Wenn man selbst etwas ausgefressen hat, ist eine beliebte Strategie, jemand anderen zum Sündenbock zu machen. Zum Beispiel in der Debatte ums Thema Lebensmittelverschwendung.
Seit 10 Jahren appelliert das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft an uns Verbraucher:innen, dass wir doch bitte, bitte nicht so viel Lebensmittel wegwerfen sollen. Unter dem Slogan „Zu gut für die Tonne“ werden Tipps gegeben, wie wir alle sorgsamer mit Nahrung umgehen können. Nun, solche Tipps sind gewiss eine gute Idee, drum verlinke ich die Seite hier auch gerne.
Gleichzeitig ärgert mich diese Art der Kommunikation. Denn sie mogelt sich darüber hinweg, wo das richtig große Ärgernis liegt: Warum ist es noch immer so, dass Bauern einen erheblichen Teil ihrer Ernte nicht vermarkten können, weil er nicht den gängigen Handelsvorgaben entspricht? Über den Wahnsinn mit den zu grünen oder zu kleinen Orangen habe ich schon öfters berichtet. Ähnlich läuft es aber mit praktisch allen Erzeugnissen vom Acker. Obst können die Höfe wenigstens noch an Saftproduzenten verschleudern, Kartoffeln gehen in die Biogasgewinnung. Wasserhaltiges Gemüse jedoch, etwa Gurken oder Zucchini, verlässt den Acker gar nicht erst, sondern wird schlicht wieder untergepflügt…
Traue keiner Statistik, die Du nicht selbst…
52 Prozent, so das BMEL, der Lebensmittel werden im Haushalt verschwendet, 75 Kilogramm pro Kopf und Jahr. Mir kam diese Zahl immer schon sehr hoch vor – ich werfe definitiv keine 200 Gramm Lebensmittel am Tag weg. Des Rätsels Lösung: Dinge, die man gar nicht essen kann, die wir aber mit kaufen, zählen auch mit. Der Kotelettknochen, zum Beispiel. Oder die Walnuss-, Eier-, Mandarinen- und Kürbisschalen. Oder der Strunk der Ananas.
Ich fände es enorm spannend, mal eine Studie zu lesen, wo ungenießbare Bestandteile unserer Lebensmittel aus dieser Statistik rausgerechnet würden. Dann stünden Landwirtschaft, Handel und Lebensmittelindustrie gleich erheblich schlechter da. Und wir wären in einem Bereich, wo sich mit kleinen gesetzlichen Vorgaben schnell viel erreichen ließe. Hier geht es mir gar nicht nur um Nachhaltigkeit – das Einkommen vieler landwirtschaftlicher Betriebe wäre gleich viel auskömmlicher, wenn sie ihre gesamte Ernte ökonomisch sinnvoll vermarkten könnten.
Alles wird gut?
Im Koalitionsvertrag der Ampel kommt das Thema Lebensmittelverschwendung vor. Dort heißt es:
Lebensmittelverschwendung bekämpfen
Die Reduzierung der Lebensmittelverschwendung werden wir gezielt weiterverfolgen und dabei die gesamte Wertschöpfungskette einbeziehen. Für die Reduzierung vermeidbarer Lebensmittelabfälle in der Lebensmittelwirtschaft werden wir mit den Beteiligten Zielmarken vereinbaren. Die Initiative „Zu gut für die Tonne“ wird mit den Ländern zu einer nationalen Strategie weiterentwickelt. Wir werden das Mindesthaltbarkeitsdatum überprüfen, um die Verschwendung von Lebensmitteln zu vermeiden.
Ich hoffe sehr, dass damit die Klöcknersche Ära der freiwilligen, völlig fruchtlosen Selbstverpflichtungen der Industrie endgültig beendet ist! In Frankreich sind etwa Supermärkte mit einer Ladenfläche von mehr als 400 Quadratmetern schon seit 2016 verpflichtet, unverkaufte Lebensmittel an örtliche Tafeln oder andere gemeinnützige Organisationen zu spenden. Tun sie das nicht, droht eine Geldstrafe von mindestens 3750 Euro. Auch das Unterpflügen essbarer Feldfrüchte könnte man schlicht verbieten. Ich bin gespannt auf die Vorschläge des neuen Bundeslandwirtschaftsministers.
Reste essen
In der Zwischenzeit können wir zumindest versuchen, den Anteil der vermeintlich nicht essbaren Abfälle zu reduzieren, durch kreative Küche. In meinem Artikel aus der letzten Woche hab ich Euch das vegetarische Kochbuch Restlos Glücklich von Paul Ivic ans Herz gelegt. Auf der Seite Leaf to Root der Bloggerin Esther Kern findet man ebenfalls viele Anregungen, was man mit Schalen, Strünken und Co alles anstellen kann. Auf der Seite Restegourmet kann man im Kühlschrank zurückgebliebene Zutaten eingeben, und sich passende Rezepte empfehlen lassen. Eines der allerschönsten Resterezepte wurde übrigens gewissermaßen zum Signature Dish des legendären Hans Haas: ein Kartoffelpüree mit Lauchpaste aus den grünen Teilen der Lauchstange – wunderbar!
Mit konsequenterVerwendung aller Teile wird übrigens auch Bioware sehr erschwinglich: Ich hab gerade am Freitag einen Bund Bio-Möhren mit Grün gekauft, für 1 €. Ergibt eine Beilage für drei und die Grundlage für ein feines Möhrengrün-Pesto, das locker für 4 Portionen Nudeln reicht.
„Dann stünde die Landwirtschaft gleich schlechter da“.
Kartoffelschalen aus der Statistik rausrechnen. Oder Ananasstrünke. Wie billig! Schuldzuweisungen, weil man die eigene Schwäche nicht wahrhaben will.
Übrigens:
Wir essen keine Ananas und Mandarinen sondern heimisches Obst.
Ich möchte den Newsletter abbestellen. Billige Polemik bekomme ich auch anderswo und ich habe mich jetzt oft genug geärgert.
Lieber Bauer Willi!
Sehr löblich, heimisches Obst zu essen. Worüber sie sich jetzt hier allerdings so ärgern, verstehe ich nicht ganz. Ich kenne viele Bauern, die sich – zu Recht – darüber ärgern, dass ihnen der Handel einwandfreie Ware nicht abnimmt und sie ins Biogas verramschen müssen.
Wo wäre jetzt hier die billige Polemik?
Liebe Frau Schickling,
es ist nicht der erste Artikel, über den ich mich ärgere. Bei den letzten habe ich auch schon überlegt, Ihnen zu schreiben, aber ich will ja nicht immer der (fast) einzige Kommentator sein.
Ich finde, dass Ihre Texte immer flacher werden und sich durch die Aneinandereihung bekannter Floskeln auszeichnen. Ich vermisse einen gewissen Tiefgang und die Beschäftigung mit der Frage, warum etwas so ist wie es ist und wie es dazu gekommen ist.
Beispiel gefällig: „Auch das Unterpflügen essbarer Feldfrüchte könnte man schlicht verbieten.“ Sie haben sich nicht wirklich Gedanken darüber gemacht, was das in der Praxis bedeutet. Und wieder bekommt der Bauer eine weitere Auflage.
„Ich fände es enorm spannend, mal eine Studie zu lesen, wo ungenießbare Bestandteile unserer Lebensmittel aus dieser Statistik rausgerechnet würden.“ Was soll das? Und dann noch der Zusatz: „dann stünde die Landwirtschaft gleich schlechter da“. Merken Sie eigentlich noch was?
Liebe Frau Schickling, ich habe mal gehofft, mit Ihnen eine streitbare Journalistin gefunden zu haben, die auch die Seite der Landwirte sieht. Ich habe mich geirrt.
Also…
Mein Thema ist nachhaltiger Konsum. Und unabhängig davon, was das für Bauern bedeutet, ist es ohne Zweifel ein Mißstand und kein bisschen nachhaltig, wenn verzehrfähige Lebensmittel schon auf dem Feld vernichtet werden, weil sie irgendeine Handelsnorm nicht erfüllen. Genauso ist es unzweifelhaft ein Mißstand, wenn Bauern für ihre Erzeugnisse kaum den Selbstkostenpreis erhalten, wie bei Schweinefleisch oder Milch.
Ich kann nicht in jedem Artikel alle Ärgernisse der Welt auf einmal anprangern. Was mich hier ärgert, ist wie die Kunschaft in den Senkel gestellt wird. Mir ist tatsächlich erst jetzt bewusst geworden, dass alle Gemüseabfälle bei den „weggeworfenen Lebensmitteln“ mitgezählt werden – und ein Rundruf in meiner Umgebung hat mir gezeigt, dass ich da nicht die einzige war. Wir sind also gar nicht die bösen Verschwender, wir schälen einfach nur Kartoffeln. Oder essen den Kotelettknochen nicht mit, weil wir nunmal keine Hundegebiss haben.
Die letzte Regierung hat gerne von ihren eigenen Versäumnissen im Bereich Klimakrise abgelenkt, indem sie den Fokus auf das Verhalten der Verbraucher:innen gelenkt hat. Indem wir mit guten Ratschlägen traktiert wurden („Drehen Sie doch einfach die Heizung runter“ „Fahren Sie Bahn statt Auto“) und beim Berechnen unseres individuellen CO2-Abdrucks erschauderten, obwohl wir sehr oft zwischen New York und München hin und herfliegen könnten, bevor wir auch nur annähernd in der Region wären, die durch nur ein einziges Braunkohlekraftwerk verursacht wird.
Das Thema Lebensmittelverschwendung passt da dazu. Zeigefingerig wird uns erzählt, wir würden viel zu viel wegwerfen. Und die Zahlen haben die beschriebene Schieflage. So schauts aus!
Thomas Apfel hat es gut beschrieben. Dem habe ich nichts hinzuzufügen.
Den nächsten Artikel werde ich noch lesen…und erst dann entscheiden, ob ich mich endgültig abmelde. Einen wirklichen Erkenntnisgewinn hatte ich bisher jedenfalls nicht.
Ich glaube nicht, dass für einen Euro ein
Bund Bio Möhren kostendeckend erzeugt werden kann. Ganz egal ob Bio oder sonstige.
Lebensmittelverschwendung ist aus meiner Sicht kein Problem der Erzeuger.
Nehmen wir nur einmal ein Schwein:
Über die Hälfte davon ist nicht normal zu verkaufen weil keine Nachfrage.
Warum? Es ist viel zu kompliziert in den Schlachtfabriken ein Schwein so zu zerlegen dass alles verwendet werden kann. Wir schlachten bis heute zuhause und es wird eigentlich alles verwertet.
Oder Obst, hat ein heimischer Apfel eine Druckstelle wird er liegengelassen, vom Verbraucher. Liegen aber daneben
Orangen, Bananen,etc werden diese ungefragt nach der Herkunft gekauft.
Nachdem alles im Überfluss verfügbar ist, machen sich die wenigsten Gedanken darüber was sie denn eigentlich konsumieren.
Dieses ganze System ist an sich nicht mehr tragbar und wird irgendwann kollabrieren, wenn nicht bald ein grundlegender Wandel Eintritt.
Dazu gehört auch die Landwirt sicher,
Aber nur hier die Schuld zu suchen ist nicht angebracht.
An Bauer Willi: Die Schuld einseitig beim Verbraucher zu suchen und immer weiter der Wachsen oder Weichen Strategie zu folgen hat ebenfalls keine Zukunft. Wir hatten mal als Alois noch in Deinem Blog war sehr zielführende Diskussionen, wo ist das alles geblieben.
Nein, ich suche die „Schuld“ nicht „immer beim Verbraucher“. Um so ein pauschales Urteil abzugeben, sollten Sie vielleicht mein Buch gelesen haben und nur einige der über 2.500 Artikel im meinem Blog.
Den Spruch „Wachsen oder weichen“ kann ich nicht mehr hören. Auch so ein pauschaler Slogan. Reden Sie mal mit Schweinehaltern! Die sind in existentieller Not und es interessiert keine Sau! Die machen reihenweise die Betriebe zu und können derzeit nur weichen!
Da sind ganz andere Themen aktuell: Burnout und Suizid. Und wir reden hier über die Anrechenbarkeit von Kartoffelschalen!!
Und was Alois angeht: nachdem er mir eine satte fünfstellige Summe für einige Rechte an meinem Blog abgeknöpft hat, bin ich froh, dass er sich verabschiedet hat. Meines Wissens lebt er mittlerweile nicht mehr in Deutschland und lässt es sich mit meinem Geld gut gehen. Da lässt es sich auch gut philosophieren.
Das mit den Lebensmittelabfällen ist in einer umfassenden, vom damaligen Bundes-Landwirtschaftsministerium beauftragt, für den Zeitraum 2012/13 akribisch und detailliert ermittelt worden. Damals wurden 9 % der insgesamt verbrauchten Lebensmittel völlig intakt weggeworfen.
Das sin 53 kg pro Kopf und davon 33 kg im Bereich der privaten Haushalte. Das sind also keine 200 Gramm pro Tag, sondern 90 g. Das sind in Summe 2,4 mio t pro Jahr, also eine ganze Menge.
In dieser Untersuchung beginnt die Erfassung NACH der ERNTE in den Erzeugerbetrieben und das ist auch sinnvoll so. Ernterückstände und nicht handelsfähige Ware bleibt auf dem Feld und wird eingearbeitet und somit dem KREISLAF zugeführt. Das hat mit „Lebensmittelverschwendung“ nichts zu tun. Auch die Verarbeitungsabfälle aus der Lebensmittelherstellung werden weitgehend verarbeitet. Fast der gesamte Dünger für veganen Gemüseanbau wird z.B. aus Abfällen der Zuckerindustrie, der Getreideaufbereitung und der Bierbrauerei hergestellt.
Diese Prozesse sind weitgehend optimiert und haben mit dem Wegwerfen verwendungsfähiger eingekaufter Lebensmittel in Handel, Catering, Gaststättenbetrieb und in Privathaushalten nichts zu tun.
he
Die Zahlen in meinem Artikel sind etwas neuer – da hat das Thünen-Instiut im Auftrag des Ministeriums nochmal untersucht. Der Link findet sich im Artikel.
Und es geht bei der Verschwendung auf dem Feld eben nicht um „Ernterückstände“. Zwischen 15 und 25 Prozent der Ernte, je nach Erzeugnis, geht nicht in den Handel, obwohl das Obst und Gemüse ohne weiteres verzehrfähig wäre. Aber es entspricht in Form und Größe nicht den Vorgaben des Handels. Das IST Verschwendung – wir verarbeiten Lebensmittel zu Biogas. Oder pflügen sie direkt wieder unter. Das ist natürlich besser, als sie im Müll zu entsorgen. Aber noch besser wäre es, die Bauern könnte alles, was sie ernten, vermarkten. Und wir fänden ein System, in dem das selbstverständlich wäre, so wie es früher übrigens auch selbstverständlich war.
So wie im privaten Haushalt Fehlplanung, spontanes außer-Haus essen, zu große Abpackungen und abgelaufenes MHD die Ursachen für die „Verschwendung“ sind, so ist bei einer vollen Marktversorgung (insbesondere bei pflanzlichen Erzeugnissen) immer eine gewisse Überproduktion notwendig und unvermeidbar. Ich als Landwirt finde es überhaupt nicht verwerflich, mindere Qualitäten und Übermengen einer anderen Verwertung (sei es Saft, Kompost, Biogas oder Verarbeitung zu Dünger für die Bio-Branche) zuzuführen.
Da der Kunde die „nicht perfekte Ware“ natürlich noch billiger als die „perfekte Ware“ haben will, werde ich (außer in Ausnahmesituationen) den Teufel tun, den Markt für die „perfekte Ware“ mit billiger Minderqualität zu verstopfen, im Endeffekt weniger Geld zu bekommen und dann die qualitativ hochwertige Ware den anderen Kreisläufen zuführen.
Die hohe Kunst nicht zu viel und zu kostendeckenden Preisen zu produzieren ist in einer offenen Marktwirtschaft, die immer mit nicht perfekter Anpassung von Angebot und Nachfrage verbunden ist, eine Illusion.
Wir und Andere hatten in Dt. in den letzten Jahren mit Hagelschäden zu tun. Der LEH hat dazu ein Programm „Nicht perfekte Früchte“ aufgelegt. Der Abverkauf hielt sich trotz günstigerer Preise in Grenzen. Ein weiterer Aspekt sind die Kosten für Energie und und Transport, sowie der lebendigen Arbeit für Lagerung und Aufbereitung, die sich nur für qualitativ einwandfreie Ware rechtfertigen lassen, einfach weil die nicht perfekte Ware im Lager schneller vergammelt !
Die Zeit der einfachen Antworten sollte eigentlich vorbei sein Frau Schickling. Die Zeit der Milchseen, Fleisch- und Butterberge ist übrigens (glücklicherweise) auch längst vorbei.
Bezüglich der Studie von 2012/13: es hat bislang noch Niemand wieder so gründlich gearbeitet (die sind z.B. „in die Mülltonnen“ der Kantinen und anderswo gekrochen und haben gezählt, gewogen, bewertet)
Das Ergebnis dieser Studie war ein Gesamtumfang an Abfall von rund 22 % der verbrauchten Lebensmittel. Das (unabhängige) Öko-Institut Freiburg hatte die Abfallmenge vorher niedriger eingeschätzt (20%).