Manchmal kann man an der EU echt verzweifeln… Die legendäre Gurkenkrümmungsverordnung ist glücklicherweise längst Geschichte. Aber kaum jemand weiß, dass Orangen immer noch behördlich genormt werden, auf Druck des Handels, der am liebsten Einheitsware haben will. Gut das es schlaue, engagierte Menschen gibt, die diesem Quatsch ein Schnippchen schlagen

Heute möchte ich Euch nach Griechenland mitnehmen, zu einem Projekt, das in eindrucksvoller Weise zeigt, wie Handel anders laufen kann – gut für die Erzeuger:innen und gut für uns. Im Oktober hatte ich auf Einladung der schweizer Handelsplattform Gebana die Gelegenheit, Anyfion zu besuchen, eine Bio-Kooperative griechischer Zitrusanbau-Betriebe in der Nähe von Nafplio. Orangen, Zitronen, Grapefruits, Granatäpfel – all das wächst auf dem südlichen Peloponnes gut.

Es ist sommerlich warm, als wir uns auf den Weg zu den Plantagen mehrerer Bauernfamilien machen, die hier seit Generationen Zitrusfrüchte anbauen. Seit über 10 Jahren betreiben hier viele bio-zertifizierten Anbau, und die Früchte könnten eine gute Einnahmequelle sein – wenn nicht die Normen der Europäischen Gemeinschaft wären…

Die Normen EU 543/2011 und EC 1234/2007 regeln unter anderem, wie eine Orange auszusehen hat, damit sie zu uns in den Laden darf. Größe, Farbe, Form. Was diesen optischen Vorgaben nicht genügt, darf nicht als Speiseorange exportiert werden. Mit der Qualität der Früchte hat das nichts zu tun: Ob, zum Beispiel, eine Orange grün bleibt oder orange wird, lernen wir von Agrarfachmann Vangelis Kyriakou, liegt am nächtlichen Temperaturunterschied zum Tag. Saftig und aromatisch ist auch eine reife, grüne Orange. Aber sie darf eben nicht in den Handel… und das hat gravierende Folgen für die Menschen hier. Denn was der Handel nicht abnimmt, wandert zu Dumpingpreisen an Safthersteller. Das schmälert nicht nur das Einkommen der Bäuer:innen. Es ist auch schlicht Lebensmittelverschwendung!

Natur contra EU-Vorschrift

Wer meinen Blog schon länger liest, hat im Januar 2021 hier eine gute Nachricht lesen können: Damals ist es der Schweizer Handelsorganisation Gebana gelungen, das Einkommen ihrer Vertragsbetriebe auf dem Peloponnes massiv zu steigern. Bis dahin hatten die Höfe alle jene Früchte, die die Natur unvorsichtigerweise nicht an die Handelsnormen angepasst hat wachsen lassen, wie gesagt zähneknirschend an Safthersteller verkauft.

In manchen Jahren waren das bis zu 35 Prozent der Ernte. Diese Früchte brachten dann weniger als die Hälfte ein. Bis Giorgos Stergiou von Anyfion die gute Idee hatte, mal bei der EU nachzufragen, ob sich da nicht etwas machen ließe. Offenbar hat auch den zuständigen Beamten in Brüssel diese unsinnige Verordnung nicht behagt. Denn Ihre Antwort öffnete eine Hintertür: Man müsse die Orangen eben als „zur Verarbeitung bestimmt“ deklarieren. Dann könne man sie auch exportieren.

An dieser Stelle kam Gebana ins Spiel. Die Schweizer Handelsorganisation ist seit vielen Jahren als Scharnier zwischen Höfen in aller Welt und Kund:innen in Deutschland und der Schweiz aktiv. Sie verkaufen die „Echten Orangen“ in 13-Kilo-Kartons direkt zu uns.

Das klingt erst mal nach ganz schön viel Obst auf einmal… – ich kaufe sonst vielleicht mal zwei oder drei Kilogramm. Aber da die Orangen nur 3 Tage vom Baum bis zu uns nach Hause unterwegs sind, kann man diese Orangen dann problemlos vier Wochen lagern. Herkömmliche Orangen liegen regelmäßig zwei bis drei Wochen in irgendwelchen Kühlhäusern herum, bevor sie schließlich an uns verkauft werden – die Direktimportorangen sind also auch noch deutlich frischer. Im Karton liegt ein Zettel: „zur Verarbeitung bestimmt“ – damit ist die Handelsnorm erfolgreich ausgehebelt. Und wie wir dann unsere Orangen verarbeiten, ist ja unsere Sache… schälen und essen, zu Saft pressen, zu Marmelade kochen.

Der Klimawandel ist überall

Im Hintergrund der Ventilator, der an Frosttagen wärmere Luftschichten nach unten wirbelt

Nachdem wir uns die Verpackungshalle angeschaut haben – noch leer, die Ernte beginnt erst jetzt im November – besuchen wir die  Felder von Landwirt Tasos Mattezos. Seine Plantage liegt sehr malerisch, am Fuß der antiken Burg von Argos.

Hier kann ich live miterleben, wie sich der Klimawandel bemerkbar macht. Das Wetter ist auch hier auf dem Peloponnes extremer geworden – deutlich heißer im Sommer, gleichzeitig gibt es im Winter häufiger kurze Frostperioden… Die Bauern arbeiten dagegen mit Ventilationssystemen an: Die warme Luft weiter oben wird so nach unten verwirbelt, dass die Bäume nicht von unten Frostschäden erleiden. Doch diese Maßnahmen verbrauchen Energie; die steigenden Kosten machen die ohnehin schon kleinen Margen noch kleiner.

Keine der Plantagen hier kommt ohne Bewässerung aus – auch die Trockenheit ist in den vergangenen Jahren schlimmer geworden. Anyfion ermutigt die Bauernfamilien hier, auf ein System der Tröpfchenbewässerung umzusteigen. Durch die zusätzlichen Einnahmen, die die Betriebe hier haben, seit sie ihre Orangen komplett vermarkten können, werden solche Investitionen möglich. Wer also die „echten Orangen“ kauft, leistet auch einen Beitrag dazu, dass hier klimafreundlicher produziert werden kann.

Noch schlimmer jedoch sind die Heuschrecken, die dieses Jahr die Gegend so schlimm heimgesucht haben, wie nie zuvor. Auf dem zweiten Hof, den wir besuchen, zeigt uns Bauer Kostas Nikolau Clementinenbäume mit halb verschrumpelten Blättern, die viel kleinere Früchte tragen, als in normalen Jahren., Folge des Heuschreckenbefalls. Der Verlust dadurch liegt bei 30-40 Prozent. Und es könnte nächstes Jahr noch schlimmer kommen, weil den Bäumen durch den Befall womöglich Widerstandskräfte fehlen.

Wie die meisten hier hat auch Kostas Familie mehrere Einkommensquellen. Er ist im Hauptberuf Feuerwehrmann, seine Frau Sofia leitet die Kantine der Schule im Ort. Damit verdienen die zwei etwa 20000 Euro im Jahr, die Zitrusfrüchte tragen jährlich etwa 11000 Euro zum Familieneinkommen bei. 5800 Euro dieses Ertrags stammen aus den Prämien von Gebana. Das „Echte Orangen“-Projekt hat die Einkommenssituation also tatsächlich maßgeblich verbessert.

Heuschrecken – eine Begleiterscheinung des Klimawandels

An den Blättern sieht man deutlich die Schäden, die die Heuschrecken anrichten

Mit neuen Konzepten besser ernten

Die Kooperative arbeitet an Konzepten, wie sich auch unter den klimatisch veränderten Bedingungen gute Erträge erzielen lassen. Am späten Nachmittag besuchen wir noch ein Gelände, auf dem für die Zukunft der örtlichen Landwirtschaft gearbeitet wird: Auf einem 3 Hektar großen Versuchsfeld testet Agrarexperte Vangelis Kyriakou von Anyfion das Prinzip „Agroforest“:Statt den klassischen Monokulturen werden hier 34 verschiedene Feldfrüchte direkt neben- und durcheinander angebaut – Knoblauch, Kartoffeln, Bohnen, Oliven, Orangen, Artischocken. Außerdem Pappeln, die Schatten spenden und gegen kalte Winde abschirmen, und Leguminosen als Gründüngung.

Kyriakou geht davon aus, dass sich so ein viel höherer Ertrag pro Quadratmeter erzielen lässt – und dass man dafür, dank der geschickten Kombination der Pflanzen, mit weniger Wasser und Energie auskommen kann. Die Pflanzen brauchen unterschiedliche Nährstoffe, wachsen unterschiedlich schnell – alles vorteilhaft auf den eher kargen Böden. So will er die Betriebe der Gegend um Argos fit für den Klimawandel machen – und gleichzeitig mehr Biodiversität schaffen. Ich musste bei dem Versuchsfeld an kleinbäuerliche Betriebe denken, die ich vor ein paar Jahren in Cote d’Ivoire besucht habe: Dort wird seit Jahrhunderten so gearbeitet. Back to the future, das ist oft gar keine so schlechte Idee

Fairtrade, ernst genommen

Mir gefällt das Gebana-Konzept der Direktvermarktung gut. Die Bauern bekommen 36 Cent pro Kilo Bio-Orangen – das ist deutlich mehr, als wenn sie ihre Orangen über den klassischen Lebensmitteleinzelhandel vermarkten würden. Noch besser finde ich aber, dass die Schweizer zusätzliche Gelder an ihre Bauern verteilen, in ihrem so genannten Gebana-Modell. 10 Prozent des Endverkaufspreises der Orangen werden über den Ankaufspreis hinaus an die Bauernfamilien ausbezahlt. 2021 waren das auf dem Peloponnes pro Hof 6400 Euro zusätzliches Einkommen. Dieses Prinzip wendet Gebana auf einige Produkte an, die direkt über ihren Onlineshop verkauft wird. Insgesamt werden aus diesen Einnahmen dieses Jahr fast 1,5 Millionen Euro zurück an die Bauernfamilien fließen.