeben hat, wo das ganze herkommt. Es kann doch nicht sein, dass man Avocados im Winter kauft, die in Portugal angebaut werden, in einer Küstenregion, die wirklich trocken ist. Und das ist ja auch nicht nur in Spanien oder Portugal so. In Österreich haben wir das Problem mit dem Neusiedlersee – der trocknet aus. Und zugleich bauen wir dort Mais an, der über 560 ml Wasser pro Jahr, also Regenfälle braucht, in einer Region, die sehr trocken ist. Also, der Landwirt sollte wieder das anbauen, was für die Region gut ist und nicht das, was die Industrie verlangt. Das muss man schon etwas besser bedenken, aber sich dennoch nicht den Spaß am Essen rauben.“

Marinierter Kohl mit Spitzkrautcreme

Gegrillte Karotte mit Holzkohle

Das Menü fürs Edelweiss, in einem Vorarlberger Bergdorf auf 1700 Metern, spiegelt die Küchentraditionen der Region. Gleich der erste Gang bringt viele Kleinigkeiten auf den Tisch, die einst zur Arme-Leute-Küche gehört hätten, durch Zubereitungsweisen wie Fermentation auf Gourmet-Niveau gehoben. Eine bewusste Entscheidung:

„Ich find generell, dass man die Region spiegeln soll. Unsere Philosophie ist 80% lokal, 20% global. Essen soll verbinden. Wir schauen, dass soweit es geht alles lokal produziert wird und gekauft wird, aber wir haben natürlich auch Kaffee oder Schokolade im Angebot. Da schauen wir auch genau hin. Unser Produzent, Original Beans, ist ein Spitzenproduzent. Die machen mit den örtlichen Produzenten Fünfjahresverträge zum Zehnfachen Preis, im Vergleich zum Standardpreis deutscher Einkäufer.“

Was Paul Ivic dort besonders gut gefällt: Die Kakaobohnen stammen nicht aus Plantagen mit großen Monokulturen sondern wachsen so, wie die Pflanzen ursprünglich gewachsen sind, in kleinbäuerlichen Betrieben: In wild durchgemischten Feldern mit verschiedenen Pflanzen. So regenerieren sich die Böden viel besser. Auch bei Weinen unterstützt Ivic die Produzenten, die ihre Böden gesund halten.

„Dann können wir erst über Nachhaltigkeit reden, weil wenn der Boden gesund ist, wenn eine Vielfalt im Boden ist, dann ist er nährstoffreich, dass tut auch unseren Körpern gut, und es belebt die Region. Wenn es mit Pestiziden totgespritzt ist, dann veruneinigen wir alles, und darauf wird zu wenig achtgegeben.“

Bio? Mindestens!

In Paul Ivics Küche kommen nur Zutaten aus ökologischer Landwirtschaft in den Topf:

„Bio ist unser Mindeststandard, drunter geht gar nichts. Aber wir schauen uns auch bei unseren Produzenten an, wie sie arbeiten. Wir schaffen es noch nicht ganz bei allen, aber die meisten kennen wir. Viele haben den Demeter-Gedanken, lassen sich zwar nicht zertifizieren, leben aber so. Und unser Ziel ist es, alle davon zu überzeugen, dass sie Demeterqualität anbauen. Demeter ist jetzt nur ein Beispiel, für Fruchtfolgen zum Beispiel, dass wir mit solchen Produzenten arbeiten, die mit der Natur arbeiten und nicht gegen sie. Ist vegetarisch nachhaltiger? Ich denke schon, aber wenn das Gemüse aus Monokultur stammt, mit Pestiziden, kann ich nicht behaupten, dass das nachhaltig ist. Wenn ich mir gewisse Veggie-Burger anschaue, da sind Erdölderivate drin, da kann ich nicht von Nachhaltigkeit reden.“

Kartoffelravioli mit Fichte und Zwiebel – klingt abgefahren, schmeckt toll

Mir gefällt der Gedanke gut, dass Genuss und nachhaltiges Einkaufen zwei Seiten der gleichen Medaille sind. Ich habe mich schon oft darüber geärgert, wie wenig Bioware etwa in Feinkosttempeln wie Käfer oder Dallmayr angeboten wird, wo eine Kundschaft einkauft, die mit höheren Kosten gar kein Problem hat. Umso schöner finde ich es, wie konsequent Paul Ivic für sich das Thema Nachhaltigkeit denkt. Auch wenn er selbst ehrlich zugibt, dass er an ein paar Stellen nicht konsequent regional arbeitet – noch…

„Wir möchten die Region stärken, wir möchten die Bauern stärken, die hervorragende Arbeit leisten, und hoffentlich gibt’s dann noch mehr, die weitermachen. Schauen wir zum Beispiel mal die Bäcker an: Gute Bäcker kaufen Demeter-Getreide. Ich hab sehr lange überlegt: Ist es richtig, wenn wir nach Zürs Joseph mitnehmen, das Joseph-Brot, aus Wien und Niederösterreich? Ich bin sicher, dass es auch in Vorarlberg hervorragende Bäcker gibt, aber ich hab bis jetzt leider noch keinen gefunden, der so intensiv an der Qualität arbeitet, und das beginnt eben schon bei der Bodenkultur. Ich hoffe, wenn wir oben im Edelweiß in Zürs zeigen, dass Qualität das wichtigste ist, dass wir wieder andere begeistern können. Wir reden da von einem Skiort, wo teilweise Geld keine Rolle spielt, und da gibt es immer noch Betriebe, die lieber Brötchen für zehn Cent kaufen, als gute Qualität. Das finde ich schade.“

Was ist Luxus? Paul Ivic sagt: kein Gift

Ein wirklich besonders köstlicher Hummus

Viele Gourmetrestaurants erzielen einen Großteil ihres Effekts über besonders exklusive Zutaten, Hummer, Wagyu-Rind, Austern, exotische Früchte… fast immer ist deren ökologischer Fußabdruck besonders groß.

Gemüse hingegen ist erstmal halt… einfach nur Gemüse – Paul Ivic begreift das als besondere Herausforderung für die feine Küche:

„Für mich ist ein Luxusprodukt das Produkt, das nicht vergiftet worden ist. Hummer und Wagyu… das kann auch jeder, wenn man es mal überspitzt formuliert. Ich verzichte auf gar nichts, sondern ich entdecke die Vielfalt der Natur und das ist ein großartiger Wert für mich. Ich finde das immer noch total spannend. Ich hab mit Fisch und Fleisch gekocht, aber wir haben vor 10 Jahren eine neue Reise angetreten und ich lerne immer noch sehr viel dazu.“

Zum Abschluss möchte ich wissen ob der Mann mit dem Stern für seine vegetarische Gourmetküche auch privat nur vegetarisch isst:

„Ich esse alles, ich bin ein Genussmensch. Was ich konsequent vermeide, sind industrielle, denaturierte Produkte, denn Lebensmittel kann man dazu nicht sagen. Na gut, Chips… ein paar Sünden hab ich auch, aber mein Körper ist es mir Wert, dass ich zu 90 Prozent gute Dinge esse.“

Das Tian Pop Up Restaurant am Arlberg gibt es mindestens noch bis zum Saisonende. Und zum Abschluss noch ein Buchtipp: Paul Ivic hat ein Gemüsekochbuch geschrieben, dessen Philosophie mir aus dem Herzen spricht: Restlos glücklich, wo es um Gemüseküche geht, die wirklich alle Teile des Gemüses verarbeitet. Nachhaltigkeit par Excellence…