Kein Scherz: Jeder von uns hält Sklaven. Die in Bangladesh unsere Kleider nähen, in China unsere Handys zusammenbasteln oder unsere Zwiebeln schälen, in Guatemala unseren Kaffee ernten oder im Kongo seltene Erden für unsere Akkus schürfen. Menschen, die in beschämender Weise ausgebeutet werden, weil der Markt das angeblich so verlangt.

Manchmal ist es ganz erstaunlich, wie schwierig es ist, Selbstverständlichkeiten durchzusetzen. Zum Beispiel ein Lieferkettengesetz. Hinter diesem sperrigen Namen verbirgt sich das Versprechen, dafür zu sorgen, dass wir unseren Konsum nicht zu Lasten anderer genießen. Wikipedia definiert das so:

Ein Lieferkettengesetz soll Unternehmen verpflichten oder in Haftung nehmen, die im Ausland beschafften Vorleistungsgüter oder Fertigerzeugnisse in allen Phasen ihrer Lieferkette auf etwaige umweltschädigende oder gegen die Arbeitsbedingungen verstoßende Produktionsverfahren zurückzuverfolgen.

Im globalisierten Handel verletzen Unternehmen im Zuge der weltweiten Wertschöpfungs- und Lieferketten häufig grundlegende Menschenrechte und schädigen die Umwelt. Bisher wird dies billigend in Kauf genommen, weswegen die Unternehmen von den Betroffenen für Schäden nicht belangt werden können. Dabei ließen sich im globalen Handel die meisten Praktiken bei der Produktion in den Niedriglohnländern und die Einhaltung der Menschenrechte auch aus großer Entfernung kontrollieren. Das geschieht aber derzeit durch Unternehmen noch unzureichend. Was sich ihrer Kontrolle entzieht, kann nach gegenwärtiger Rechtslage vieler Staaten nicht ihrer Produkthaftung unterzogen werden.

Im Grunde ist die Art und Weise, wie wir Dreckarbeit zu Hungerlöhnen erledigen lassen und Raubbau an der Umwelt betreiben, weit weg in jenen Ländern, deren Wirtschaft weniger blühend entwickelt ist als unsere, ein Erbe des Kolonialismus, oder, wenn man so will, dessen moderne Variante. Dass das ethisch fragwürdig ist, ist ziemlich offensichtlich. Und eigentlich auch schon länger Gegenstand internationaler Politik.

Eine unendliche Geschichte

2011 haben die Vereinten Nationen Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte verabschiedet. Sie sollen die Verletzung von Menschenrechten durch Wirtschaftsunternehmen verhindern und definieren die staatliche Schutzpflicht und die unternehmerische Verantwortung für die Achtung der Menschenrechte in globalen Lieferketten. Passiert ist daraufhin: nichts! Die Leitlinien definieren nicht mal, ob die Staaten und Unternehmen dies freiwillig tun oder irgendwie dazu verpflichtet werden sollen.

2016 hat die Bundesregierung einen Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Leitprinzipien (NAP) verabschiedet und einen Überprüfungsmechanismus eingerichtet. Passiert ist: nichts! Denn die deutsche Politik setzt, wie so oft, auf ein freiwilliges Engagement der Unternehmen. Das Monitoring 2019 ergab überraschenderweise: Zu wenige Unternehmen erfüllen ihre menschenrechtliche Sorgfaltspflicht. Die überwältigende Mehrheit der 3000 dazu befragten deutschen Firmen schickte die Erhebungsbögen nicht mal zurück.

Im Koalitionsvertrag der aktuell noch regierenden großen Koalition steht:

Falls die wirksame und umfassende Überprüfung des NAP 2020 zu dem Ergebnis kommt, dass die freiwillige Selbstverpflichtung der Unternehmen nicht ausreicht, werden wir national gesetzlich tätig und uns für eine EU-weite Regelung einsetzen

Da werden sich deutsche Firmen jetzt bestimmt ganz doll fürchten!

Die Folgen der Tatenlosigkeit

Reden wir mal konkret darüber, was diese Untätigkeit bedeutet. Beispielsweise 152 Millionen Kinder weltweit, die arbeiten, statt zur Schule zu gehen, darunter nach Schätzungen 73 Millionen Kinder, die unter ausbeuterischen Bedingungen schuften. Der Lohnkostenanteil eines T-Shirts liegt im Schnitt bei 60 Cent. Das monatliche Einkommen einer Näherin ließe sich für nur 1,20 Aufpreis verdreifachen. Das soll ernsthaft ein Problem für uns sein? Selbst in Zeiten, wo Haushalte auch bei uns dank Corona Geldsorgen haben?

Deutschland ist nach den USA und China das drittgrößte Importland der Welt – wir sind nicht klein. Was wir tun, hat große Wirkung und Vorbildcharakter. Was tun wir also? Nichts!

Dabei könnte ein solches Gesetz an vielen Stellen positiv wirken. Wären Unternehmen dazu verpflichtet, nur Produkte zu erzeugen, wo an jeder Stelle des Herstellungsprozesses Menschenrechte geachtet und die Umwelt geschützt wird, hätte das viele gute Folgen: Firmen müssten ihre Einkaufspraxis ändern und faire Preise zahlen – wer Menschen ausbeutet oder deren Ausbeutung in Kauf nimmt, hätte keinen Wettbewerbsvorteil mehr. Es wäre attraktiver, Produkte erstens ressourcenschonend herzustellen und zweitens so, dass sie lange halten und reparierbar sind. Das wäre gut für die Menschen in den Entwicklungsländern, für den Kampf gegen die Klimakrise und für uns.

Im Moment ist die Frage der Ethik beim Konsum an uns Verbraucher*innen delegiert. Wir sollen beim Einkaufen entscheiden, ob wir das Produkt von Ausbeutung erwerben, oder ein fair erzeugtes Produkt. Gleichzeitig bekommen wir fast nie die Produktinformationen, die uns überhaupt zu dieser Entscheidung befähigen würden. Dabei wäre es klar die Aufgabe der Politik, dafür zu sorgen, dass es unethische Produkte gar nicht erst auf unseren Markt schaffen!

Was wir jetzt gleich tun können:

Zum Schluss ein Link zu Initiative LIeferkettengesetz: Der Zusammenschluss zahlreicher NGOs engagiert sich dafür, das Gesetz endlich und noch in dieser Legislaturperiode auf den Weg zu bringen. Sie verdient Unterstützung – etwa durch Eure Unterschrift.