Es hat was vom täglich grüßenden Murmeltier. Nach Markus Söder hat nun auch Christian Lindner die ideologiefreie Prüfung der Atomenergie gefordert. Aber Unsinn wird nicht davon sinnvoller, dass man ihn immer weiter prüft

Ich arbeite gerade an einem Film über die Geschichte der Umweltpolitik in Deutschland – läuft am 27. Juni bei Geschichte im Ersten. Manchmal ist es schon sehr erhellend, wenn man sich die Irrtümer und verpassten Chancen der Vergangenheit nochmal zu Gemüte führt… Es war der SPD-Kanzler Helmut Schmidt, der nach den Erfahrungen der Ölkrise voll auf Atomkraft setzte: So sollte Deutschland unabhängig vom arabischen Erdöl werden. Kommt einem sehr bekannt vor, oder? Schon damals wurde in den schwärzesten Farben ausgemalt, welcher Niedergang der deutschen Wirtschaft drohen würde, wenn wir nicht ähnlich massiv auf Atomkraft setzen, wie unsere französischen Nachbarn.

In den 70er Jahren waren über 100 Atomkraftwerke in Deutschland geplant; die meisten sind nicht gebaut worden, weil sich die Bevölkerung dagegen gewehrt hat. Breisach, Wyhl, ein eigenes Kraftwerk für die BASF… lauter Projekte, die gestoppt wurden. Hat es der wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland geschadet? Nein!

Das Märchen von der Lösung Atomenergie

Atomkraftwerke sind eine besonders teure Art, Energie zu erzeugen. Kein Versicherer der Welt ist bereit, das wirtschaftliche Risiko eines GAU zu versichern. Diese Kosten trägt die Allgemeinheit. Auch die Kosten für die Zwischen- und Endlagerung werden vergemeinschaftlicht. Trotz intensiver Forschung gibt es bis heute keine zufriedenstellende Lösung für die Lagerung atomarer Brennstäbe. Und wie gefährlich der Betrieb eines Atomkraftwerks werden kann, egal wie modern sein Sicherheitsstandard ist, erleben wir gerade eindrucksvoll nur eine gute Flugstunde von uns entfernt in der Ukraine. Warum Atomkraft auch mit modernen Standards keine Alternative ist, habe ich im letzten November in diesem Artikel schon mal dargelegt.

Was mich an diesen blödsinnigen Vorstößen beruhigt, ist dass die Betreiber selbst gar nicht scharf drauf sind, ihre Kraftwerke länger zu betreiben: Um das halbwegs sicher zu tun, wären erhebliche Investitionen nötig, die klug wirtschaftende Energiekonzerne nicht in eine Technologie von vorgestern investieren mögen. Und es wäre auch nichts, womit wir kurzfristig russisches Gas ersetzen könnten. In der Zeit, die der Vorlauf für den der Weiterbetrieb deutscher Atomkraftwerke benötigt, kann man auch zukunftsweisendere Energiequellen erschließen.

In die Zukunft investieren, nicht in die Vergangenheit

Ich muss nochmal auf meinen ARD-Film zurückkommen. Darin spreche ich mit einem Physiker, der schon Mitte der 80er Jahre mit Kollegen ein Papier vorgelegt hat, in dem sie vor dem heraufziehenden Klimawandel warnen. Hätte man damals das Geld, das für den Bau von Atomkraftwerken und die Auseinandersetzungen mit den protestierenden Bürgern draufging, oder für die ewige Suche nach Endlagerstätten, in erneuerbare Energien investiert, Putin und sein Gas könnten uns heute völlig egal sein. Oder der Amtsantritt Merkels: Auch damals hätte man einfach weiter am Ausbau der erneuerbaren Energien arbeiten können. Hat man aber nicht. Oder zumindest nicht annähernd genug. In dem Zusammenhang fand ich übrigens Merkels Berliner Auftritt diese Woche spannend: Wenn sie schon seit 2008 weiß, was Putin im Schilde führt – warum genau haben wir uns dann unter ihrer Führung so abhängig von russischem Erdöl und Gas gemacht?

Ich wünsche mir, dass wir nicht ein weiteres Mal die Chance verpassen, die Zukunft unserer Energieversorgung nachhaltig zu gestalten. Und ich wünsche mir Politiker, die einfach mal den Mund halten, anstatt heiße Luft zu verbreiten.